Die Bio-„Rüge“


Die Bio-Lüge: Was ist dran am ZEIT-Artikel?
Warum uns der Artikel "Die Bio-Lüge" sauer aufstößt © imago images/Geisser

Ist Bio wirk­lich bes­ser? Dem ZEIT-Arti­kel „Die Bio-Lüge“ zufol­ge (ZEIT 47 / 2021) ist die Ant­wort ganz ein­fach: nein! In der Bio-Bran­che wer­de getrickst und betro­gen. Die Tie­re lei­den genau wie ihre kon­ven­tio­nel­len Schwes­tern und Brü­der. Den Ver­brau­che­rin­nen und Ver­brau­chern wer­de eine hei­le Welt vor­ge­gau­kelt. Doch wie häu­fig im Leben ist die Ant­wort nicht so ein­fach – und in die­sem Fal­le sogar irreführend.

Jeder Hof ist anders

In Deutsch­land gibt es etwa noch 260.000 land­wirt­schaft­li­che Betrie­be. Hin­ter jedem ein­zel­nen steht eine indi­vi­du­el­le Geschich­te. Jede Land­wir­tin und jeder Land­wirt hat ihre oder sei­ne eige­nen Vor­stel­lun­gen von Land­wirt­schaft, vom Umgang mit Tie­ren, vom Umwelt- oder Kli­ma­schutz. Die einen pro­du­zie­ren für den Dis­coun­ter oder gar für den Welt­markt, wäh­rend die ande­ren Freu­de dar­an haben, auf dem Wochen­markt fri­sche Lebens­mit­tel aus der Regi­on anbieten.

Die einen sprin­gen nicht höher als sie müs­sen, wenn es um Umwelt­schutz und Tier­wohl geht. Für ande­re ist es ganz selbst­ver­ständ­lich, mehr als gesetz­lich vor­ge­schrie­ben zu tun. Ein ein­heit­li­ches Bild „der Land­wirt­schaft“ lässt sich also nicht zeich­nen – egal ob kon­ven­tio­nell oder „bio“.

Bio ist nicht gleich bio

Wie echt ist Bio? Ist Bio eine Lüge?
Bio kann Höfe ret­ten © ima­go images/Rainer Unkel

Jeder ach­te Betrieb in Deutsch­land ist „bio“. Das heißt, er wirt­schaf­tet min­des­tens nach den Vor­ga­ben der EU-Öko­ver­ord­nung und somit nach einem gesetz­lich gere­gel­ten und kon­trol­lier­ten Min­dest­stan­dard. Etwa die Hälf­te die­ser Bio-Betrie­be ist Mit­glied in einem Bio-Ver­band. Bio-Ver­bän­de wie Bio­land, Natur­land, Deme­ter, Bio­park oder Bio­kreis stel­len jeweils zusätz­li­che Anfor­de­run­gen an die Pro­duk­ti­on und die Tier­hal­tung ihrer Mit­glieds­be­trie­be. Auch die Grup­pe der Bio­land­wir­tin­nen und ‑land­wir­te lässt sich also nicht über einen Kamm sche­ren. Da gibt es wel­che, die machen schon län­ger „bio“, als es „bio“ über­haupt gibt. Ande­re erken­nen die stei­gen­de Nach­fra­ge und sprin­gen auf den Zug auf.

Bio­be­trie­be erwirt­schaf­ten im Durch­schnitt ein höhe­res Betriebs­ein­kom­men. Und das ist gut so. Denn wäh­rend immer mehr Bau­ern­hö­fe auf­ge­ben, ent­schei­den sich jedes Jahr mehr und mehr, auf Bio umzu­stel­len. Kann Bio also viel­leicht auch eine Brem­se des Struk­tur­wan­dels — auch bekannt als „Höfester­ben“ — sein?

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Wel­che Vor­tei­le hat öko­lo­gi­sche Land­wirt­schaft für uns alle?

Bio­be­trie­be sol­len auch mehr bekom­men für den Mehr­auf­wand, den sie betrei­ben und für die gesell­schaft­li­chen Leis­tun­gen, die sie — neben der Pro­duk­ti­on von Lebens­mit­teln – erbringen.

