Als WWF-Wattenmeerexperte in Husum habe ich eine wunderbare Welt voller Robben, Wildgänse, Möwen und Seeschwalben täglich vor der Tür. Aber wie lange noch? Große Teile des Watts drohen dauerhaft im Meer zu versinken. Denn Fakt ist: Die Nordsee wird durch den Klimawandel schneller ansteigen. Teile des Nationalparks Wattenmeer, die heute noch zwei Mal am Tag bei Ebbe trocken fallen, könnten in Zukunft ständig unter Wasser stehen. Und wir Menschen sind durch unseren Treibhausgasausstoß dafür mitverantwortlich. Welche Folgen sind zu erwarten und was können wir tun, damit das Watt nicht im Meer versinkt?
Was bedeutet der Meeresspiegelanstieg für Vögel und Seehunde?
Zugvögel, Seehunde und Kegelrobben sind auf die Wattflächen und Sandbänke angewiesen. Viele Vögel hätten weniger Platz zum Rasten — und sie finden dann auch viel weniger Nahrung. Für Seehunde und Kegelrobben bedeutet ein Versinken des Watts, dass ihre Liege- und Aufzuchtplätze teilweise dauerhaft unter Wasser stehen würden.
Auch für uns Menschen an der Nordseeküste hat der Meeresanstieg Folgen.
Sturmfluten laufen höher auf und gefährden unsere Küstenniederungen. Trotz immer besserer Deiche steigt das Risiko einer Überflutung mit dem steigenden Meer. Noch trägt das Wattenmeer übrigens zum Schutz vor Überflutungen bei. Denn die Wattflächen, Salzwiesen, Inseln und Halligen wirken wie ein Puffer gegen Sturmfluten. Die Wellen verlieren im flachen Wattenmeer ihre meiste Energie, lange bevor sie die Deiche am Festland erreichen.
Wie schnell steigt die Nordsee?
Selbst bei einer guten Klimapolitik, die wir unbedingt brauchen, wird die Nordsee künftig schneller ansteigen. Wir haben so viele fossile Energien wie Öl und Gas verbrannt, dass der Meeresspiegel durch die Erderwärmung für viele Generationen ansteigen wird, auch im Wattenmeer. Die Klimaforschung rechnet weltweit bis zum Ende unseres Jahrhunderts mit einem Anstieg um etwa einen Meter und mehr. Die einmalige Landschaft an der Nordseeküste wird darunter erheblich leiden. Das UNESCO Weltnaturerbe Wattenmeer ist bedroht.
Wie kann das Wattenmeer mit dem Meeresanstieg mitwachsen?
Wattflächen, Salzwiesen und Dünen drohen zwischen dem steigenden Meer und den Deichen eingequetscht zu werden. Wir müssen der Natur mehr Raum geben, um sich auszubreiten und zu verlagern. Das Wattenmeer braucht mehr „Bewegungsfreiheit“.
Ein Beispiel ist die Öffnung von Sommerdeichen, wie sie in Niedersachsen und den Niederlanden schon stattfindet. Davon profitiert die Natur und die Salzwiesen in den ehemals eingedeichten Gebieten können wieder aufschlicken und mit dem Meeresanstieg aufwachsen.
England: Küstenschutz mit der Natur
An der englischen Küste werden sogar Deiche verlegt. Dadurch entstehen neue Salzwiesen. Das hilft auch dem Küstenschutz, weil die Wellen durch die Pflanzenschicht abgebremst werden.
Eine solche Anpassung der Deichlinie kann sowohl die Sicherheit vor Sturmfluten verbessern als auch dabei helfen, Kosten zu sparen. Und nicht zuletzt sind solche sensationellen Wasserlandschaften eine Attraktion für Besucher, die vor Ort auch Einnahmen im Tourismus bringen.
Sichere Deiche an der Nordsee
Gerade an der Nordseeküste hat der Deichbau eine lange Tradition und ist für die ganze Region von großer Bedeutung: Viele Küstenniederungen würden ohne den Schutz der Deiche täglich überflutet werden und heute sind die Deiche an der Nordsee so hoch und so sicher wie nie zuvor in der Vergangenheit.
Eine Verlegung der Deichlinie in manchen unbewohnten Küstenniederungen kann aber sogar mehr Sicherheit bedeuten. Denn die natürliche Widerstandsfähigkeit der Küste gegenüber dem Meeresanstieg ließe sich weiter ausbauen. Salzwasser beeinflusste Niederungen funktionieren nach einer Deichöffnung als zusätzlicher Puffer gegen Sturmfluten.
Und durch ein Aufschlicken der Marschen würden diese wieder mit dem steigenden Meer aufwachsen. Diese amphibische Naturlandschaft hätte zusätzlich einen echten Mehrwert für die Erholung suchende Menschen. Und sie würde dem Wattenmeer dabei helfen, mit dem Meeresspiegelanstieg mitzuwachsen.
Mehr Sand für das Wattenmeer
Steigt das Meer in Zukunft zu schnell, braucht das Wattenmeer zusätzliches Sediment, um mitzuwachsen. Es kann deshalb sogar erforderlich werden, dass wir diesen Sedimentmangel aktiv mit Sand ausgleichen müssen. Für die Küste in Schleswig-Holstein haben sich viele Beteiligte gemeinsam mit uns dazu in einer „Strategie für das Wattenmeer 2100“ Gedanken gemacht.
Solche Sandzugaben erscheinen auf den ersten Blick widersprüchlich in einem Nationalpark. Sie wären auch ein großer Eingriff, aber im Sinne des Naturschutzes. Der nötige Sand sollte aus der vorgelagerten tiefen Nordsee außerhalb des Wattenmeeres stammen. Vorher sind sorgfältige Umweltprüfungen nötig. Der Sand müsste an „strategischen Positionen“ in das Wattenmeer eingebracht werden, so dass er sich auf natürlichem Wege durch Gezeiten und Strömungen verteilt. Wie gesagt, ein starker Eingriff! Aber der beschleunigte Meeresspiegelanstieg durch den Klimawandel stellt einen noch viel größeren Eingriff dar, den wir Menschen maßgeblich mit verursacht haben. Und er gefährdet das Wattenmeer in seiner Substanz. Wenn wir das Wattenmeer erhalten wollen, müssen wir ihm helfen, mitzuwachsen.
Mehr tun und weiterlesen zu Klimaschutz und Wattenmeer
Zehn wichtige Tipps für den Klimaschutz zu Hause findet Ihr hier!
Und mehr zum Klimawandel im Wattenmeer hier: www.wwf.de/watt/klima
So weit ich mich an meine Zahl reichen Küstenbesuche erinnere, Steht einer das Watt erweiternden Deichverschiebung ins Hinterland die teils sehr nahe am Deich liegende Bebauung entgegen. Auch außerhalb von Siedlungsgebieten werden sich die davon betroffenen Landwirte kaum ohne Entschädigungszahlungen bereit erklären, auf ihre produktiven Felder freiwillig zu verzichten.
Hallo Matthias H., danke für den Kommentar. Er macht auf einen wichtigen Punkt aufmerksam.
Es stimmt, Deichverlegungen sind in dicht besiedelten und landwirtschaftlich intensiv genutzten Küstenniederungen aus heutiger Sicht nur schwer umsetzbar. Das Beispiel Wallasea Island aus England macht aber Mut und zeigt, dass dies selbst auf vorher intensiver landwirtschaftlich genutzten Flächen möglich ist. Die Flächen müssen hierzu natürlich vorher erworben werden.