Ein bisschen ist es so, als wäre man bereits in der Zukunft angekommen und der Kohleausstieg schon längst abgeschlossen: im Kohlekraftwerk Moorburg im Süden von Hamburg. Wenn man sich dem Kraftwerk nähert, dann hört und sieht man vor allem: nichts. Es ist ruhig, kein Rauch , der aus Schornsteinen aufsteigt, nur ein paar Vögel und ab und an ein einsames Auto, das vorbeifährt.
Zehn Jahre gebaut, fünf Jahre in Betrieb, viele Jahre Abbruch
Denn das „Heizkraftwerk Moorburg“, wie es korrekt heißt, wurde im Sommer 2020 endgültig stillgelegt. Ein Steinkohlekraftwerk, das fast zehn Jahre gebaut wurde und nur etwa fünf Jahre Strom produziert hat – bevor es jetzt (ebenfalls über Jahre) abgerissen wird. Alles in allem ein ökologisches und finanzielles Desaster. Aber was können wir aus Moorburg lernen?
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Die Geschichte des Kraftwerks Moorburg
Um die Problematik des Heizkraftwerks in Hamburg besser zu verstehen, muss man bei seiner Historie anfangen. Anfang des Jahrtausends begann Vattenfall bereits das neue Kraftwerk im Hamburger Süden zu planen. Die CDU-geführte Hamburger Regierung befürwortete damals den Bau. Sie regte an, den Umfang des Kraftwerks zu verdoppeln und es als Fernwärmekraftwerk zu nutzen. Dann könne man es an Hamburgs umfangreiches Fernwärmenetz anschließen und das veraltete Heizkraftwerk Wedel ersetzen.
Es sollte allerdings anders kommen: Zwar wurde das Kraftwerk – so wie angeregt – doppelt so groß wie ursprünglich geplant. Bei voller Auslastung konnte Moorburg etwa elf Terrawattstunden Strom pro Jahr liefern. Allerdings wurde das Kraftwerk nie an das Fernwärmenetz angeschlossen. Und konnte so auch nie das überholte Wedeler Heizkraftwerk ersetzen. 15 Jahre nach Beginn der Planung ist Moorburg vom Netz genommen. Wedel produziert immer noch Strom und Wärme. Und jede Menge CO2.
Wie konnte es zu der politischen Entscheidung zum Baus von Moorburg kommen?
Die Planung des Hamburger Kohlekraftwerks begann um das Jahr 2004. Richtig, 2004. Wir sprechen also von einer Zeit, die noch gar nicht so lange her ist. Einer Zeit, in der die Klimakrise bereits wissenschaftlicher Konsens war. Um nur einige Beispiele zu nennen: 1988 wurde der Weltklimarat ins Leben gerufen und warnt seitdem Jahr für Jahr eindringlicher vor der Erderhitzung. Bereits 1992 diskutierten Regierungen alternative Energiequellen zur Kohleenergie auf der Rio Konferenz der Vereinten Nationen. 2005 wurde das Kyoto Protokoll verabschiedet. Tja, und 2007 begann der Bau des neuen Kohlekraftwerks Moorburg.
Die Entscheidung Vattenfalls und des Hamburger Senats passt sowohl aus heutiger als auch aus damaliger Sicht nicht zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen und Empfehlungen. Eberhard Brandes, der Geschäftsführer des WWF Deutschland, sagte schon 2008: “Das neue Kraftwerk wird aller Voraussicht nach über Jahrzehnte die Atmosphäre belasten und so zu einer enormen Klimahypothek”. Und weiter: “Es ist völlig inakzeptabel, dass der Bau eines Kohlekraftwerks wegen seines hohen Kohlendioxidausstoßes nicht abgelehnt werden kann”. Trotz Aufforderung zur Streichung des Vorhabens durch den WWF und viele weiteren Teilen der Zivilgesellschaft wurde Moorburg gebaut.
