Sie überlebten die Dinosaurier und bevölkerten Berge und Täler, Wüsten und Wälder, Seen und Flüsse schon vor über 100 Millionen Jahren: Schildkröten im Wasser und an Land. Etwa 360 verschiedene Arten der Panzertiere sind heute bekannt. Doch für viele von ihnen dürften die Tage gezählt sein. Denn laut Weltnaturschutzunion (IUCN) sind etwa zwei Drittel der untersuchten Arten bedroht oder gar ausgestorben.
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Ganz oben auf der Liste der Todeskandidatinnen steht die Jangtse-Riesenweichschildkröte (Rafetus swinhoei). Das Tier, das bis zu 120 Kilo auf die Waage bringt, gilt als eine der seltensten Arten der Welt. Zuletzt waren nur drei lebende Exemplare weltweit bekannt: ein Weibchen und ein Männchen in zwei voneinander getrennten Seen in Vietnam und ein Männchen in einem ostchinesischen Zoo. Im April 2023 wurde nun ausgerechnet das letzte lebende Weibchen leblos aufgefunden – Todesursache noch unklar. Weil nur noch zwei Männchen verbleiben gibt es wohl keine Überlebenschancen mehr für die Jangtse-Riesenweichschildkröte.
„Lonesome Georges” Schicksal wiederholt sich
Bei den asiatischen Süßwasser-Schildkröten scheint sich das Schicksal des „Lonesome George” zu wiederholen. „Der Einsame George” starb 2012 als letzter Vertreter der Pinta-Unterart der Galápagos Riesenschildkröten in der Charles Darwin Forschungsstation auf der Insel Santa Cruz, wohin er zu seiner eigenen Sicherheit von seiner Heimatinsel Pinta verbracht worden war. Die Forschungsstation wurde einst mit Hilfe des WWF ins Leben gerufen.

Die bis zu eineinhalb Meter großen und oft über 200 Kilogramm schweren Panzertiere besiedelten im 17. und 18. Jahrhundert noch in großer Zahl die Inseln des pazifischen Galapagos-Archipels. Bis der Mensch den Untergang der Panzertiere besiegelte. Im 19. Jahrhundert nahmen Walfänger Schildkröten als lebenden Proviant mit an Bord. Aber nicht nur das Fleisch, auch die Eier waren und sind eine beliebte Beute. Dazu kommt die Bedrohung durch verwilderte Hausschweine und Hauskatzen, die Jungschildkröten und Eier fressen, sowie Haus-Ziegen, ‑Esel und ‑Kühe, die mit den Schildkröten um Gras konkurrieren und Nahrungsplätze zertrampeln.
Wenn der Lebensraum schwindet
Die übermäßige Jagd ist nicht die einzige Bedrohung, die den Schildkröten das Leben schwer macht. Trockengelegte Sümpfe, verschmutze Gewässer oder Wälder, die in Agrarsteppen umgewandelt werden, lassen immer weniger Raum für die Urzeittiere. Beobachten lässt sich das am Fall der Dahls Krötenkopfschildkröte (Mesoclemmys dahli) aus Kolumbien.

Deren Bestand wird auf einige hundert Exemplare geschätzt. Ihr Lebensraum ist massiv geschrumpft. Sie kommt in keinen Schutzgebieten vor und die Feuchtgebiete, in denen die Art erstmals wissenschaftlich beschrieben wurde, sind inzwischen von Menschen trockengelegt und in Weideland umgewandelt worden. Das Überleben ist also ungewiss, auf der Internationalen Roten Liste wird die Art als „vom Aussterben bedroht“ aufgeführt.
Mit dem WWF-Newsletter nichts mehr verpassen!Die Dahls Krötenkopfschildkröten stehen auf der Liste der 25 besonders gefährdeten Schildkrötenarten, die die IUCN vor mehr als zehn Jahren zusammengestellt hat. Auffällig: Mehr als die Hälfte todgeweihten Arten lebt in Asien. Denn gerade dort sind die Tiere besonders begehrt. Sie werden gegessen und für traditionelle asiatische Medizin genutzt. Menschen zahlen große Summen für besonders seltene Exemplare, ob als Luxusgut oder illegales Haustier. Ein Teufelskreis: Je seltener die Tiere, desto attraktiver die Wilderei. Schildkröten werden gerade für die arme Landbevölkerung zu wandelnden Edelsteinen. Manchmal bricht die Population dadurch in wenigen Jahren zusammen.

