Gestern, gegen 21:34 Uhr Ortszeit haben 21 Abgeordnete eines Ausschusses des Brasilianischen Unterhauses den Verfassungsänderungsvorschlag PEC215 einstimmig angenommen. Die Parlamentarier stehen allesamt dem Agrarsektor nahe — die wenigen Abgeordneten, die dagegen waren, verließen bereits vor der Abstimmung aus Protest den Saal. Sie hielten Banner hoch, auf denen „Nein zur PEC des Todes“ stand.
Für mich kommt die Abstimmung leider nicht überraschend — die Verfassungsänderung wurde seit Jahren diskutiert, in den letzten Wochen immer heftiger. Die Proteste, vor allem der Indigenen, aber auch von Umweltorganisationen nahmen nochmals zu. Die Indigenen erhöhten in den letzten zwei Tagen den Druck und protestierten nicht mehr nur in Brasilia, sondern landesweit. In 12 von 26 Bundesländern wurden zahlreiche Bundesstraßen blockiert. Vergebens, wie es scheint.
Ich kann heute noch keine juristisch belastbare Einschätzung der Folgen der Verfassungsänderung abgeben. Den Text, über den abgestimmt wurde, kennen wir noch nicht im Detail. Aber wir müssen davon ausgehen, dass er weitreichende Folgen für die Schutzgebiete und die indigenen Territorien haben wird.
Laut O Globo, Brasiliens größtem Nachrichten-Konzern, müssen wir befürchten:
- Die Zuständigkeit zur Ausweisung von indigenen Territorien wird geändert. Die Regierung soll in Zukunft erst nach Zustimmung des Kongresses Territorien ausweisen dürfen. Das stellt eine Entmachtung der Regierung dar. Neue Indigene Territorien sind dann de facto nicht mehr zu erwarten, da die Mehrheit der Kongress-Abgeordneten die Interessen von Industrie und Landwirtschaft vertritt. Viele indigene Völker, vor allem außerhalb des Amazonas, würden so ihr Land nicht zurückbekommen.
- Das Prinzip „im Interesse der Nation“ wird eingeführt. Der Bau von Infrastrukturprojekten innerhalb von indigenen Territorien wie Hochspannungsleitungen, Straßen, Eisenbahntrassen, Wasserstraßen kann als nationales Interesse durchgesetzt werden. So kann sich der Kongress über bestehende Landrechte der Indigenen hinwegsetzen.
- Landpacht: Indigene dürfen ihr Land an Bauern verpachten. Das hört sich nur gut an, tatsächlich dürfte es Farmern erlauben, schnell und günstig an Land zu kommen. Die Agrarindustrie verhandelt oft aus einer stärkeren Position heraus als die Indigene
Rechte und Schutz werden zurückgedreht
Es ist einfach unglaublich. Brasilien schraubt offensichtlich die bereits erzielten Errungenschaften zum Wohle indigener Völker und zum Erhalt der atemberaubenden Urwälder und Naturlandschaften zurück — so wie es leider viele andere Länder auch tun.
Ich melde mich in den nächsten Tagen noch mal hier, sobald meine Kollegen vom WWF Brasilien und wir den Text im Detail studiert haben und wirklich einschätzen können, wie schlimm die Lage für die Indigenen und den Amazonas-Regenwald ist.
Wie es jetzt weitergeht
Wirklich entschieden ist noch nichts. Der Verfassungsänderungstext kommt als nächstes zur Abstimmung im Plenum des Unterhauses — und falls er dort mit einer 3/5 Mehrheit angenommen ist, kommt er zur Abstimmung in den Senat.
Dennoch, gestern war das ein großer erster Schritt in die falsche Richtung.
Wir müssen wachsam bleiben.
Roberto,
danke für deine Site und die Informationen. Ich teile deine Einschätzungen zu PEC 215. Brasilien wird seit Jahrzehnten von korrupten Cliquen beherrscht. Eduardo Cunha, Präsident der Abgeordnetenkammer, selbst involviert in verschiedene Korruptionsskandale, weiß die evangelistische “Bruderschaft” hinter sich. Da zählt nur das Geld — Kapitalismus pur. Die Schwachen bleiben auf der Strecke. Deshalb dürfen wir nicht aufgeben und müssen weiter unsere Stimme erheben. Ein guter Blog. Danke.
Henri