Als Neophyten werden üblicherweise Pflanzen bezeichnet, die seit der „Entdeckung“ Amerikas nach 1500 und damit dem Beginn des globalen Warenverkehrs bei uns absichtlich eingeführt oder eingeschleppt wurden und sich dann in der freien Natur ausgebreitet haben. „Neophyt“ bedeutet dabei lediglich: Neue Pflanze.
Doch Neophyten haben einen schlechten Ruf und viele Laien und auch Naturschützer:innen denken an solche Arten mit Grausen: Der Riesen-Bärenklau kann schlimme Verbrennungen verursachen. Die kanadische Goldrute verdrängt geschützte Orchideen und die Ambrosie ist für Allergiker schlimmer als jede andere Pflanze in Deutschland. So gibt es seit Jahrzehnten einen regelrechten Kulturkampf gegen die „Ausländer“ unter den Pflanzen. Ungerechtfertigt, wie ich finde. Ich möchte deshalb für mehr Toleranz gegenüber diesen Zuwanderern werben:
Neophyten sind nicht so schlecht wie ihr Ruf!
Die allermeisten Neophyten verursachen überhaupt gar keine Probleme und verdrängen keine heimischen Arten. Viele von ihnen bereichern unsere Ökosysteme. Auch Weizen, Walnuss, Kulturapfel – oder Blumen und Heilpflanzen wie Klatschmohn, Kornblume, Echte Kamille und Kornrade sind ursprünglich nicht bei uns zuhause, sondern durch den Menschen zu uns gekommen.
Kartoffel, Tomate, Aubergine, Mais, Kürbis und viele andere stammen zum Beispiel aus Amerika. Ohne „eingeschleppte“ Getreide‑, Obst- und Gemüsearten sähe es mit der Ernährung bei uns ganz schön trostlos aus. Vor der Einführung der Kartoffel aßen die meisten Mitteleuropäer den ganzen Tag Getreidebrei oder Brot. Als Gemüse gab es nur wenig dazu: Rüben, Kohl und Linsen.
Warum wird zwischen alten und neuen eingeschleppten Pflanzen unterschieden?
Etwa 12.000 Pflanzenarten sind seit 1500 zu uns gekommen. Die meisten davon werden in Gärten und Parks gehalten oder angebaut. Nur etwa 100 Pflanzen sind so „eingebürgert”, dass sie als Teil unserer heimischen Flora angesehen werden. Pflanzen, die schon vorher seit der Steinzeit zu uns gelangt und heute fester Bestandteil unserer heimischen Flora sind, bezeichnet die Wissenschaft hingegen als „Archaeophyten“ (Alte Pflanzen). Diese Einteilung ist aber eigentlich völlig willkürlich.
Warum sollten Arten, die nach 1500 zu uns gelangt sind, für unsere Natur gefährlicher sein als solche, die um 1400 oder zur Zeit der Geburt Christi kamen? Und sind sie gefährlich invasiv? Wie verhält es sich mit den Arten, die aus dem Garten flüchten? Sind sie nun gut oder schlecht? So einfach ist das nicht. Deshalb will ich mich heute genauer mit dem Phänomen Neophyten beschäftigen und einige Arten näher betrachten, die geschmäht werden.
Riesen-Bärenklau: Gesundheitsgefährdend und breitet sich aus
Der Riesen-Bärenklau (Heracleum mantegazzianum) wird auch Herkulesstaude genannt, weil er über drei Meter hoch wird. Er wurde im 19. Jahrhundert als Zierpflanze sehr beliebt. Ihre eigentliche Heimat hat die Herkulesstaude im Kaukasus. Aufgrund der späten Blüte ist sie eine wichtige Nahrungspflanze für Bienen. An Lichtungen im Wald wurde sie als Deckungspflanze für das Wild angepflanzt. Schnell hat sie die frischen, nährstoffreichen Standorte entlang von Fließgewässern besiedelt, so dass dadurch tausende von Samen flussabwärts verbreitet wurden. Sie wächst auch an Acker- und Grünlandstandorten und kann mit ihrer Größe und den immensen Blattflächen andere Arten verdrängen.
Wie problematisch ist der Riesen-Bärenklau?
Gelangt der Saft des Riesen-Bärenklaus auf die Haut, führt schon eine geringe Sonneneinstrahlung zu schlimmen Verbrennungen, oft mit Blasenbildung, deren Folgen monatelang anhalten können. So wird der Riesenbärenklau aus dem Kaukasus zum Opfer wahrer „Kreuzzüge“ gegen ihn. Aber: Der einheimische Bärenklau verursacht dieselben Verbrennungen und ist nicht dem Furor der Fremdenfeinde ausgesetzt.
