Was bedeutet gutes Leben? Diese Frage ist vermutlich so alt wie die Menschheit selbst. Spätestens mit der Antike und nicht zuletzt den Denkanstößen der Aufklärung gewann die Debatte um eine sinnvolle, zufriedenstellende Ausgestaltung des Lebens in Europa an Bedeutung. Der italienische Philosoph Niccolò Machiavelli formulierte seine These mit den Worten: „Ich glaube, dass der rechte Weg, ins Paradies einzugehen, der sein würde, den Weg zur Hölle kennen zu lernen, um ihn zu meiden.“
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Die Ursprünge des „guten Lebens“
Doch schon viele Jahrhunderte zuvor stellte man sich diese und ähnliche Fragen in einigen anderen Teilen der Welt. So divers die Kulturen der Fragenden sind, so divers sind auch ihre Antworten. Beispielsweise liegt der Fokus in einigen asiatischen Ländern auf dem Konzept von Wiedergeburt und Karma, welches basierend auf unseren Handlungen positiv oder negativ vom aktuellen ins nächste Leben übertragen wird. Im südlichen Afrika beschreibt das Lebensprinzip Ubuntu, wörtlich übersetzt Gemeinschaftssinn oder Menschlichkeit, das friedliche Zusammenleben basierend auf gegenseitigem Respekt und mit dem Bewusstsein, Teil einer Gemeinschaft zu sein.
Die indigenen Völker der südamerikanischen Anden verfolgten wiederum ein eigenes Konzept: Sumak kawsay in der Sprache der indigenen Quechua und Buen Vivir auf Spanisch, was buchstäblich „gutes Leben“ bedeutet. Die Grundhaltung des Buen Vivir basiert auf dem Prinzip der Pachamama, bei dem die Erde selbst als Gottheit und nährende Grundlage allen Lebens geehrt wird.
Neben der eigenen und gemeinschaftlichen Erfüllung steht im Buen Vivir vor allem das Leben im Einklang mit der Natur und ein bedachter Umgang mit ihren Ressourcen im Vordergrund. Passend dazu wird auch die Umwelt nicht als Objekt betrachtet, sondern vielmehr als Subjekt ausgestattet mit eigenen Rechten. Die Weiterentwicklung des Buen Vivir vereint ökologische, feministische ebenso wie marxistische und humanistische Ansätze und stellt damit einen Gegenentwurf zum eurozentristischen Wohlstands- und Entwicklungskonzept dar, das die Welt in monetär arm und reich und kulturell zurückgeblieben und zivilisiert einordnet.
Es ist also keine rein spirituelle oder philosophische Weltanschauung. Buen Vivir wurde im Laufe der Jahre auch ein wichtiger Pfeiler in den Widerstandskämpfen des Globalen Südens. Dessen schmerzhafter gemeinsamer Nenner sind die traumatischen Erfahrungen des Kolonialismus und die bis heute anhaltende Marginalisierung im Rahmen des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Prinzipien wie das des Buen Vivir sind dabei nichts Geringeres als der Anstoß eines tiefgreifenden Wandels in Wirtschaft und Gesellschaft zugunsten eines besseren Lebens für alle.
Gutes Leben als Politikum
Umfragen wie der World Happiness Report suggerieren, dass besonders die skandinavischen Länder vorn liegen müssten, wenn es um staatliche Bemühungen rund um gutes Leben geht. Doch der Eindruck täuscht. Weltweit ist das Recht auf gutes Leben bisher nur in den Verfassungen von drei Ländern offiziell verankert: Bhutan, Bolivien und Ecuador.
In Bhutan beispielsweise gibt es die weltweit einzigartige Kennzahl des Bruttonationalglücks. Das BNG wird regelmäßig anhand eines Fragebogens mit mehreren Schwerpunktthemen erhoben. Dazu gehören u.a. mentales und körperliches Wohlbefinden, Bildung, gesellschaftliche und kulturelle Teilhabe, gute Regierungsführung sowie ökologische Vielfalt.
