Corona-Ausbrüche in Schlachthöfen, Aufnahmen von grausamen Zuständen in Ställen, betäubungslose Kastration von Ferkeln, die Zerstörung des Amazonas für den Anbau von Futtermitteln…die negativen Schlagzeilen zur Tierhaltung in Deutschland häufen sich. Immerhin wird das millionenfache Töten männlicher Küken in Deutschland ab Anfang 2022 verboten. Der Bundestag verabschiedete am 20. Mai 2021 ein entsprechendes Gesetz
Eine Entscheidung, die längst überfällig ist. Denn jährlich werden in Deutschland ungefähr 45 Millionen männliche Küken getötet. Aber warum kommt es überhaupt dazu? Können die Küken nicht einfach aufgezogen werden?
Die Alternativen zum Kükentöten
So einfach ist es leider nicht. Früher legten auf den Bauernhöfen Hennen die Eier und die männlichen Tiere wurden für die Mast und die Befruchtung der Hennen gehalten. In den letzten Jahrzehnten wurde Hühner zunehmend für unterschiedliche Zwecke gezüchtet. So werden heutzutage fast ausschließlich Hochleistungsrassen eingesetzt. Es gibt Rassen, die besonders viele Eier legen. Und zwar etwa 300 im Jahr. Oder eben solche, die besonders gut und schnell Fleisch ansetzen, das sogenannte Mastgeflügel.
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Die männlichen Nachkommen legen natürlich keine Eier. Allerdings setzen die männlichen Tiere der “Lege-Rassen” im Vergleich zu den Masthühnern auch nicht besonders gut Fleisch an. Deshalb sind sie wirtschaftlich nutzlos und werden nach der Geburt getötet. Das soll sich nun schnellstens ändern, nachdem das Bundesverwaltungsgericht bereits 2019 das massenhafte Kükentöten aus wirtschaftlichen Gründen als „nicht vernünftig“ eingestuft hatte. Das Töten sollte aber solange erlaubt bleiben, bis eine passende Alternative gefunden wurde. Dies ist nun der Fall, aber auch diese Alternativen sind nicht unumstritten.
Geschlechterbestimmung im Ei
Eine vieldiskutierte Methode ist die Früherkennung des Geschlechts im Ei noch bevor das Küken ausgebrütet wurde. Hier wurden bereits zahlreiche Verfahren entwickelt, die etwa über Hormon- oder DNA-Bestimmung anzeigen, ob der Embryo männlich oder weiblich ist. Bei männlichem Geschlecht wird nicht mehr weiter gebrütet. Doch ist das die Lösung des Problems? Was passiert dann mit den Eiern, die nicht weiter ausgebrütet werden? Der deutsche Tierschutzbund kritisiert zudem, dass die Geschlechterbestimmung bei den derzeitigen Verfahren erst ab dem neunten Bruttag erfolgt, dass jedoch bereits ab dem sechsten eine Empfindungsfähigkeit, also auch Schmerzempfinden, bei den Embryonen vorhanden ist.
Aufzucht der männlichen Küken: Initiative Bruderhahn
Es gibt vermehrt Bestrebungen, die männlichen Küken der Legehennen aufzuziehen. Da diese jedoch sehr langsam Fleisch ansetzen, viel länger gemästet werden müssen und deutlich mehr Futter benötigen, ist dies für viele Hühnerhalter keine Lösung, da so kaum Gewinne möglich sind.
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Bei den Bruderhahn-Initiativen wird die Mast der Hähne durch den Verkauf der Eier subventioniert. Das heißt: Die Eier sind um einige Cent teurer als andere Eier. Mit diesem zusätzlichen Geld können die Bruderhähne mitaufgezogen werden.
Multikönner Zweinutzungshuhn
Heutzutage gibt es wegen der Selektion auf extreme Leistungen nur noch wenige Hühnerrassen, die sich für die Vermarktung von Eiern und Fleisch gleichermaßen eignen. Insbesondere im Bio-Bereich wird jedoch vermehrt auf den Einsatz von Zweinutzungshühnern gesetzt. Im Prinzip sind alle alten Hühnerrassen Zweinutzungshühner, die sich für das Eierlegen und die Mast eignen. Einige Rassen sind vielversprechend. Wie zum Beispiel die Rasse Sussex. Sussex-Hühner legen sogar bis zu 250 Eier im Jahr und kommen damit an die konventionellen Legehennen heran. Die Zweinutzungshühner sind oft entspannter und robuster. Es kommt weniger zu Verhaltensstörungen wie Kannibalismus und Federpicken.
Auch in der modernen Geflügelzucht gibt es bereits Alternativen, z.B. die Rasse Lohmann Dual, die auch in der konventionellen Tierhaltung immer mehr Verbreitung findet.