Ein Paradebeispiel für das Ignorieren der Wissenschaft
Damit ist das Kraftwerk Moorburg ein Paradebeispiel für wirtschaftliche und politische Entscheidungen, die Erkenntnisse aus der Klimawissenschaft nicht berücksichtigen – und damit scheitern. Vattenfall hatte während des Betriebs des Heizkraftwerks mit dem Einhalten zahlreicher Umweltauflagen zu kämpfen und musste immer wieder Umbaumaßnahmen am Kraftwerk durchführen. Außerdem will das Unternehmen nun bis 2040 klimaneutral werden – ein Ziel, das nicht besonders zu einem Kohlekraftwerk passt. Darum hat Vattenfall 2020 die Notbremse gezogen. Es war bereits klar, dass alle Kohlekraftwerke mit der zunehmenden Energiewende einen starken Wertverlust verzeichnen werden. 2020 bot Vattenfall in der ersten Stilllegungsauktion der Bundesnetzagentur das Kohlekraftwerk Moorburg zur frühzeitigen Stilllegung an und erhielt dafür einen Zuschlag.
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Wie geht es weiter mit Moorburg?
Alles in allem ist die Geschichte des Kraftwerks Moorburg ziemlich deprimierend: Für die Mitarbeiter:innen, den Rohstoffverbrauch, die Finanzen und das Klima sieht die Bilanz nicht besonders gut aus. Es gibt aber auch Hoffnungsschimmer. Die Stadt Hamburg hat in einer Machbarkeitsstudie festgestellt, dass der Standort Moorburg gut geeignet ist für die Herstellung von Wasserstoff. Denn der Strom aus Windkraftanlagen an der Küste kann in Hamburg ankommen und dort für die energieintensive Wasserstoffproduktion genutzt werden. Die Netze zum Weitertransport des sind durch das Kohlekraftwerk bereits vorhanden und könnten so weitergenutzt werden.
Allerdings besteht das Projekt “Wasserstoff-Hub Moorburg” der vier Konzerne Vattenfall, Shell, Mitsubishi und Wärme Hamburg bisher nur aus einer Absichtserklärung. Ihre Umsetzung hängt vermutlich auch von der Bereitstellung öffentlicher Fördermittel für das Projekt ab. Vattenfall schreibt selbst, es gebe keine “belastbaren Planungen oder eine glaubhaft zugesagte Investitionsbereitschaft”. Darum werden wir wohl erst in den nächsten Jahren erfahren, was wirklich mit dem Standort Moorburg passieren wird.
Das Beispiel Moorburg macht deutlich, dass wir eine wissenschaftsbasierte, langfristig ausgerichtete Politik brauchen. Politische Entscheidungen müssen sowohl die Bedürfnisse jetziger als auch die kommender Generationen berücksichtigen. Im Hinblick auf die Klimakrise bedeutet das: Wir müssen den Ausstoß von Treibhausgasen beenden – und zwar besser früher als später.
Mehr Fortschritt umsetzen!
Die Ampelkoalition in Berlin geht mit ihrem neuen Koalitionsvertrag in eine richtige Richtung. Ihre Pläne für verstärkten Klimaschutz, den massiven Ausbau von erneuerbaren Energien und das Ende der Kohleenergie in Deutschland sind wichtige Schritte für den Klimaschutz. Allerdings gilt jetzt nicht mehr nur der Titel des Koalitionsvertrags „Mehr Fortschritt wagen“, sondern eben „Mehr Fortschritt umsetzen“. Und zwar so schnell wie möglich.
Ein super Artikel Frau Steinbrecher!
Wirklich interessant zu sehen, wie das politische Hin-und-Her die Energiewende verlangsamt.
