Über die Felder Mecklenburg-Vorpommerns weht eine typisch norddeutsche Brise, als mit langen Beinen und Schritten einige Straußenvögel die Landstraße queren, die man sonst in wärmeren Gefilden vermuten würde. In Südamerika genaugenommen. Denn es sind Nandus. Ursprünglich in Brasilien, Argentinien oder Paraguay beheimatet, bei uns eingeschleppt und damit Neozoen in Deutschland.
Neo – was?
Ein Neozoon oder mehrere Neozoen sind Tiere, die der Mensch in Lebensräume gebracht hat, in denen sie vorher nicht vorkamen. Absichtlich oder unabsichtlich. Als blinde Passagiere in Schiffen oder Flugzeugen, als Nutz- und Zuchttiere zum Beispiel für Pelztierfarmen – oder indirekt durch den Bau von Kanälen, die eigentlich getrennte Gewässer miteinander verbinden.
Wie die Nandus nach Mecklenburg kamen
Bis zu anderthalb Meter groß können die flugunfähigen Schreitvögel werden: Vor gut 20 Jahren brachen sechs Nandus aus einem Gehege bei Lübeck aus. Ihre Züchter bezweifelten, dass sie in der artfremden Umgebung überleben würden. Aber das taten sie. Und sie vermehrten sich – auf über 500 Tiere zwischen Ratzeburger See und Schaalsee. Die Bauern der Region beklagten enorme Schäden an ihren Feldern. Doch gefährden die gefräßigen, neuen Vögel zum Beispiel auch unsere Insektenwelt? Damit wären sie eine invasive Art.
Neozoon gleich invasive Art?
Nicht in jedem Fall. Als invasiv gilt eine eingewanderte Art, wenn sie einheimische Arten und Ökosysteme bedroht. Zum Beispiel auch, weil ihr hier die natürlichen Feinde fehlen. Die Nandus stehen auf der Grauen Liste der Arten, bei denen man das noch nicht weiß, die aber Potential zur invasiven Art haben. Nach langer Diskussion darf die streng geschützte Art zur Bestandsregulierung bejagt werden. Da unsere Winter den Tieren jedoch zusetzen, könnten die Nandus in Deutschland eventuell wieder aussterben.
Waschbären: Mit die erfolgreichsten Neozoen in Deutschland
Der Waschbär stammt ursprünglich aus Nordamerika und wurde 1927 für die Pelzzucht nach Deutschland eingeführt. Kurz darauf setzte ein Forstmeister zwei Waschbärpaare am hessischen Edersee aus, damit sie sich für die Jagd vermehren. Das taten sie. Am Ende des zweiten Weltkrieges entkamen außerdem einige Dutzend Tiere aus einer Pelzfarm bei Strausberg, einige Kilometer östlich von Berlin.
Die anpassungsfähigen Allesfresser verbreiteten sich schnell und können auch in Städten überleben. Schätzungsweise 1,3 Millionen Waschbären gibt es inzwischen bei uns in Deutschland. Sie fressen Obst, Nüsse, Käfer, Kröten, Fische, aber auch Sumpfschildkröten und ihre Eier, sowie als gute Kletterer Vögel, die sehr weit oben nisten. Inwieweit die Waschbären unseren heimischen Arten damit schaden und ob es Sinn macht, sie wieder zurückzudrängen, ist hoch umstritten.
Zum Verwechseln: Kein Waschbär, sondern ein Wildhund
Ihre Gesichtszeichnung ähnelt der von Waschbären und so ist ihr englischer Name auch Raccoon Dog, also Waschbärhund. Bei uns heißen sie Marderhunde und leben als Neozoen in unseren Wäldern und Feuchtgebieten, seit sie als Pelztiere nach Russland gebracht, dann zu Hauf in der Ukraine ausgesetzt wurden und sich bis nach Südeuropa ausbreiteten.
Mit dem WWF-Newsletter nichts mehr verpassen!
Ursprünglich stammen die Wildhunde aus Ostasien. Im Gegensatz zum Waschbären leben sie viel versteckter. Und sie haben keinen geringelten Schwanz.
Rosa Neozoen im Münsterland: Flamingos aus den Anden
Es ist die nördlichste Flamingokolonie der Welt, die seit etwa 30 Jahren Nordrhein-Westfalens Moor- und Heidelandschaft an der niederländischen Grenze besiedelt. Abgesehen von einigen Europäischen Flamingos, die aus Südfrankreich hergeflogen sein könnten, besteht die Kolonie hauptsächlich aus Chileflamingos aus Südamerika. Unklar ist bis heute, wie sie hierhergekommen sind. Vermutlich sind sie aus Zoos oder privater Haltung entwichen.
Gelbkopfamazonen: Bunte Papageien in Stuttgart
Ebenfalls exotisch, bunt gefiedert und erstaunlicherweise in unseren Breiten etabliert ist eine Population von Gelbkopfamazonen in Stuttgart. Die Papageienart kommt ursprünglich aus Mexiko und Zentralamerika, kann die menschliche Stimme nachahmen und ist in ihrer Heimat vom Aussterben bedroht. Den Ursprung der Neozoen-Population in Stuttgart bildeten eine entflogene und eine ausgewilderte Gelbkopfamazone in der 1980er Jahren.
