„Er setzt mit unglaublicher, geradezu unverständlicher Sicherheit die Wände hinauf. Beim Springen scheint er den Körper wie einen Ball in die Höhe zu schnellen und die Felsen kaum zu berühren. Spielend schwingt er sich von einer Klippe zur anderen und ohne Besinnen setzt er herab in unbestimmte Tiefe.“
Wer einmal bei einer Bergwanderung in den Alpen die grazilen Kletterkünste des Steinbocks beobachten durfte, kann die Begeisterung von Tiervater Brehm nachempfinden. Dabei ist es alles andere als selbstverständlich und nur einer heimlich-illegalen Aktion von Tierfreunden zu verdanken, dass es hier wieder Steinböcke gibt.
Urtier unserer Alpen
Alpensteinböcke leben in hohen Lagen auf bis zu 3500 Meter zwischen der Baum- und der Eisgrenze. Die Männchen – oder Böcke – tragen einen langen Ziegenbart unter dem Kinn und können über hundert Kilogramm schwer und einen knappen Meter groß werden. Die Weibchen, Steingeißen genannt, bleiben halb so schwer. Im Sommer sind die Böcke dunkelbraun, die Geißen heller rötlich bis golden. Das dichte, warme Winterfell beider Geschlechter tendiert nach Grau.
Schon seit der Steinzeit waren Steinböcke Jahrtausende lang wichtiges Jagdwild der Menschen in Bergregionen, wie man durch Höhlenmalereien weiß. Vor einigen Jahren wurden im Ötztal in Tirol Überreste eines 3500 Jahre alten Tieres aus der Bronzezeit gefunden. Sie zeigen: Die Steinböcke waren damals größer als heute.
Warum der Steinbock so gut klettern kann
Steinböcke klettern in steilem und felsigem Gelände, das für andere Lebewesen vergleichbarer Größe nahezu unzugänglich ist. Sie erklimmen sogar regelmäßig eine fast senkrechte Staumauer in den italienischen Alpen. Ihre Hufe sind perfekt an ein Leben in Fels und Gestein angepasst. Die Zehen sind beweglich, ihre harten Hornkanten haken sich in den Stein, die weichen Ballen darin passen sich jeder Unebenheit an. Etwas längere Hinter- als Vorderbeine erleichtern das Klettern zusätzlich.
Von der Staumauer lecken die Wildziegen übrigens Mineralsalze ab, die den Vegetariern sonst fehlen: Alpensteinböcke ernähren sich von Kräutern, Gräsern, Knospen, Trieben, Flechten und Moosen.
Schwere Hornpracht
Das stattliche Gehörn der Böcke kann bis zu einem Meter lang und vier Kilo schwer werden. Geißen besitzen hingegen nur kurze, glatte gebogene Hörner.
Die nach hinten geschwungenen, dicken, auffälligen Hörner der Männchen mit häufig ausgeprägten wulstigen Ringen dienen vor allem Kämpfen um die Rangordnung. Laut krachend schlagen die Böcke sie dutzende Male gegeneinander. Die Kämpfe folgen dabei interessanterweise strengen Ritualen und sind dadurch nur selten lebensgefährlich!
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Begehrt wie Elfenbein
Zermahlene Hörner, Hufe oder Steinbock-Blut: Lange schrieb die Volksmedizin allen verwertbaren Teilen der Bergziege wundersame Heilkräfte zu. Auch den Bezoar-Steinen aus dem Magen der Tiere: Klumpen aus Haaren, Harzen und anderem Unverdaulichem, die Harry-Potter-Fans kennen werden und denen unglaubliche Heilwirkung nachgesagt wurde. Fleisch, Fell und Trophäen waren ebenfalls beliebt.
