Die gute Nachricht: Am Amazonas geht die Entwaldung zurück. Die Schlechte: In der benachbarten Cerrado-Savanne wird umso heftiger geholzt. Der Grund: Sojaanbau soweit das Auge reicht. Die Bohnen landen auch in Europa vor allem in den Futtertrögen der Fleischindustrie. Das EU Gesetz für entwaldungsfreie Lieferketten ändert daran wenig, denn die Savanne gilt nicht als Wald. Höchste Zeit für eine Neudefinition.
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Der Amazonas ist der Inbegriff von Regenwald: Tropisch, grün und Lebensraum einer einzigartigen Tierwelt. Darunter sind farbenprächtige Papageien, rosa Flussdelfine und der majestätische Jaguar. Es ist der größte Regenwald der Welt und nicht zuletzt die ästhetischen Bilder, egal ob in den Medien oder als Assoziationen in den Köpfen der Menschen, verschaffen dem Amazonas enorme Aufmerksamkeit. Das ist ein immenser Vorteil, wenn es um seine Bewahrung geht. Andere Lebensräume und ihre Chance auf Schutz geraten aus dem Blickfeld. Wir werfen einen kritischen Blick auf dieses Phänomen, den Status Quo im Amazonas und seinen weniger bekannten aber ebenso gefährdeten Nachbarn, den Cerrado.
Pretty Privilege im Naturschutz?
Wir schützen, was wir kennen und lieben. Und wir lieben tendenziell eher das Eindrucksvolle, den Superlativ, das visuell Schöne. “Pretty Privilege” oder “Schönheitsprivileg”. Dahinter steckt die vor allem im westlichen Kulturkreis seit der Antike verinnerlichte Vorstellung, dass Schönheit der Ausdruck von Wahrheit und Güte ist. In der Philosophie ist diese Einheit als sogenannte Trias der obersten Werte bekannt. Unterschieden wird in die Kulturschönheit, die sich z.B. in Literatur und bildender Kunst spiegelt, sowie die Naturschönheit. Sie beschreibt im Wesentlichen das, was wir vielleicht beim Anblick des Jaguars empfinden. Wir sehen Anmut, Erhabenheit und sind fasziniert. Seine Schönheit trifft uns auf emotionaler Ebene und somit auch sein Lebensraum, für den wir uns automatisch einsetzen wollen. Im Idealfall kann das Schönheitsprivileg einer einzelnen Art zum Sprungbrett für ganzheitlichen Naturschutz werden und eine positive Kettenreaktion auslösen. Doch die Realität zeichnet häufig ein anderes Bild. Ebenso wie Menschen, die als schön empfunden werden, haben entsprechende Tierarten und ihre Ökosysteme einen immanenten Vorsprung. Dieser kann sich .B. in der Spendenbereitschaft für spezielle Tierarten niederschlagen aber auch wenn es um bindende Gesetze geht.
Verschoben statt behoben
Politische und wirtschaftliche Interessen führen dazu, dass Naturschutz teilweise nur so weit reicht wie das Auge und damit der Druck der Öffentlichkeit. Was weniger sichtbar und damit unbekannter ist, wird häufig außer Acht gelassen.
Ein gutes Beispiel für diesen Mechanismus ist das EU-Gesetz zu entwaldungsfreien Lieferketten, das ab 2025 den Import von Waren verbietet, die mit Entwaldung in Zusammenhang stehen. Ein wichtiger und richtiger Schritt angesichts der Tatsache, dass laut Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) zwischen 1990 und 2020 allein in Amazonien ca. 600.000 Quadratkilometer Wald abgeholzt wurden, eine Fläche fast doppelt so groß wie Deutschland.
Vor allem unter der Regierung Jair Bolsonaro in Brasilien nahm die Entwaldung deutlich zu. Das südamerikanische Land beherbergt mit 65 Prozent den größten Anteil des Amazonasregenwaldes und ist gleichzeitig der weltweit größte Exporteur von Soja, einem Haupttreiber der kommerziellen Entwaldung. Zwar darf schon seit 2006 dank des sogenannten Soja-Moratoriums in Brasilien kein Regenwald mehr für den Soja-Anbau gerodet werden. Dennoch führte dieser Meilenstein nicht zu einer nachhaltigen Lösung, sondern vielmehr zu einer Verschiebung des Problems: Die Anbauflächen haben sich immer stärker vom Amazonas in Richtung Südosten ausgeweitet, in das Gebiet des Cerrado, der artenreichsten Savanne der Welt. Sie ist trotz ihrer Vielfalt an Flora und Fauna deutlich unbekannter. So ist es wenig überraschend, dass der internationaler Aufschrei bislang ausbleibt, obwohl die Region inzwischen bereits mehr als die Hälfte seiner ursprünglichen Fläche an die Agrarindustrie verloren hat.
Die Lage spitzt sich zu
Allein zwischen August 2022 und Juli 2023 wurden erschreckende 11.011,7 Quadratkilometer in Agrarfläche umgewandelt. Besonders tragisch: Auch durch das neue EU-Gesetz zu entwaldungsfreiem Soja bleibt der Cerrado quasi ungeschützt, da Baumsavannen nicht der geltenden Definition eines Waldes entsprechen.
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Die neuesten Zahlen des Nationalen Weltrauminstituts (INPE) vom Februar 2024 bestätigen diese Schieflage eindrücklich. Während im Amazonas die Entwaldung zuletzt um 30 Prozent zurückgegangen sind, hat sie im Cerrado um 19 Prozent zugenommen. Noch krasser wird der Vergleich, wenn man die Periode von August 2023 bis Februar 2024 betrachtet. Im Vergleich zum Vorjahr ging die Abholzung im Amazonas um 56 Prozent zurück und stieg parallel dazu im Cerrado um 63 Prozent an.
Was wir dagegen tun
Etwa 80 Prozent der entwaldeten Savannenfläche werden für den Sojaanbau genutzt. Der Cerrado ist die wichtigste Soja-Quelle der EU. Die Bohnen werden, insbesondere in Form von Sojaschrot als Futtermittel für die Massentierhaltung importiert.
In einem gemeinsamen Projekt mit den Kolleg:innen des WWF Brasilien setzen wir uns für entwaldungsfreie Soja-Lieferketten ein. Die Arbeiten werden gefördert durch die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). In Brasilien legen wir unser Hauptaugenmerk auf die nachhaltige Produktion und Flächenüberwachung. In Deutschland steht hingegen die Sojabranche im Fokus, um ein gemeinsames Marktsignal zu setzen. Wir bieten Unternehmen und interessierten Akteuren entlang der gesamten Lieferkette eine Austausch- und Arbeitsplattform für die Transformation zu entwaldungsfreiem Soja. So versuchen wir gemeinsam den Sektor Schritt für Schritt umzugestalten. Unser Ziel: Ein sektorweites Statement zu entwaldungsfreien Lieferketten zwischen Brasilien und Deutschland. Denn eine solche tatsächlich positive Kettenreaktion hilft einerseits der Wirtschaft, vor allem aber dem Cerrado.
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