Dementsprechend berichtete die Wochenzeitung Die Zeit schon 2013 vom Schicksal der Arten aus der Gattung der Scharnierschildkröten (Cuora): „Noch in den siebziger Jahren waren die Tiere mit ihrem walnussbraunen Panzer und gelben Kopf in ihrem relativ kleinen Heimatgebiet häufiger als Steine. Deshalb benutzten die Einheimischen sie als Wurfgeschosse, um Büffel zu scheuchen. Dann begann Anfang der 1980er Jahre ein Händler aus Hongkong, pro Tier ein paar Cent zu zahlen und förderte damit die Karriere vom schnöden Wurf- zum kostbaren Handelsobjekt.“
Die seltensten Wirbeltiere der Welt
Inzwischen gehören Schildkröten zu den seltensten und den am stärksten bedrohten Wirbeltieren der Welt. „Ihr Panzer wird ihnen nicht helfen, um zu überleben. Wir brauchen strengere Gesetze und deren Durchsetzung, Aufklärung der Bevölkerung und Programme zu Wiederansiedlung“, betont WWF-Artenschutzexpertin Anne Hanschke. Wie so etwas aussehen kann, zeigen Naturschützer:innen in Bolivien.

Modellversuch am Río Iténez
Schildkröten werden vielerorts wegen ihrer Panzer gewildert. Außerdem sind ihre Eier sehr eiweißhaltig und werden deshalb im Amazonasgebiet vielerorts als Nahrungsmittel genutzt. Lange war das kein Problem, doch inzwischen sind auch durch andere Bedrohungen die Bestände der dort lebenden Arrau- und der Terekay-Schienenschildkröten bedenklich geschrumpft. Weil der Eiernachschub zu versiegen drohte, entschlossen sich die indigenen Bewohner:innen am Ufer des Río Iténez – einem Grenzfluss zwischen Brasilien und Bolivien – die Sammlung deutlich zurückzufahren, und die Tiere zu schützen, um sie nachhaltiger nutzen zu können.

Mit Hilfe des WWF wurden mitten im Regenwald zunächst Strandabschnitte entlang des Flusses als bedeutende Geburtsplätze identifiziert. Freiwillige aus den Dörfern der Umgebung überwachten diese Zonen rund um die Uhr. Schon im ersten Jahr schlüpften an den geschützten Strandabschnitten 150.000 Schildkrötenjunge. Wenige Jahre danach waren es bereits mehrere Millionen. Mittlerweile arbeiten die Indigenen seit fünfzehn Jahren mit dem WWF daran, die Schildkrötenpopulation wiederherzustellen. Doch die Tiere sind einer neuen Bedrohung ausgesetzt: Die Schildkröteneier verfaulen im feuchten Sand und Schildkrötenbabys ertrinken, bevor sie ihr Nest zu verlassen können. Denn durch den Bau brasilianischer Staudämme ist der Wasserpegel des Rio Iténez stark angestiegen.
Helfen Sie uns, die Flussschildkröten am Río Iténez zu schützenDüstere Aussichten
Während sich die Schildkrötenbestände am Río Iténez trotz neuer Bedrohungen langsam erholen, sieht die Zukunft vieler ihrer Artverwandten düster aus. „Es ist höchste Zeit, das Bewusstsein für die Verletzlichkeit der Schildkröten zu schärfen. Wenn das nicht gelingt“, so Anne Hanschke, „könnten sich viele dieser eindrucksvollen Tierarten, die die Erde seit Urzeiten besiedeln, schon bald für immer von diesem Planeten verabschieden.“
Wir müssen die Umwelt und die tiere schützenPlastikmüll muss gestoppt werden …