Wenn ich einen Text schreibe, egal ob es ein Blogbeitrag ist, eine Pressemitteilung oder ein Redemanuskript, kommt es vor, dass ich nicht weiter weiß. Ich hänge dann an einer bestimmten Stelle, suche nach geeigneten Worten oder einem Gedanken. Nicht immer finde ich sofort etwas Passendes, um eine Textlücke zu schließen. Daher markiere ich mir häufig diese Stelle mit „XXX“. Nach dieser Woche stehen drei große X nicht auf einem Papier, sondern prangen in meinem Kopf. Das erste Mal seitdem ich politisch denken kann, fühle ich eine gewisse Verzweiflung und Unsicherheit. Wie soll es weitergehen nach dieser Woche? Wie wird es weitergehen?
XXX
In den vergangenen Jahren in der Pressestelle des WWF habe ich häufig größere oder kleinere Hiobsbotschaften verkündet. Doch ich blieb stets ein Optimist. Erst vor zwei Wochen etwa veröffentlichten wir unseren neuen Living Planet Report und beim WELTN24-Livestream habe ich den Facebook-Usern erklären müssen, dass die Menschheit gerade dabei ist, ihr Naturkapital zu verprassen und wir deutlich über unsere Verhältnisse leben. Eine Herausforderung, die wir meistern müssen, das war meine Einstellung. Selbst nach dem dramatischen und krachenden Scheitern es Klimagipfels von Kopenhagen im Jahr 2009 war ich davon überzeugt, dass wir weiterhin eine Chance haben, das Blatt noch zu wenden. Doch jetzt…
XXX
Plötzlich wurde jemand zum neuen US-Präsidenten gewählt, für den der Klimawandel eine „Erfindung der Chinesen“ ist. Was bedeutet das für die Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens? In Marrakesch sollen laut TAZ sogar Tränen geflossen sein. Ausgerechnet in einem solchen Moment fällt auch noch die Bundesregierung aus: Noch am Vorabend der US-Wahl kassierte Wirtschaftsminister Gabriel einen mühsam ausgehandelten Klimaschutzplan der Bundesregierung und ließ seine Parteifreundin und Ministerkollegin Hendricks mit leeren Händen nach Marokko fahren.
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Doch es geht um mehr als um internationale Klimapolitik. Nach dem Brexit überwogen bei mir Trotz und Kampfgeist. Doch die Unsicherheit, wie es mit Europa und damit mit mir persönlich weitergeht, wurde in den vergangenen Monaten immer stärker. Auf SPON hat Jakob Augstein gar das Ende des Westens ausgerufen: „Nach dem Versagen der liberalen Demokratie blüht uns nun ein autoritäres Zeitalter.“ Ein Ende von Meinungsfreiheit, Demokratie und Liberalität? Allein die Tatsache, dass ich mir diese Frage ernsthaft stelle, macht mir, ja ich gebe es zu, Angst.
XXX
Angst ist ein großes Wort. Und doch ist sie gerade für mich persönlich verdammt greifbar und real. Sie ist eine Folge der vergangenen Monate. Immerhin gibt es auch hier in Deutschland inzwischen wieder gewählte Volksvertreter, die finden, Homosexuelle sollten sich nicht öffentlich zeigen und falls doch, sollte man sie einsperren. Antisemitische Straftaten steigen rasant an. Und vor den Toren von Europa ertrinken Menschen im Meer, was hierzulande viel zu oft nur ein Schulterzucken auslöst. Vielleicht auch, weil unsere Turnhallen wieder leer sind, während Italien mit überfüllten Aufnahmelagern kämpft. Was passiert eigentlich gerade mit unserer Gesellschaft? Mir will in den vergangenen Tagen einfach nicht ein Lied von Konstantin Wecker aus dem Kopf gehen, in dem er die Angst vor dem Mob und die Angst um die Kinder und Narren, die Verrückten und die Bizarren besingt: „Und wenn du, wie früher, von mir Lieder der Hoffnung verlangst — da ist zwar ein Sehnen in mir, aber eigentlich habe ich Angst.“
XXX
Gegen Angst und Unsicherheit helfen mir gerade auch die Titelseiten, Bilder und Headlines der Medien relativ wenig. Ich habe mich stattdessen mal bewusst auf die Suche gemacht, nach jenen, die beruhigen und nüchtern einordnen. Gefunden habe ich zum Beispiel den Historiker Jürgen Kocka im DEUTSCHLANDRADIO KULTUR. Oder Steven Herz von SIERRA CLUB im Interview mit KLIMARETTER. Und auch in dem TAZ-Artikel über die Tränen von Marrakesch findet sich ein bemerkenswerter Satz: „Die internationale Gemeinschaft ist schnell darin, sich an die Gegebenheiten anzupassen.“
XXX
Am Ende der Woche sind die XXX in meinem Kopf nicht verschwunden. Das Gefühl der Verunsicherung bleibt. Und es wird mich weiter begleiten. Aber ich bin nicht länger erstarrt. Das Prinzip Hoffnung kehrt zurück. Genauso wie Trotz und Kampfgeist. Ich denke wieder daran, dass es selbst in den vergangenen Wochen Erfolge für den internationalen Umweltschutz gab. Ich denke an Jugendliche, die Flüchtlinge aus dem Mittelmeer retten. Und daran, wie ich vergangenen Sommer beim CSD für meine Rechte durch Berlin tanzen konnte – und dass ich es nächstes Jahr wieder tun werde. Niemals zuvor schien das dringlicher zu sein. Und ich versuche öfters eine Melodie von Elton John in meinen Kopf zu bekommen, anstatt von Konstantin Wecker: „I’m still standing. Yeah yeah yeah.“
Klimaschutz ist für die Zukunft wichtig und wir müssen alle achtsam mit der Natur umgehen.