Ecuador gelang mit der Verfassung vom 20. Oktober 2008 initiiert vom damaligen Präsidenten der Verfassungsgebenden Versammlung Alberto Acosta ein internationaler Meilenstein. Gestützt auf der Vision der südamerikanischen Ikonen Simón Bolívar und Eloy Alfaro von Frieden und Solidarität aller Völker der Erde, erklärte Acosta das Prinzip des Buen Vivir zum Staatsziel. Bolivien zog nur ein Jahr später ebenfalls nach. Artikel 275 der ecuadorianischen Verfassung führt zur genaueren Definition aus: „Das Buen Vivir erfordert, dass Personen, Gemeinschaften, Völker und Nationen tatsächlich im Besitz ihrer Rechte sind und ihre Verantwortlichkeiten im Kontext der Interkulturalität, des Respekts ihrer Diversität und des harmonischen Zusammenlebens mit der Natur ausüben.“
Wo das Prinzip schon angewendet wird
Es stellen sich folglich die großen Fragen nach der konkreten Umsetzung und inwiefern dieses vorwiegend im Globalen Süden verankerte Prinzip die nötige Unterstützung aus dem globalen Norden erhält.
Mit dem WWF-Newsletter nichts mehr verpassen!Einer der ersten praktischen Vorschläge Ecuadors zur Umsetzung des Buen Vivir ist es, ein bedeutendes Ölvorkommen im Yasuní-Nationalpark im Boden zu belassen. Das liegt nämlich mitten im Amazonasgebiet – eine der artenreichsten Regionen der Erde. Infolge von Widersprüchen innerhalb der ecuadorianischen Regierung sowie des fehlenden internationalen Rückhalts konnte sich die Yasuní-ITT-Initiative letztlich nicht durchsetzen. Trotz aller Rückschläge gelang es Ecuador, im August dieses Jahres erfolgreich ein Referendum zum Stopp der Erdölförderung im Yasuní-Nationalpark durchzuführen. Das Votum bedeutet einerseits den sicheren Verbleib von fast 800 Millionen Barrel Öl unter der Erde und zeigt andererseits, dass die Vision eines Lebens im Einklang mit der Natur stärker ist denn je. Doch die Entscheidung hat auch einen bitteren Beigeschmack. Denn in diesem Fall muss Ecuador, anders als bei der früheren ITT-Initative geplant, ohne Kompensationszahlungen des Globalen Nordens die Konsequenzen des Votums alleine tragen.
Buen Vivir – Chance für die Zukunft?
Doch die Schonung natürlicher Ressourcen und wirtschaftlicher Erfolg widersprechen einander nicht zwangsläufig. Das zeigen unter anderem die indigenen Kooperativen, in denen traditionelle Anbaumethoden über Generationen hinweg zum Einsatz kommen. Die Kooperativen der ecuadorianischen Regionen Esmeraldas und Napo, gelegen an der pazifischen Küste bzw. im Amazonastiefland, zeigen das besonders gut. Hier bauen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in sogenannten Colinos und Chakras verschiedenste Obst- und Gemüsesorten an, ebenso wie Vanille, Kaffee und Kakao. Das Besondere an diesen nachhaltigen Agroforstsystemen ist ihre Einbettung in die lokale Natur. Beispielsweise gedeihen Kakao-Pflanzen in den Chakras, den Waldgärten des Amazonas, inmitten der Baumriesen und in Kombination mit verschiedensten anderen Arten. Die ursprüngliche Flora muss nur so viel weichen wie für den Anbau im Wald notwendig ist.
Das Ergebnis ist Edelkakao in Premiumqualität, der weltweit aufgrund seiner besonders feinen Aromen geschätzt wird.
Beispiele wie dieses zeigen, dass eine Kombination des guten Lebens von und mit der Umwelt und wirtschaftlichem Nutzen durchaus gelingen kann. In jedem Fall aber stellt das Prinzip des Buen Vivir einen richtungsweisenden Denkanstoß dar – nicht nur für die Ausgestaltung unseres individuellen Lebens, sondern auch und vor allem für den zukünftigen Umgang mit unserer gemeinsamen Lebensgrundlage: unserer Erde.
Der Einsatz des WWF
Der WWF Deutschland setzt sich u.a. in einem gemeinsamen Projekt mit dem WWF Ecuador und der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung für die Förderung von indigenen Anbaumethoden und dem Aufbau von transparenten Lieferketten ein, die frei sind von konventioneller Entwaldung. Unser Schwerpunkt liegt dabei auf nachhaltig produziertem Kakao aus den oben genannten Regionen Esmeraldas und Napo.
Wenn auch du beim Einkauf von Kakao und Schokolade einen Beitrag leisten willst, achte auf das BIO-Siegel in Kombination mit den Siegeln von Fairtrade oder Rainforest Alliance.
Mehr Infos zu unserem Projekt findest du hier.
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