Ist euch im Wald auch schon mal aufgefallen, dass vor allem dicht am Wegesrand und gerne an Kreuzungen Brennnesseln oder Springkraut wachsen? Das könnte daran liegen, dass Hunde dort beim Gassi gerne markieren. Dabei geben sie über den Urin Stickstoff in den Boden ab. Längst finden sich im Wald aber immer mehr dieser Pflanzen auch jenseits von Weggabelungen. Und das hat dann nichts mit Fiffi oder Struppi zu tun.
Guter Stickstoff, schlechter Stickstoff
Leben heißt lernen: Bei einem Ausflug in den Wald durfte ich vor kurzem mehr über so genannte „Zeigerpflanzen“ erfahren. Ihr Vorkommen gibt Auskunft über den Boden. Die Brennnessel fühlt sich zum Beispiel dort wohl, wo der Boden viel Stickstoff (N) hergibt, ebenso das Springkraut oder die Brombeere und die Himbeere.
Stickstoff ist prinzipiell eine prima Sache für Pflanzen. Ohne Stickstoff fehlt ihnen ein Baustein für den Bau von Aminosäuren, DNS oder Proteinen. Wenn Stickstoff gut fürs Wachstum von Pflanzen ist, warum reden meine Kolleginnen und Kollegen aus dem Landwirtschaftsteam dann eigentlich häufig mit Grabesstimme über dieses Stöffchen?
Dafür brauchen wir ein klein wenig Chemie: Die meisten Pflanzen können Stickstoff nicht aus der Luft filtern, sondern holen ihn in Form reaktiver Stickstoff-verbindungen aus dem Boden. „Reaktiv“ steht für die Fähigkeit, Bindungen mit anderen organischen und anorganischen Stoffen einzugehen. Reaktiver Stickstoff ist ein Formwandler und begegnet uns als Bestandteil im Nitrat (NO3), im Nitrit (NO2), in Lachgas (N2O) oder auch in Ammoniak (NH3).
Er wandert in diesen unterschiedlichen Bindungen durch Boden, Luft, Wasser, Pflanzen und Tiere, einschließlich uns Menschen. Weniger wird er dabei nicht. Er bleibt im Kreislauf. Denn sowas wie eine „Halbwertzeit“ kennt er nicht.
Woher kommt der viele Stickstoff?
Seit ein gewisser Fritz Haber und ein gewisser Carl Bosch Anfang des 20. Jahrhunderts gemeinsam ein recht energieintensives chemisches Verfahren zur Gewinnung von Ammoniak (aus eigentlich an Reaktion sonst nicht interessiertem) Luft-Stickstoff und Wasserstoff entwickelt haben, hat der Kunstdünger seinen weltweiten Siegeszug auf den Äckern gehalten. Somit gelangt zusätzlicher Stickstoff in den Stickstoffkreislauf.
Weiteren Stickstoff importieren wir über unsere Fleisch und Wurst:
In Deutschlands (zu 90 Prozent intensiver konventioneller) Landwirtschaft bekommen Schweine, Rinder und Hühner Sojaschrot in ihr Futter, überwiegend importiert aus Südamerika. Soja ist ein hochwertiger und preiswerter pflanzlicher Eiweißlieferant. Die Tiere bilden daraus tierisches Eiweiß. Was sie nicht verwerten, scheiden sie wieder aus.
Aus den Schweineställen landet die nitratreiche Gülle auf dem Acker. Doch die Pflanzen dort können den eingesetzten Stickstoff nur zum Teil aufnehmen. Der andere Teil wird in Gewässer ausgewaschen und sammelt sich im Boden an. Je nach Witterung geht auch Stickstoff in die Luft, als reaktives Lachgas oder als Ammoniak.
Immer mehr Stickstoff gelangt so zum Beispiel in die Ostsee und befeuert dort zusammen mit Phosphat das Wachstum von Algen, die beim Absterben Bakterien zersetzen und dabei Sauerstoff aus dem Wasser ziehen. Weniger Sauerstoff bedeutet weniger Leben. Todeszonen entstehen in der Ostsee.
Stress für die Artenvielfalt
Auch beim Ausflug in den Wald kann ich die Folgen des Stickstoff-Überschusses zunehmend studieren. Da sind wir wieder bei den Zeigerpflanzen angekommen. Der zusätzliche Eintrag luftgetragener Schwefel- und Stickstoffverbindungen führt zu sauren und stickstoffreichen Böden, mit negativen Folgen für Flora und Fauna. Zum Beispiel breiten sich stickstoffliebende Gräser und Sträucher aus. Sie verstärken in niederschlagsarmen Gebieten den Kampf um das wenige Wasser. Das stresst die Bäume.
Pflanzen, die es weniger nährstoffreich mögen, verschwinden. Davon betroffen sind zum Beispiel immer mehr Farn- und Blütenpflanzen. Fallen sie weg, fehlen sie als Bestandteil ganzer Nahrungsketten, an denen zum Beispiel Insekten, Kleinsäuger oder Vögel hängen. Der Druck setzt sich fort — und somit auch der schleichende Verlust von Artenvielfalt im Wald.
Seitdem ich erfahren habe, was dahinter steckt, wenn sich im Wald die vollen Brombeerbüsche mehren, bin ich bei ihrem Anblick weniger euphorisch. Und ich habe einen weiteren Grund für deutlich weniger Fleisch auf meinem Teller.
Hallo Wibke,
ich denke, da ist eine kleine Unrichtigkeit. : Nix auf dieser Erde hält ewig. Auch Stickstoffverbindungen leben nicht ewig. Aus diesem Grund haben viele Pflanzen die Möglichkeit entwickelt, Stickstoff aus der Luft zu binden. Dazu zählen nicht nur die berühmten Leguminosen (zB. Erbsen, Klee, Akazien (Robinien)) ‚sondern ich bin fest überzeugt: auch unsere Pionierpflanzen haben eine Möglichkeit gefunden, Stickstoff zu binden, auch wenn das von der Forstwirtschaft immer wieder bestritten wird.
Von der Brombeere weiß man es mittlerweile: sie ist nicht nur ein wichtiger Stickstoffspeicher z.B. nach einer Naturkatastrophe (Sturmbruch im Wald, Hangrutsch usw.), sondern die Brombeere kann auch ganz aktiv Stickstoff binden. Zum Leidwesen übrigens der Förster, denn die stark wachsenden Triebe umschlingen în der Aufforstung die jungen Bäumchen und drücken sie, zB. bei Schnee auf den Boden.
Ohne eigene Stickstoffbindung wäre das so nicht möglich.….
Ich denke, in der Natur gibt’s noch viel zu entdecken.…
Gruß Holger