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Der vom Riesen-Bärenklau ausgehende ökologische Schaden wird im Vergleich mit anderen invasiven Neophyten wie beispielsweise der Späten Traubenkirsche oder der Gewöhnlichen Robinie eher überschätzt. Es ist keine Art bekannt, die durch den Riesen-Bärenklau bedroht ist. An Flüssen und Bächen kann die Pflanze aber die Gefahr der Ufererosion erhöhen.
Ambrosie bedroht die Gesundheit
Ebenfalls ernsthaft gesundheitsgefährdend ist die Ambrosia artemisiifolia, auch Beifußblättriges Traubenkraut genannt. Die Ambrosie ist ein Neophyt, der in Nordamerika weit verbreitet ist und von dort unbeabsichtigt nach Europa gebracht wurde. Sie wächst besonders gern auf gestörten Böden, so beispielsweise an Straßenrändern, in Kiesgruben, an Bahndämmen, auf Baustellen und Schutthalden. Die häufigsten Wuchsorte sind aber Gärten, vor allem unter Vogelfutterplätzen: Mit Ambrosia-Samen verunreinigtes Vogelfutter ist der Haupteinfuhrweg!
Die Allergene der Ambrosia können auch bei Nicht-Allergiker:innen tränende Augen, Asthmaanfälle und Ekzeme verursachen. Die Pflanze blüht erst spät im Jahr, verlängert damit die Allergie-Saison und breitet sich rasch aus. Deshalb könnte sie zum Problem für unser Gesundheitssystem werden. Auch in ihrer Heimat Amerika verursacht die Pflanze große Gesundheitsprobleme. Daran sieht man, dass nicht nur Neophyten Schwierigkeiten bringen.
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Verschleudert seine Samen: Indisches Springkraut
Das Drüsige oder Indische Springkraut (Impatiens glandulifera) kam als Zierpflanze aus den Höhen des Himalajas zu uns. Es ist eine einjährige Pflanze, die in kurzer Zeit über zwei Meter hoch werden kann. Die großen purpurnen Blüten sind schön anzusehen und ein Paradies für Bienen: Das Indische Springkraut stellt etwa vierzigmal so viel Nektar her wie eine vergleichbare heimische Pflanze. An Flüssen und Bächen verdrängt das Springkraut aber einheimische Pflanzen, indem es seine Unmengen von Samen bei der kleinsten Berührung bis zu sieben Meter weit schleudert. Nach der Blüte im Herbst hinterlässt das Wildkraut an den Ufern kahle Stellen, die Erosionsgefahr steigt.
Ghettopalme oder Götterbaum?
Beides beschreibt den Baum ganz gut, der neuerdings besonders das Berliner Stadtbild stark prägt. Götterbaum, weil er extrem rasch wächst, bis zu vier Meter pro Jahr. Damit streckt er seine Krone schneller den Göttern entgegen, als jeder andere europäische Baum. Ghettopalme, weil der Baum mit den fiedrigen Blättern selbst im kleinsten Betonspalt und unter widrigen Stadtbedingungen mit Luftverschmutzung und urinierenden Hunden gut gedeiht.
Der Götterbaum stammt ursprünglich aus China. Während des Wiederaufbaus in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg wurde er zum „Trümmerbaum“, weil er auch hier allen Widrigkeiten trotzte. Jahrelang pflanzte man ihn gerne in Parks, bis man sich seiner invasiven Eigenschaften bewusst wurde. Doch wo nichts anderes wächst, sollten wir uns über „Ghettopalmen“ in widrigen Betonwüsten lieber freuen, als sie zu verteufeln.
Robinie: Düngt da, wo man es nicht braucht
Sicher habt Ihr die Robinie (Robinia pseudoacacia) mit ihren knorrigen Ästen und der wunderbaren, weißen Blütenpracht schon einmal gesehen. Sie wächst an Bahndämmen, auf trockenem, gestörtem Boden und wird gerne in Parks und Gärten gepflanzt. Auch wird sie in Wäldern gezielt angebaut, da man aus ihrem Holz haltbare Gartenmöbel herstellen kann und es eine Alternative zu importiertem Tropenholz darstellt. Vor vierhundert Jahren wurde sie nach den meisten Berichten vom französischen Hofgärtner und Apotheker Jean Robin nach Paris gebracht und sorgte dort für Staunen unter den Adligen, die bald die Pflanze wegen ihres Blütenduftes und den herrlichen Blüten in ihren Schlossparks anpflanzten. Der Baum ist eine wundervolle Bienenweide. Mit der Zeit verbreitete sich die Robinie über ganz Europa, Afrika, West- und Ostasien.
