So geht Zukunft
Barcelona. Millionen Touristen pilgern jedes Jahr durch die Stadt. Sie bestaunen den Baufortschritt an der Sagrada Familia, einer Kathedrale, die wohl niemals fertig wird, flanieren über die Ramblas und das Barrio Gótico. Oder machen einen Abstecher zum FC Barcelona ins Camp Nou.
Neuerdings mischen sich unter die Fans von Jugendstilbauwerken und gepflegtem Ballbesitzfußball vermehrt Verkehrsplaner und Lokalpolitiker, um einen neuen Ansatz in der Stadtplanung unter die Lupe zu nehmen: „Superilles“ oder „Superblocks“ heißt das Konzept, das inzwischen auch außerhalb Kataloniens Nachahmer findet. Auch In Berlin entstehen nach dem Vorbild Barcelonas Blocks, in denen kaum noch Autos fahren dürfen.
Das Prinzip ist einfach. Schachbrettartig werden rund ein Dutzend Häuserblöcke verkehrstechnisch zu Inseln zusammengefasst, aus denen der Durchgangsverkehr systematisch ausgesperrt wird. Anders als in autofreien Quartieren dürfen Anwohner mit ihren Fahrzeugen weiter bis vor die Haustür fahren und auch der Lieferverkehr hat Zugang, allerdings mit deutlich reduzierter Geschwindigkeit. Geparkt wird in Tiefgaragen. Fußgänger und Radfahrer haben grundsätzlich Vorrang. Erste Pilotprojekte gab es schon in den 1990er Jahren. Doch erst in den letzten Jahren scheint das Konzept richtig durchzustarten.
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Der Grund dafür liegt zum einen an den politischen Mehrheitsverhältnissen in der Stadt. Zum anderen an einem erheblichen Leidensdruck. Wie die meisten Großstädte ist Barcelona in den vergangenen Jahrzehnten mehr und mehr unter die Räder gekommen. Die Stadt leidet seit Jahren unter Staus, hoher Luftverschmutzung und Lärmbelastung. Jedem Bewohner stehen durchschnittlich nur 6,6 Quadratmeter Grünfläche zur Verfügung, in den Innenstadtvierteln sogar nur 1,85 — während die WHO mindestens neun Quadratmeter pro Kopf empfiehlt.
Lebensqualität statt Stau
Zeit etwas zu ändern, nicht nur in Katalonien. Es geht letztlich darum, die Stadt nicht mehr allein durch die Windschutzscheibe zu planen. Noch beanspruchen Autos 60 Prozent der Verkehrsfläche in Barcelona, sie bewältigen aber nur 20 Prozent der Mobilität. Mit den Superblocks will die Stadt die Dominanz der Autos brechen. Das beginnt bei der Neuverteilung des öffentlichen Raums. Neue Rad- und Fußwege werden gebaut, zwischen die Häuser pflanzt man Bäume. Es entstehen Plätze mit Bänken und Spielmöglichkeiten, die als „erweitertes Wohnzimmer“ eine gemeinschaftliche Nutzung der Straßen ermöglichen sollen. Im Idealfall entstehen Cafés, Spielstraßen und kleine grüne Oasen, die die ganze Nachbarschaften aufblühen lassen. Das Ganze hat allerdings auch einen Haken: Nicht nur die Lebensqualität steigt, sondern auch die Mieten. Die Angst vor Gentrifizierung geht um.
Vielleicht wird sich dieses Problem lösen, wenn die Zahl der umgestalteten Quartiere wächst. Bislang hat Barcelona sechs solcher Superblocks realisiert. Dort wohnen gerade mal 40.000 der 5,6 Millionen Bewohner. Es bleibt also noch einiges zu tun, damit das Konzept messbare Wirkung entfaltet. Die Stadtverwaltung will 500 weitere Blocks umsetzen. Die Verantwortlichen rechnen damit, dass dadurch der motorisierte Individualverkehr um knapp 20 Prozent zurückgeht und damit zugleich Luftverschmutzung und Lärmbelastung in den Quartieren.
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Viele Städte sind inzwischen auf der Suche nach Wegen aus der verkehrspolitischen Sackgasse. Die Corona Pandemie hat innovative Ansätze vielerorts beschleunigt. Auch wenn aus Angst vor Ansteckung so mancher wieder die Flucht ins eigene Auto angetreten hat, werden viele Pop-Up-Radwege nach der Pandemie nicht wieder mehrspurigen Schnellstraßen weichen. Die Mobilitätswende hat Fahrt aufgenommen. Beobachten kann man das beispielsweise in Paris. Bürgermeisterin Anne Hidalgo hat vor Kurzem angekündigt, die weltbekannten Champs-Élysées in einen außergewöhnlichen Garten zu verwandeln.
Paris, Stadt der Fahrräder
Bis es soweit ist können sich die Pariser bereits an die modernen Zeiten gewöhnen. An jedem ersten Sonntag im Monat ist der Prachtboulevard und vier weitere Innenstadtbezirke bereits seit 2019 für den Autoverkehr gesperrt. Wenn das autofreie Zentrum von kommt, sollen dort elektrische Shuttlebusse für zusätzliche Mobilität sorgen.
Die Pläne sind Teil eines größeren Vorhabens, Die Bürgermeisterin ist angetreten für eine Stadt der kurzen Wege. In 15 Minuten soll jeder Bürger Supermärkte, Schulen und Ärzte zu Fuß oder per Fahrrad erreichen können.
Fahrrad for future
Paris ist damit auf den Spuren von Amsterdam oder Kopenhagen. Insbesondere das Fahrrad soll als innerstädtisches Verkehrsmitte an Bedeutung gewinnen. 60.000 Parkplätze werden gestrichen. Stattdessen sollen in den nächsten Jahren in jeder Straße ein Fahrradweg entstehen.
Wasser als Verkehrsweg
Es tut sich einiges in der französischen Hauptstadt und nicht nur auf Straßen und Plätzen, sondern auch auf der Seine. Vorreiter war der Lebensmittelhändler Fanxprix. Das Unternehmen startete 2012 damit, seine Märkte auf dem Wasserweg zu beliefern. Inzwischen werden rund 300 Supermärkte auf diese Weise versorgt. Lastkähne fahren täglich zwei Haltepunkte in der französischen Hauptstadt an und liefern Container voll mit Trockennahrungsmittel, Haushaltwaren und Getränken. Nur die letzten Kilometer Supermarkt werden noch mit dem LKW bewältigt.
Die Rückbesinnnung auf die Binnenschifffahrt ist ein wenig aus der Not geboren, denn schon lange ächzt die Metropole unter dem zunehmenden Warenverkehr. Das enge Pariser Straßennetz ist dem innerstädtischen Schwerlastverkehr nicht gewachsen und es fehlt an geeigneten Parkmöglichkeiten. Das führt nicht nur zu Frust bei Kunden und Lieferanten, sondern auch zu hoher Belastung der Straßen, Staus und Luftverschmutzung.
Frachtkähne verbrauchen im Vergleich zum Warentransport mit Lkws fünfmal weniger Kraftstoff. Kein Wunder also, dass die Stadt Güterverkehr auf Wasserstraßen fördern will. Insgesamt soll er sich verdreifachen — und damit zwei Millionen Lastwagenfahrten einsparen.
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