Die letzten Urwälder Europas schreiben in jeglicher Hinsicht eine bemerkenswerte Naturgeschichte. Sie sind unser Blick in die Vergangenheit und der tiefste Blick in natürliche Systeme. Genauso wie wir die Geschichte Deutschlands und Europas in der Schule lernen, sollten wir etwas über den Urwald lernen. Hier machen einige spannende Fakten den Start: Bäume der Superlative, schillernde Fossile und Europa als Urwald-Kontinent.
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Dichter „Dschungel“ in Europa
Es gibt tatsächlich Urwald in Europa. Noch vor 6000 Jahren war fast ganz Europa von dichten Wäldern bedeckt: In kühleren Lagen von Nadelwäldern, im Flachland von vielfältigem Laubwald. Heute sind nicht einmal mehr 0,2 Prozent des europäischen Kontinentes mit ursprünglichem, natürlichem Wald bewachsen.
Die älteste Buche Europas
Buchen sind die Urbäume Deutschlands und Europas. Gemeinsam mit Eichen, Linden, Eschen und Hainbuchen und prägten sie unsere ursprüngliche Waldlandschaft zum größten Teil. Die älteste Buche Europas steht in den Kalkalpen in Oberösterreich. Und hier stand sie schon, bevor Columbus Amerika entdeckt hat. Die Buche ist 547 Jahre alt.
Dickes Ding…

Die dickste Buche Europas steht in Deutschland, im Gutspark Hoppenrade in Brandenburg. Ihr Stamm hat einen Umfang von 8,76 Metern. Allerdings kommt es immer darauf an, auf welcher Höhe man misst. Insofern hinken derartige Vergleiche manchmal. Außerdem wurde die dicke Buche vor etwa 180 Jahren im Gutspark gepflanzt, steht also nicht in einem Urwald.

… und langer Lulatsch
Die mit 51 Metern höchste Buche in Europa steht im französischen Baskenland an der Grenze zu Spanien. Grenzüberschreitend befindet sich mit rund 17.000 Hektar hier einer der größten Buchenwälder Europas. Zum Vergleich: Ein zwölfstöckiges Hochhaus ist etwa 30 Meter hoch.

Der älteste Baum der Welt ist eigentlich die älteste Wurzel
Der älteste Baum der Welt steht in Europa. Es ist eine Fichte, die recht einsam und etwas kahl in der kargen und eher baumarmen Landschaft im Fulufjället-Nationalpark in Schweden steht. „Old Tjikko“ wird die Fichte genannt und ist etwa 9550 Jahre alt. Genau genommen ist ihr Wurzelwerk so alt. Das haben Experten durch Radiokohlenstoffdatierung ermittelt. Da sieht man einmal, dass nicht nur die Jahresringe zählen! Der knorrige Stamm Old Tjikkos ist nur einige hundert Jahre alt. Denn aus einzelnen den Boden berührenden Ästen oder dem lebenden Wurzelsystem selbst sind immer wieder neue Stämme nachgewachsen.
Buchen sollst Du suchen?
Wo wir gerade bei den Buchen sind, ein kleiner Exkurs: Was ist dran am Gewitter-Spruch „Buchen sollst Du suchen, Eichen sollst Du weichen?“ Um es gleich vorwegzunehmen: Nichts! Holz leitet keinen Strom und ist deshalb ein hervorragender Isolator. Aber das gilt nur für trockenes Holz und Blitze schlagen oft am höchsten Punkt in der Umgebung ein. Ihr solltet deshalb bei Gewitter im Freien alle Bäume meiden – und nach Möglichkeit mindestens 10 Meter Abstand halten.
Skurriler Hexenwald
Eine der skurrilsten Baumarten Europas sind die Süntel-Buchen, eine seltene Variante der Rotbuche. Kurze, drehwüchsige Stämme und knorrige, miteinander verwachsene Äste teils in Korkenzieher- oder Zickzackform geben den Süntel-Buchen ein bizarres Aussehen. Das macht sie zu einer Besonderheit, die es zu erhalten gilt. Volkstümlich werden die Süntel-Buchen auch Krause Buchen, Krüppel-Buchen, Schlangen-Buchen, früher gar Hexenholz oder Teufels-Buche genannt.
Schillernde Persönlichkeiten: Urwaldreliktarten
Urwaldreliktarten sind Arten, die ausschließlich in alten Wäldern und urwaldtypischen Strukturen überleben können. Das heißt, sie brauchen Wälder, die nicht durch die Bewirtschaftung strukturarm geworden sind. Wälder mit Totholz, Höhlen, Nischen und knorrige, dicke, alte Bäume mit Schadstellen, Wucherungen und Schwamm-Bewuchs. Zu den Urwaldreliktarten gehören in unseren Wäldern vor allem sehr, sehr seltene Käferarten wie der Alpenbock oder der Schwarzkäfer, der in Deutschland schon als ausgestorben galt und wiederentdeckt wurde.

Alles verlernt: Holznutzung zu Urwaldzeiten und heute
Heute baut man vor allem mit Nadelhölzern. Kaum zu glauben, dass entsprechend der Waldvorkommen früher hauptsächlich Eichen, Buchen und andere Laubhölzer die wichtigsten Bauhölzer waren. Das alte Wissen ist zum Teil verloren gegangen und vieles muss für die heutigen Baustandards auch neu erforscht und entwickelt werden. Denn bereits seit den 1990er-Jahren findet in Deutschland ein Umbau der Wälder hin zu mehr Laubwald statt, so dass wir bald mehr Laubholz für das Bauen verwenden sollten. Eines allerdings konnten die Menschen zu Europas Urwald-Zeiten genauso schlecht wie wir: Den Urwald erhalten. Die Europäer vernichteten bereits bis zum Ende des Mittelalters einen Großteil von Europas Urwäldern.
Mit der Schafherde im Urwald

Auch die Reste der ältesten Wälder Europas wurden womöglich schon früh genutzt. Bereits ab der Jungsteinzeit wurden Schafe, Ziegen und Rinder in die Wälder getrieben, um dort zu weiden und Triebe, Knospen, Eicheln, Buchecker und Pflanzen der Krautschicht zu fressen. Waldweide, Weidewald oder Hutewald werden so genutzte Wälder genannt. Mit der Zunahme der Viehzucht änderte diese Praktik aber die Artzusammensetzung der Wälder und führte nicht selten schließlich zur Umwandlung einstig ursprünglicher Waldflächen zu Kulturland.
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