Über 500 Stu­di­en aus den letz­ten 30 Jah­ren, die öko­lo­gi­sche und kon­ven­tio­nel­le Land­wirt­schaft ver­glei­chen, fasst der „Thü­nen Report 65“ zusam­men. Die­se bis­her in Deutsch­land größ­te Meta-Stu­die beschei­nigt dem Öko­land­bau einen ein­deu­tig grö­ße­ren Nut­zen für die Gesell­schaft, betrach­tet man die Effek­te auf die Bio­di­ver­si­tät, die Boden­frucht­bar­keit, Kli­ma­an­pas­sun­gen, den Res­sour­cen- und den Gewäs­ser­schutz. In Bezug auf Tier­wohl konn­ten kei­ne ein­deu­ti­gen Aus­sa­gen getrof­fen wer­den, was die Autoren auf die dün­ne Stu­di­en­la­ge zurückführen.

Viel Kri­tik an Bio-Produkten

Bio in der Kritik: Zu unrecht!
Kann Bio die Welt ernäh­ren? © ima­go images/Rupert Oberhäuser

Den­noch gerät Bio immer wie­der in Ver­ruf. Das Lieb­lings­ar­gu­ment der Bio-Kri­ti­ker ist das Flä­chen­ar­gu­ment. Bio sei nicht so pro­duk­tiv wie kon­ven­tio­nell. Daher müs­se für die glei­che Men­ge an Lebens­mit­teln mehr Flä­che genutzt wer­den. So kön­ne Bio nicht die Welt ernäh­ren und füh­re sogar zu noch mehr Abhol­zung der Regen­wäl­der. Wenn wir jedes Schwei­ne­na­cken­steak durch ein Bio-Schwei­ne­na­cken­steak erset­zen woll­ten, dann stimmt das sogar. Aber wir wol­len und kön­nen die Welt nicht mit Schwei­ne­na­cken­steaks ernähren!

Wenn wir die Flä­che, die heu­te zur Pro­duk­ti­on von Tier­fut­ter genutzt wird, für pflanz­li­che Eiweiß­quel­len (Erb­sen, Lupi­nen, Bohen) nut­zen wür­den, kämen wir mit Bio schon recht weit. Außer­dem sehen For­scher gro­ße Poten­zia­le bei der Bio-Züch­tung und der Opti­mie­rung agrar­öko­lo­gi­scher Ver­fah­ren – also ver­bes­ser­ten Anbau­me­tho­den — wie Misch­kul­tu­ren oder Agro­forst­sys­te­me. Bis­her flie­ßen weni­ger als zwei Pro­zent der gesam­ten Agrar­for­schungs­för­de­rung in die Bio-For­schung.

Hin­zu kommt, dass Bio häu­fig bes­ser mit den Fol­gen des Kli­ma­wan­dels zurecht­kommt, da die Böden in der Regel mehr Humus auf­wei­sen und so mehr Was­ser spei­chern kön­nen. Also, wenn wir unse­re Ernäh­rung umstel­len und dadurch das Kli­ma und unse­re Gesund­heit zugleich schüt­zen, ist Bio­land­wirt­schaft die rich­ti­ge Wahl! Viel­leicht ist auch genau dar­in, also dass sich „bio“ noch nicht voll­stän­dig der pro­duk­ti­ons­ge­trie­be­nen Effi­zi­enz­lo­gik unter­wor­fen hat, der gesell­schaft­li­che Mehr­wert begründet?

Wie echt ist Bio?

Das zwei­te Lieb­lings­ar­gu­ment der Bio-Kri­ti­ker ist, dass Bio eh nur Betrug sei. Man wür­de den nai­ven Bio-Kund:innen in der Stadt eine hei­le Bio-Welt vor­gau­keln. Und am Ende wür­den doch ein­fach nur kon­ven­tio­nel­le Toma­ten im gro­ßen Stil umeti­ket­tiert (wie der o.g. ZEIT-Arti­kel suggeriert).
Man muss sagen, das kann im Ein­zel­fall pas­sie­ren. Denn Ver­bre­cher gibt es über­all und die Ver­su­chung ist groß. Doch von eini­gen Fäl­len auf die gesamt Bran­che zu schlie­ßen, greift zu kurz und ist nicht fair. Alle Bio-Betrie­be unter Gene­ral­ver­dacht zu stel­len, sorgt für gro­ße Ver­un­si­che­rung – bei den Verbaucher:innen, aber auch bei den Landwirt:innen. Dabei wer­den Bio-Lebens­mit­tel streng über­wacht und kon­trol­liert – und letzt­lich sind die im ZEIT-Arti­kel erwähn­ten Pro­to­koll­no­ti­zen ja genau ein Beweis dafür, dass die Kon­trol­len hier greifen.
Durch­schnitt­lich 1,3 mal wer­den Bio-Betrie­be im Jahr kon­trol­liert. Zum Ver­gleich: Nur ein Pro­zent aller land­wirt­schaft­li­chen Betrie­be in Deutsch­land wird jähr­lich kon­trol­liert, ob auch gesetz­li­che Min­dest­an­for­de­run­gen ein­ge­hal­ten werden.