Obwohl er in den karg bewachsenen, steinigen Höhen über den Siedlungen lebt, war der Steinbock deshalb nicht sicher vor den Nachstellungen des Menschen. Bis zur Einführung der Feuerwaffen war es noch recht mühselig, die flinken Tiere im unwegsamen Gelände mit langen Speeren oder Armbrüsten zu erlegen. Doch das änderte sich rasch im 15. Jahrhundert, als die „Handpüxn“ aufkamen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war der Steinbock fast ausgerottet. Seine Rettung ist einer der größten Erfolge früher Naturschutzbemühungen!
Nacht- und Nebelaktion zur Rettung der Steinböcke
Nur einige Dutzend Exemplare überlebten damals im italienischen „Gran Paradiso“- Massiv zwischen Piemont und dem Aostatal, dem Jagdgebiet von König Victor Emanuel II. von Italien. Er stellte eigens etliche Wildhüter ein. Wilderern drohten drakonische Strafen. Langsam erholten sich die Bestände.
Doch als die Schweiz und andere Länder sich besannen, Steinböcke zu schützen und wieder heimisch zu machen, verweigerte die italienische Krone viele Jahre, ihnen einige der letzten „Steintiere“ zu Zuchtzwecken zu überlassen.
1906 kaufte die Schweiz deshalb drei Kitze von einem Wilderer, der diese im „Grand Paradiso“ gestohlen hatte – zu einem Stückpreis, der heute etwa dem Wert eines Mittelklassewagens entspricht. Einige weitere gestohlene Tiere folgten und bald wurden auch Exemplare offiziell gekauft. Von diesen wenigen Tieren stammen sämtliche Steinbockherden ab, die heute in den Alpen leben.
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Wo leben Steinböcke heute?
Durch konsequenten Schutz und erfolgreiche Wiederansiedlungsprogramme bewohnen heute wieder rund 40.000 der edlen Wildziegen die Hochlagen der Alpen von Frankreich bis nach Slowenien. Bei uns in Deutschland zum Beispiel in den Allgäuer und Berchtesgadener Alpen und an der Benediktinerwand.
Was machen Steinböcke im Winter?
Auf der Suche nach geeigneten Wintergebieten wandern die Alpensteinböcke bis zu 50 Kilometer entlang von Graten zu sonnenbeschienenen Südhängen oder in tiefere Lagen. Denn so gut sie ans Gebirge angepasst sind, haben sie wegen ihrer Größe und der geringen Huffläche im hohen Schnee oft Probleme. Winterschlaf machen sie keinen, fressen sich aber vorher ausreichend Winterspeck an.
Sind Steinböcke und Gämsen das Gleiche?
Nein. Die Gämse oder Gams ist eine andere Wildziegenart. Sie ist kleiner als der Steinbock. Auch die Männchen haben nur kurze, dünne Hörner und tragen keinen Bart. Auffälliger Unterschied ist außerdem die schwarz-weiße Kopfzeichnung der Gämsen. Ihre Rangordnungskämpfe sind im Gegensatz zu denen der Steinböcke tatsächlich lebensgefährlich. Und ihr Lebensraum ist fast nur auf Europa beschränkt, während es Steinböcke sogar in Afrika gibt.
Von Äthiopien bis Russland: Die anderen Steinbock-Arten
Denken wir an Steinböcke, haben wir meist den Alpensteinbock im Kopf. Aber es gibt von Afrika über Vorderasien bis nach Sibirien noch sechs weitere Arten. Sie alle leben kletternd in Hochgebirgen und die Böcke tragen die typischen Hörner.
Die Arten aus den wärmeren Gefilden, der Äthiopische, Syrische und Iberische Steinbock sind kleiner, leichter und in verschiedenen Abstufungen heller als der Alpensteinbock. Ost- und Westkaukasische Steinböcke leben ungewöhnlicherweise auch in Waldgebieten. Sibirische Steinböcke leben von Südrussland und der Mongolei über China bis nach Indien und Afghanistan – teilweise sogar in Höhen von über 6700 Metern! Sie sind im Gegensatz zu den anderen Arten häufig und die einzigen nicht bedrohten Steinböcke.
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