Während es in der Welt gerade eher um das schönste Design eines Mund-Nasenschutzes und die Anzahl an Einkäufern in einem Supermarkt geht, hat die EU eine Strategie zu einem der wichtigsten Themen unserer Zeit veröffentlicht: zur Biodiversität in der Europäischen Union.
Wer bei Biodiversität jetzt zuerst an den Regenwald in Brasilien oder die Tierwelt in Neuseeland denkt liegt nicht falsch. Genauso gibt es aber auch eine unglaubliche biologische Vielfalt bei uns in Europa, die unser Leben maßgeblich beeinflusst. Wer sich mal die Zeit nimmt und sich im Wald, auf dem Acker vor der Stadt oder im hauseigenen Garten genau umschaut, entdeckt verschiedenste Vögel, Pilze und Insekten.
Noch gibt es allein in Deutschland 48.000 Tierarten, fast 10.000 Pflanzen- und mehr als 14.000 Pilzarten. Diese Artenvielfalt ist jedoch zunehmend bedroht. Wir befinden uns im größten Artensterben seit dem Ende der Dinosaurierzeit, in einem vom Menschen verursachten Prozess. So sind in Deutschland nach dem Bericht zur Lage der Natur 2020 nur noch ein Viertel der Arten und weniger als ein Drittel der Lebensraumtypen intakt.
Umso dringender war es, dass die Europäische Kommission nun endlich eine Strategie umsetzt, wie sie mit diesem Biodiversitätsverlust umgeht. Und zukünftig Schmetterlinge, Lerchen, Hummeln, Kornblumen, Biber, Fledermäuse und alle anderen Lebewesen vor unseren Türen schützen will.
Deshalb ist die Strategie so unglaublich wichtig – aber was steht nun eigentlich drin?
Erst einmal erkennt die neue EU-Strategie die biologische Vielfalt als Grundlage für das menschliche Wohlergehen an. Einfach gesagt: Meine, deine, unsere Gesundheit ist abhängig von der Gesundheit unserer Biodiversität. Die Strategie enthält die klare Botschaft, dass der Schutz der biologischen Vielfalt der Schlüssel ist, um die Widerstandskraft unserer Gesellschaft zu stärken. Denn durch die Zerstörung natürlicher Ökosysteme wird der Kontakt zwischen Menschen und der wilden Tier- und Pflanzenwelt immer enger. Dies begünstigt das Entstehen von neuen Krankheiten (Zoonosen). So erleben wir es auch gerade am Beispiel COVID-19. Intakte natürliche Ökosysteme können das Risiko der Übertragung solcher Krankheiten auf den Menschen verhindern.
Damit erkennt die EU-Kommission schon mal eine wichtige Tatsache: Es braucht jetzt schnelle, ehrgeizige und transformative Maßnahmen zur Hilfe für unsere biologische Vielfalt! Denn bei vielen Arten sind Verluste und Schäden schon eingetreten und es ist unklar wie viele von diesen reparabel sind.
Und welche konkreten Verpflichtungen umfasst die Strategie?
Die Biodiversitätsstrategie sieht den Schutz von 30 Prozent der europäischen Land- und Meeresfläche bis 2030 vor. Ein Drittel davon wiederum sollen „strikt geschützt“ sein. Zusätzlich will die Kommission bis 2021 verbindliche Ziele zur Wiederherstellung von zerstörten Ökosystemen setzen.
Die Strategie thematisiert aber auch bestehende Richtlinien. Wie beispielsweise die Wasserrahmenrichtlinie, bei der es um umweltverträgliche Wassernutzung geht. Diese Richtlinien gibt es teilweise schon lange, aber sie basieren bisher meist auf dem Prinzip der Freiwilligkeit. Die Probleme bei ihrer Umsetzung könnt ihr euch ausmalen. Jetzt werden einige dieser Richtlinien verbindlich gemacht.
Darüber hinaus thematisiert die neue Strategie zahlreiche weitere Bereiche: Grünere Städte, die Wiederherstellung von Flüssen, die Beseitigung des Beifangs und eine nachhaltigere Landwirtschaft. So soll ein Viertel der landwirtschaftlichen Fläche in Europa ökologisch bewirtschaftet, sowie der Pestizideinsatz in der Landwirtschaft um die Hälfte reduziert werden.
Also – die perfekte Strategie?
Leider nein. Es fehlt noch an konkreten Ansätzen für die Implementierung der ambitionierten Pläne. Wie sollen die Forderungen umgesetzt werden? Und welche verbindlichen Ziele müssen erreicht werden?
Außerdem drohen die ehrgeizigen Pläne – wie das eben immer so ist – an den Finanzen zu scheitern. Angesetzt sind 20 Milliarden Euro zur Umsetzung der Strategie, sowie ein Viertel des EU-Budgets für Klima und Biodiversität. Das ist noch zu wenig. Ein höheres Investment würde sich hier langfristig auszahlen. Denn wie beim Klima ist Abwarten langfristig viel teurer als sofortiges Handeln.
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Ein anderes Thema sind Subventionen. Im Green Deal, dem Konzept für eine nachhaltige, grüne und starke Union hat die EU-Kommission sich noch zu „Do no harm“ verpflichtet. Also dazu, dass politische Maßnahmen keinen Schaden anrichten dürfen. In der Landwirtschaft gibt es jedoch leider immer noch zahlreiche, biodiversitätsschädliche Subventionen. Häufig honorieren Gelder die Größe von Betrieben und nicht Leistungen für die Umwelt. Das sollte sich in Zukunft ändern – wird aber von der Biodiversitätsstrategie leider nicht thematisiert.
Ein Fazit?
Die Biodiversitätsstrategie hat großes Potenzial. Aber wir brauchen jetzt mutige Umsetzer. Denn ohne den zweiten und dritten und vierten Schritt ist der erste Schritt eben nicht viel mehr, als eine weitere Absichtserklärung. Diese notwendigen Schritte sind zunächst die Bestätigung des ambitionierten Entwurfs durch das EU Parlament und den Europäischen Rat. Wird die Strategie 2021 endgültig verabschiedet, ist die gesetzliche Implementierung der Ziele an der Reihe. Für viele Forderungen müssen dafür noch Grenzwerte festgelegt und Gesetze formuliert werden. Außerdem braucht es nicht nur die klare Unterstützung von den nationalen Ministerräten der Mitgliedsstaaten. Diese müssen die Biodiversitätsziele in ihre nationale Politik mitnehmen. Und beispielsweise bei der Gestaltung von Konjunkturprogrammen beachten.
Das Thema Biodiversität ist mit der EU-Strategie keinesfalls abgeschlossen. Aber wir befinden uns zumindest in der richtigen Richtung zur Rettung von Ziesel, Fischotter, Wisent, Moorveilchen, Sumpfschildkröte und Co.
Guten Tag „ wieder mal eine sehr interessante Information über diverse dringende Themen !
Aber warum steht unter dem Foto eines S e e a d l e r s die Bezeichnung ” Steinadler ” ?????
Freundliche Grüße Heinz — Manfred Droste
Kleine Korrektur: das Bild oben von dem großen Vogel mit dem Fisch zeigt keinen Steinadler, sondern einen Seeadler! Anscheinend attackiert von einer Möwe? Denn es sind ja noch zwei Vogelfüße und ‑flügel oben im Bild zu sehen — was das Bild eigentlich spektakulär macht.
Beste Grüße,
Oliver Harms (Mitglied und Ornithologe)
Hallo Oliver, der Fehler geht auf meine Kappe, sorry! Ist korrigiert!
Beste Grüße!