Halsbandsittiche: Häufige Neozoen bei uns in Deutschland
Folge uns in Social Media
Weit häufiger und inzwischen in vielen deutschen Städten verbreitet sind die grünen Halsbandsittiche, deren Bestände ebenfalls auf entflogene Vögel zurückgehen. Sie stehen als potentiell invasiv unter Beobachtung, weil sie mit heimischen Arten um Nahrung und Nistplätze konkurrieren.
Fremde Wasserratten: Nutria und Bisam
Die Nutria, auch Biberratte genannt, stammt aus Südamerika, die Bisamratte aus Nordamerika. Beide wurden für die Pelzzucht nach Europa eingeführt, doch häufig ausgesetzt, als die Nachfrage sank und die Preise fielen.
Nutrias werden gute 60 Zentimeter lang und leben heute an vielen deutschen Gewässern, vor allem entlang des Niederrheins und im Spreewald. Mehr als 100.000 Nutrias wurden zuletzt in einer Jagdsaion erlegt — 57 Mal mehr Tiere als noch vor 20 Jahren.
Bisamratten sind nur etwa halb so groß und gelten vielerorts als Schädlinge, weil sie zum Beispiel Deiche schädigen.
Wollhandkrabben: Neozoen-Invasion aus China
Sie gehört zu den gefährlichsten Neozoen der Welt. Denn die Chinesische Wollhandkrabbe ist wanderlustig, anpassungsfähig und sehr vermehrungsfreudig. Die großen Krebse stammen aus China und Korea und sind vor gut hundert Jahren vermutlich im Ballastwasser von Schiffen zu uns nach Deutschland gekommen: Bei Leerfahrten oder wenig Ladung gleichen Frachtschiffe ihre Stabilität mit Hilfe von Wassertanks aus.
Wollhandkrabben leben im Süßwasser, wandern zur Fortpflanzung aber zum Meer und siedeln heute in allen Nord- und Ostsee-Zuflüssen. Sie sind Nahrungskonkurrenz für viele hier heimische Arten — auch Fische – und gelten deshalb als invasiv und Bedrohung für die Fischerei. Durch das Graben von Gängen beschädigen sie außerdem Dämme und Deiche und haben bei uns in Deutschland bereits Schäden von mindestens 80 Millionen Euro verursacht.
Lästige Neozoen: Asiatische Marienkäfer
Ebenfalls stark invasiv sind die Asiatischen Marienkäfer. Sie unterscheiden sich von den hier heimischen Marienkäfer-Arten durch eine gelblichere Färbung und mehr Punkte. Für uns Menschen werden sie zur Plage, wenn sie im Herbst in ganzen Trauben in der Wohnung hängen. (Und sie können beißen, wobei man das zwar spürt, es aber nicht gefährlich ist.)
Für unser Ökosystem können sie eine Gefahr werden, weil sie – gefräßiger und vermehrungsfreudiger – die heimischen Arten verdrängen. Die Asiatischen Marienkäfer wurden einst zur biologischen Schädlingsbekämpfung nach Europa geholt und sind das beste Beispiel dafür, was der Mensch mit seinem Eingreifen in die Natur anrichten kann.
Hier könnt Ihr alles zum Asiatischen Marienkäfer noch einmal genauer nachlesenVom riesigen, bis zu einem Kilo schweren Amerikanischen Ochsenfrosch über Asiatische Buschmücken und Süßwasserquallen bis hin zu Nilgänsen aus Afrika und dem Mink, dem Amerikanischen Nerz, gibt es insgesamt bei uns in Deutschland mindestens 1100 gebietsfremde Tierarten.
Neozoen, Neophyten und Neobiota: Eine Begriffsklärung
Neben den Neozoen — also eingeschleppten Tieren, zu denen übrigens auch Würmer und Parasiten gehören — gibt es die Neophyten, die eingeschleppten Pflanzen.
Dazu gehört zum Beispiel der Riesenbärenklau aus dem Kaukasus, der durch Hobbygärtner verbreitet wurde, giftig ist und zu Verbrennungen und Atemnot führen kann. Extrem viel Mühe macht die Beseitigung der ebenfalls gefährlichen Ambrosia. Oder das Indische Springkraut aus dem Himalaya, das als Zierpflanze eingeführt wurde und nun heimische Arten an unseren Bächen verdrängt.
Der Oberbegriff für Neozoen und Neophyten zusammen ist Neobiota.
Super schön beschrieben und lehrreich – der Marderhund war mir zuvor unbekannt.
Bei den fremden Pflanzen (Neophyten) hat es jeder selber in der Hand seiner Verantwortung gerecht zu werden. Es muss nicht gleich um das Vernichten der Pflanzen gehen (wie in der Schweiz), aber ein nicht-selber-ausbringen unterstützt die richtige Sache auch.