Mancherorts ist die Robinie jedoch eine invasive Pflanzenart geworden. Sie reichert nämlich den Boden mit Stickstoff an, „düngt“ ihn also. Dies kann vor allem seltene Biotop-Typen wie Magerrasen, Kalkmagerrasen und Sandtrockenrasen bedrohen. Seltene dort lebende Arten, die sich besonders auf die Nährstoffarmut eingestellt haben, können verdrängt werden.
Wenn Neophyten zum Problem werden: Japanischer Staudenknöterich
Bis zu 25 Zentimeter am Tag wächst der Japanknöterich (Reynoutria oder Fallopia japonica) und kann vier Meter hoch werden. Sein dichtes Blätterdach nimmt anderen Pflanzen das Licht. Seine zwei Meter tief reichenden Wurzeln machen Felder für den Anbau anderer Pflanzen unbrauchbar. Die Wildstaude kam 1825 als Zier- und Futterpflanze nach Europa und erobert seitdem unsere Flussufer, Waldränder und Bahndämme im Sturm.
Was tun gegen Neophyten?
Kann man dafür sorgen, dass eingeschleppte Pflanzen wieder verschwinden? Wenn die „Fremden“ sich einmal eingebürgert haben, hat man so gut wie keine Chance, sie wieder loszuwerden. Sicher kann man da und dort in der Natur „gärtnern“, also ausreißen, abmähen, ausgraben. Und wenn man froh ist, alle „Ausländer“ ausgerottet zu haben, sind doch noch Samen im Boden oder werden von Wasser und Wind herbeigetragen – und es geht alles von vorne los. Das erinnert mich an Sisyphos, der auf ewig einen Felsblock einen Berg hinaufwälzen musste, welcher, fast am Gipfel, jedes Mal wieder ins Tal rollte. Auf kleinen Flächen geht das vielleicht, wenn man jedes Jahr mit vielen ehrenamtlichen Helfern großen Aufwand treibt. Aber überall? Etwas anders sieht es mit Pflanzen aus, die sich noch nicht bei uns etabliert haben und jetzt erst zu uns kommen. Wenn man da hinterher ist, kann man vielleicht eine größere Verbreitung von wirklich invasiven, schädigenden Arten aufhalten. Und das sollte man auch tun.
Bitte nicht so fremdenfeindlich!
Nur einige wenige neue Pflanzen stören unsere Ökosysteme. Noch weniger sind gesundheitsgefährdend. Da durch die Eiszeiten viele ursprünglich bei uns heimische Arten ausgestorben sind, ist in zahlreichen ökologischen Nischen noch Raum für neue Arten. Die mitteleuropäischen Ökosysteme haben im Laufe der Eiszeiten eine hohe Widerstandsfähigkeit gegenüber neu eingewanderten Tier- und Pflanzenarten entwickelt. Sie können ohne negative Folgen von neuen Arten besetzt werden. Schon seit dem Ende der letzten Eiszeit vor 10.000 Jahren wandern Arten nach Mitteleuropa ein. Die neuen Pflanzenarten fügen sich in diese Geschichte der Zuwanderung ein. Der Klimawandel verstärkt diese Dynamik. Angesichts der Erderhitzung können wir davon ausgehen, dass sich die Verbreitungsgebiete zahlreicher Arten signifikant verlagern werden. Der Naturschutz muss sich in Zukunft verstärkt dem Schutz dieser Zuwanderer widmen. Insbesondere sollten wir solche Arten tolerieren, die in früheren Warmzeiten, also zwischen den Eiszeiten, bereits in Mitteleuropa einheimisch waren.
Vielen Dank für diesen tollen Beitrag — ich finde es gut für die “Neophyten” ruhig mal “eine Lanze zu brechen”. Wir Menschen verändern nun einmal die Welt mehr als die meisten anderen Lebewesen — das ist ein Teil unseres Seins. Und zugleich sind wir auch ein Teil dieser Welt.
Natürlich können die Neophyten Bestehendes durcheinander bringen und damit auch manches in seinem Dasein gefährden. So wie alles andere, das wir tun, aber auch. Sie sind deshalb aber keinesfalls per se “schlecht”.
Neophyten verändern unsere ursprüngliche Natur, und dabei gibt es naturgemäß Verlierer und Gewinner. Veränderung ist ein wesentliches Merkmal allen Lebens!
Diese Pflanzen werden hier früher oder später ihre feste Nische finden bzw. manche haben es schon. Sie werden ihren Platz, ihre Fressfeinde und ihre ebenbürtigen Konkurrenten finden.
Bis sich wieder etwas ändert. (-:
Der Beitrag zeugt von geringem Verständnis für die Problematik. Besonders spezialisierte Insekten sind nicht auf Neophyten, sondern auf zunehmend verdrängte einheimische Pflanzen angewiesen. Das Insektensterben ist enorm und andere Pflanzen–und Tierarten sind mitbetroffen. Der Artikel ist daher schmerzlich verklärend.