Die Alternative mit den blauen Füßen
Ein gutes Beispiel für den Einsatz von Zweinutzungshühnern ist das Projekt eicare von Naturland. Hier wird die französische Rasse Les Bleues eingesetzt. Namensgebend sind die blauen Füße. Die Eier und das Fleisch sind bereits seit langem eine besondere Spezialität in Frankreich – und seit ein paar Jahren auch in Deutschland. Eicare ist eine regionale Initiative, bei der Höfe in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern mitmachen.
Warum sich Zweinutzungshühner lohnen
Zweinutzungshühner legen weniger Eier und liefern auch weniger Fleisch. Zudem werden sie länger und langsamer gemästet und benötigen demnach mehr Futter für ein Kilogramm Fleisch. Dies wird von konventionellen Hühnerhaltern oft als ineffizient bezeichnet.
Tatsächlich haben die Zweinutzungshühner aber auch wirtschaftliche Vorteile. Sie brauchen oft weniger Hochleistungsfutter. Sie reagieren nicht so sensibel auf Veränderungen in der Futterzusammensetzung, so zum Beispiel die Rasse Sussex. Auch bei der Rasse Lohmann Dual haben die Tiere einen niedrigeren Eiweißbedarf und kommen besser mit nährstoffreduziertem Strukturfutter klar. Zudem haben viele Zweinutzungshuhnrassen eine höhere Fleischqualität. Diese ist bei vielen besonders hoch.
Systemfrage: Welche Landwirtschaft wollen wir?
Das Problem Kükentöten wirft die Frage auf: Was für eine Art der Landwirtschaft wollen wir? Ein System, bei dem es nur noch um Leistung und Effizienz geht? Dabei wird vergessen, dass diese Tierhaltung neben dem Tierwohl auch die Umwelt schädigt. Durch die hohen Tierdichten und die Ballung in bestimmten Regionen haben beispielsweise einige Landkreise ein massives Problem mit Nitrat im Grundwasser.
Die Emissionen aus der Tierhaltung, hier insbesondere Wiederkäuer, tragen fast zur Hälfte der landwirtschaftlichen Gesamtemissionen bei. Weltweit ist die Nahrungsproduktion für etwa ein Drittel der gesamten menschengemachten Emissionen verantwortlich.
Ich bin überzeugt, dass wir Lebensmittelerzeugung als System sehen müssen. Vom Feld oder Stall bis zum Teller und darüber hinaus bis in den Mülleimer. Wir fordern eine Abkehr von einem System, das nur auf die Steigerung der Effizienz setzt. Es muss uns gelingen, ein Food System zu etablieren, das innerhalb der planetaren Grenzen funktioniert. Das heißt, nur so viel Ressourcen zu nutzen und Umwelteffekte zu verursachen, wie unser Planet in der Lage ist zu verkraften.
2021 wird die Welt am 22. August bereits alle natürlichen Ressourcen aufgebraucht haben, die die Erde innerhalb eines Jahres wiederherstellen und damit nachhaltig zur Verfügung stellen kann. Das ist dann der sogenannte Earth Overshoot Day. Damit es nicht so weit kommt, sind wir alle gefragt. Die Politik muss die öffentlichen Gelder der Agrarpolitik — allein 6,7 Milliarden Euro pro Jahr in Deutschland — zielgerichteter, also klima- und umweltwirksam, umverteilen. Unternehmen, Verarbeiter und Handel müssen endlich ihrer Verantwortung gegenüber den Produzenten und der Umweltschutz, im In- und im Ausland, gerecht werden.
Und alle: weniger und besser essen!
Und auch wir alle sind gefragt. Wir sollten uns gut überlegen, wofür wir unser Geld ausgeben und was wir essen. Immer noch essen wir doppelt so viel Fleisch wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt. Kürzlich erst rief auch das Umweltbundesamt dazu auf den Fleischkonsum zu halbieren!
Wir sagen es immer wieder: Bitte esst weniger und dafür besseres Fleisch. Also möglichst Bio. Und wenn es Huhn oder Ei sein soll, dann kauft bewusst ein. Achtet dabei gerne auf die Initiativen, bei denen die männlichen Geschwister mit aufgezogen werden. Damit helft ihr direkt das Kükentöten zu beenden.
Hallo,
guter und informativer Beitrag. Es gibt bei REWE Eier, die laut Aufkleber ohne Kückentöten erzeugt werden. Das sind Freilandeier, die zusätzlich einen Aufkleber “Pro Planet” tragen. Unter respeggt.com wird erklärt, wie alles funktioniert. Sind zwar keine BIO Eier von den 4 Gruppen, die im Video erwähnt werden, aber die Vermeidung des Kükentötens ist uns wichtiger als ein BIO Siegel. Und wir hoffen natürlich, dass das alles auch stimmt, denn überprüfen kann man es als Kunde ja nie.
Vielen Dank, dass Sie Ihren Artikel geteilt haben. Es ist sehr hilfreich für mich.
Vielen Dank für diesen Beitrag zum Thema Hühner. Gut zu wissen, dass Hühner auch zwei Nutzen erfüllen können. Ich koche aktuell nur mit regionalen Eiern.