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Wie viel bes­ser ist Bio?

Drit­tes Lieb­lings­ar­gu­ment: der Bio-Stan­dard sei doch gar nicht so viel bes­ser als kon­ven­tio­nell. Kla­re Ent­geg­nung: doch! Zwar wird durch die EU-Öko­ver­ord­nung kei­ne Bil­der­buch-Land­wirt­schaft vor­ge­schrie­ben, mit Kühen auf der Wie­se, Schwei­nen im Schlamm und Äpfeln von der Streu­obst­wie­se. Auch beim WWF wür­den wir uns da noch mehr für den Bio­di­ver­si­täts­schutz und noch mehr Tier­wohl wünschen.

Aber der Stan­dard gibt ein öko­lo­gi­sches Min­dest­maß vor, das wir unter­stüt­zen, auf das sich die gesam­te Land­wirt­schaft hin­be­we­gen soll­te — und viel­leicht sogar zwangs­läu­fig wird: Kei­ne che­misch-syn­the­ti­schen Pes­ti­zi­de, kein mine­ra­li­scher Stick­stoff­dün­ger (sehr kli­ma­schäd­lich!), mehr Tier­wohl, kein pro­phy­lak­ti­scher Ein­satz von Anti­bio­ti­ka. So ist die gesetz­li­che Min­dest­an­for­de­rung für ein Schwein (100 kg! schwer) 0,75 m² Platz im Stall! Der Bio-Stan­dard gibt fast das Dop­pel­te vor, plus zusätz­lich einen Qua­drat­me­ter Aus­lauf. Alles was dar­über hin­aus­geht, ist mit erheb­li­chen Mehr­kos­ten für die Landwirt:innen ver­bun­den, die bezahlt wer­den müs­sen. Und da sind wir beim vier­ten Lieb­lings­ar­gu­ment: Bio ist nur was für Bes­ser­ver­die­ner.

Wenn das Fleisch zu bil­lig ist

Ist Bio wirklich besser? Ja!
Sei­ne Hal­tung soll­te nicht auf Kos­ten von uns allen gehen © ima­go images/Rupert Oberhäuser

Es stimmt, dass Bio-Pro­duk­te teu­rer sind. Oder sind kon­ven­tio­nel­le Pro­duk­te viel­leicht ein­fach zu bil­lig? Bei 200 g Koch­schin­ken für 1,49 € kann man sich schon meh­re­re Fra­gen stel­len: Wie ist es dem Schwein ergan­gen, bevor es zu Schin­ken wur­de? Kann die Bäue­rin davon leben? Zu wel­chen gesell­schaft­li­chen Kos­ten (nega­ti­ve Effek­te auf die Umwelt und das Kima, die wir am Ende alle bezah­len) ist der Schin­ken pro­du­ziert wor­den? Will ich das mit mei­ner Kauf­ent­schei­dung wirk­lich unterstützen?

Damit sich Bio wirt­schaft­lich tra­gen kann, müs­sen die Prei­se stei­gen. Denn die Land­wir­te leis­ten mehr, haben höhe­re Aus­ga­ben und zum Teil höhe­re Risi­ken. Doch ganz all­ge­mein soll­ten Land­wir­tin­nen und Land­wir­te (egal ob bio oder kon­ven­tio­nell) bes­se­re Prei­se für ihre Pro­duk­te bekom­men. Sozia­le Benach­tei­li­gung vie­ler Men­schen muss anders gelöst wer­den (Sozi­al­po­li­tik!) als über bil­li­ge Lebensmittel!

Prä­mi­en für das Umdenken

Bei der Ent­schei­dung zur Umstel­lung dürf­ten auch die Bio-Prä­mi­en vie­le Land­wir­tin­nen und Land­wir­te locken. Jeder Betrieb, der auf Bio umstel­len möch­te, bekommt eine soge­nann­te Umstel­lungs­prä­mie und dann für jedes Jahr eine Bei­be­hal­tungs­prä­mie. Das ist auch gut so. Denn wenn die neue deut­sche Bun­des­re­gie­rung ihren Koali­ti­ons­ver­trag ernst nimmt und bis 2030 30 Pro­zent Bio­be­trie­be errei­chen möch­te, sind Anrei­ze not­wen­dig. Allein der Markt schafft die­se bis­her noch nicht!