Eine Frage habe ich allerdings noch. Bei Ihrer Besichtigung des Kraftwerks, wurde da auch darüber gesprochen wie die damalige (in 2004) Leistungsplanung aussah? Ein Argument, das in der Kohlediskussion oft vergessen wird, ist dass Kohlekraftwerke sich gut dazu eignen um die sogenannte “Baseload” zu liefern. Ich vermute damals wurde davon ausgegangen, dass das Kraftwerk Moorburg mehrere 100 MW an Leistung konstant und berechenbar liefern kann. Das ist wichtig, um das Energienetz und den Energiehandel stabil zu halten. Das ist ein eher technisches Argument, deswegen würde mich interessieren, ob Sie das dort auch diskutieren konnten. War es also ein rein politisches Projekt das versagt hat oder gab es auch technische Argumente dafür?
Ich bin absolut für den Ausstieg aus der Kohle, aber ich wollte das hier einfach nochmal anmerken, weil Kohlebefürworter dieses Argument wahrscheinlich in einer Diskussion gegen Sie verwenden könnten. Wir müssen eben noch neue Wege finden, wie wir die diese Baseload mit erneuerbaren und ohne Kohle/Atomkraftwerke liefern können. Vielleicht wäre das ja mal etwas für Ihren nächsten Artikel 🙂
Auf den wäre ich sehr gespannt! Super Beitrag!
Lieber Timo,
vielen Dank für Ihren Kommentar. Über die Leistungsplanung haben wir bei dem Besuch in Moorburg nicht gesprochen und bei allen Diskussionen zu dem Thema, die ich verfolgt habe, hat dies keine große Rolle gespielt.
Grundsätzlich ist das Konzept des „Base load“ (Grundlastfähigkeit) von Kraftwerken ein Relikt vergangener Zeiten und für den Energiehandel nicht mehr relevant. Denn in einem immer mehr von Wind und Photovoltaik dominierten Stromsystem werden fossile Back-Up-Kapazitäten perspektivisch nur in sehr wenigen Stunden zur Stromproduktion benötigt. Beispielsweise diese Publikation der Bundesnetzagentur zeigt, dass sich mit steigenden Anteilen erneuerbarer Energien im Stromsystem die Netzstabilität in Deutschland sogar erhöht hat: https://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2020/20201022_SAIDIStrom.html
Beste Grüße
Nele Steinbrecher
Eines der neuesten und effizientesten Kohlekraftwerke der Welt wird nach nur wenigen Betriebsjahren aus ideologischen Gründen abgestellt. Was für eine Verschwendung von Ressourcen, die nur mit der Doppelmoral grüner Weltverbesserer zu begründen ist. Statt dessen kommt die Fernwärme für Hamburg nun aus dem über fünfzig Jahre alten Kohlemeiler Wedel, das pro erzeugter Energieeinheit ein Vielfaches an CO2 (sowie an Stickstoffoxiden, Schwefeloxiden, Quecksilber, Feinstaub, Blei, Cadmium, Nickel, etc.) ausstößt. Gleichzeitig steigen die Strompreise dramatisch und die Versorgungssicherheit beginnt bedenklich zu wackeln. Dieses Land ist wahrlich ein Irrenhaus geworden.
Lieber Sebastian,
das Kohlekraftwerk Moorburg wurde nicht aus ideologischen, sondern aus ganz rationalen Gründen abgestellt: Nämlich angesichts der Klimakrise und der damit einhergehenden Notwendigkeit den Ausstoß von Treibhausgasen radikal und schnell zu begrenzen. Deswegen hat Vattenfall die Entscheidung getroffen, dass Kohlekraftwerk abzuschalten.
Zwar ist es natürlich ungünstig, dass ein gerade gebautes Kraftwerk nun abgeschaltet werden muss – allerdings war diese Entwicklung vorauszusehen, daher hätte das Kraftwerk eben gar nicht erst gebaut werden sollen.
Bezüglich der Strompreise kann ich Ihnen noch den Blogbeitrag meines Kollegen empfehlen: https://blog.wwf.de/energiewende-gaspreis/
Beste Grüße
Nele Steinbrecher