Fazit: Kri­tik ja, Pau­schal­ver­ur­tei­lung nein

Frü­her wur­den die „Bios“ noch für ihr Müs­li und ihre selbst­ge­strick­ten Pull­over ver­lacht. Heu­te wer­den sie kri­ti­siert, wenn sie Anzug tra­gen. Es ist gut, dass sich Bio lang­sam aus der Nische bewegt und mehr und mehr zum Main­stream wird. Doch hat die Bio-Bran­che die Nach­hal­tig­keit nicht gepach­tet. Dyna­mi­sche Ent­wick­lun­gen (der Bio-Umsatz ist letz­tes Jahr um 22 Pro­zent gestie­gen) sind immer auch mit  Her­aus­for­de­run­gen ver­bun­den. Daher ist Kri­tik an der Bio-Bran­che wich­tig und soll­te als Appell ver­stan­den wer­den, die hohen Qua­li­täts­an­sprü­che lang­fris­tig sicher­zu­stel­len. Aber ohne die Bezugs­grö­ßen aus den Augen zu ver­lie­ren und pau­schal abzuurteilen.

Die Grund­sät­ze von Bio, im Ein­klang mit der Natur zu arbei­ten und Tie­re als Lebe­we­sen zu ver­ste­hen, sind letzt­lich im Zuge der Kli­ma- und Bio­di­ver­si­täts­kri­se genau rich­tig. Dabei muss nicht jeder Betrieb Bio wer­den; es gibt auch ande­re For­men einer nach­hal­ti­gen und sozia­len Land­wirt­schaft. Doch Bio nun unter Gene­ral­ver­dacht zu stel­len, hilft niemandem.

Am Ende steht immer noch die Fra­ge: Ist Bio wirk­lich bes­ser? Wir vom WWF sagen: ja! Aber wie bei allen Stan­dards ist eine regel­mä­ßi­ge Über­prü­fung und Wei­ter­ent­wick­lung zu begrüßen.

Mit bes­ten Grüßen

Euer Team Land­wirt­schaft vom WWF

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2 Kommentare

  1. Martin H.
    6. Dezember 2022
    Antworten

    Hal­lo Herr Berger,

    ich habe Ihren Arti­kel gele­sen. Inhalt­lich fin­de ich ihn sehr gut, aber an der Form stört mich ein Punkt: Sie “gen­dern” fasst den gan­zen Arti­kel (Kund:innen, Verbraucher:innen, Landwirt:innen),im Teil “Wie echt ist Bio” schrei­ben Sie im zwei­ten Absatz von “Ver­bre­chern”. Ist das nur ein Tipp­feh­ler oder eine (bewuss­te?) Dis­kri­mi­nie­rung des männ­li­chen Geschlechts? Oder ist es wirk­lich so,dass Umeti­ket­tie­run­gen aus­schließ­lich(!) von männ­li­chen Markt­teil­neh­mer erfol­gen? (falls ja,gibt es hier­zu Quellen?).

    Für eine Rück­mel­dung bes­ten Dank.

    MfG

    Mar­tin H.

    • 8. Dezember 2022
      Antworten

      Lie­ber Mar­tin H., 

      freut mich sehr, dass Ihnen mein Bei­trag gefal­len hat. Gera­de jetzt, wo Infla­ti­on und Ernäh­rungs­si­cher­heit durch den rus­si­schen Angriffs­krieg in der Ukrai­ne viru­lent sind, ist Bio einem immer stär­ker wer­den­dem Recht­fer­ti­gungs­druck aus­ge­setzt. Dem wol­len wir was entgegenstellen.

      Zu Ihrer Anmer­kung: Das war tat­säch­lich nicht beab­sich­tigt und wäre mir auch gar nicht auf­ge­fal­len, hät­ten Sie mich nicht dar­auf hin­ge­wie­sen. Kon­se­quen­ter­wei­se hät­te ich an die­ser Stel­le gen­dern müs­sen. Es gibt tat­säch­lich, wie man hört, auch betrü­ge­ri­sche Frau­en. Verbrecher:innen eben.

      Mit bes­ten Grüßen
      Micha­el Berger

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