Die einjährige Verzögerung ist eine Chance den globalen Klimaschutz neu zu beleben, schreibt Manuel Pulgar-Vidal, Leiter Klima von WWF International und ehemaliger COP20-Präsident.
Wenn die Dinge anders gelaufen wären, wären wir dieses Jahr in Glasgow und würden an den jährlichen UN-Klimaverhandlungen teilnehmen. Die COP wurde allerdings um ein Jahr verschoben. Auch wenn das wegen der Pandemie unvermeidlich wurde, können wir uns eine Verzögerung angesichts der Klimakrise kaum leisten. Aber sie gibt uns die Zeit sicherzustellen, dass wir über die Prozesse und den politischen Willen verfügen, die für einen Erfolg der COP erforderlich sind.
Die COP26 in Glasgow ist jetzt für den 1. bis 12. November 2021 geplant. Die britische Regierung arbeitet als COP-Präsidentschaft hart daran, Dynamik und politischen Willen zu gewährleisten. Einige der weltweit größten Verursacher von CO2-Emissionen haben Ankündigungen gemacht, die den politischen Klimastau durchbrechen könnten. Und dazu kommt das Versprechen des designierten US-Präsidenten Joe Biden, dem Pariser Abkommen wieder beizutreten.
COP 26: Glasgow könnte das neue Paris sein
Die COP26 verspricht aus zwei Hauptgründen richtungsweisend zu werden. Erstens, weil die COVID-19-Pandemie die Wirtschaft, ja die ganze Welt erschüttert hat. Die sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen und die Maßnahmen, mit denen darauf reagiert wird, haben das Potenzial die Zukunft umzugestalten. Die COP26 wird die Parteien zusammenbringen, um die globalen Bemühungen zur Bewältigung der Klimakrise in einem radikal anderen Umfeld neu zu starten. Und neu auszurichten.
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Zweitens, weil die Unterzeichner des Pariser Abkommens die nächste Runde nationaler Klimabeiträge vorlegen müssen. Diese Nationally Determined Contributions (NDCs) wurden erstmals 2015 eingereicht. Sie sollten nun mit ehrgeizigeren Zielen für 2030 überarbeitet werden. Und ebenfalls die langfristigen Strategien festlegen, wie und wann die Länder Netto-Null-Emissionen erreichen wollen.
Das Pariser Klimaabkommen muss jetzt jeden Tag gelebt werden CC0 Syam Sundar https://unsplash.com/photos/jQGgk8nziFo
Diese Pläne sind von entscheidender Bedeutung. Sie werden ein wichtiger Prüfstein für die Erreichung der Ziele des Pariser Abkommens sein. Die britische Regierung muss ihr diplomatisches Netzwerk und ihren globalen Einfluss nutzen, um diese Bemühungen im kommenden Jahr zu maximieren. Unabhängig vom Ergebnis dieser Runde zur Verbesserung der nationalen Ziele wird die COP26 die Aufgabe haben, das kollektive Ergebnis und den Stand der globalen Klimabemühungen zu bewerten — und darauf zu reagieren.
Was macht Biden, was die EU, was China?
Die COP muss so etwa die Auswirkungen der Rückkehr der USA zum Pariser Abkommen bewerten. Biden hat nationale Maßnahmen zur Beschleunigung der Dekarbonisierungsbemühungen festgelegt. Die COP26-Präsidentschaft muss auch die vor kurzem von der EU und China angekündigten einschneidenden Verpflichtungen für Emissionsreduktionsziele betrachten. China hat sich dazu angekündigt, bis 2030 einen Höchststand der Treibhausgasemissionen zu erreichen und bis 2060 (und im Falle der EU bis 2050) Netto-Null-Emissionen zu erreichen.
Wir hoffen, dass Präsident Xi Jinping noch vor Jahresende ein neues und ehrgeizigeres NDC veröffentlicht. Die EU hat auch Schritte zur Erweiterung ihrer Ziele für 2030 unternommen.
Gipfel der Ambitionen
Darüber hinaus veranstalten Großbritannien und Frankreich am 12. Dezember, dem fünften Jahrestag der Verabschiedung des Pariser Abkommens, einen Klimagipfel. Auch hier hoffen wir, dass die Veranstaltung eine Plattform bieten wird, um ehrgeizige Ziele und Strategien vorzustellen.
Mit stärkeren Zusagen Chinas, der EU und Großbritanniens und der bevorstehenden Rückkehr der USA könnte sich eine ernsthafte Dynamik entwickeln, an der es bis vor kurzem stark gefehlt hat. Ähnliche Impulse könnten aus dem privaten Sektor und von subnationalen Akteuren kommen. Die von den Vereinten Nationen einberufene Net-Zero Asset Owners Alliance, die Initiative “Science Based Targets” und die Kampagne “Race to Zero” tragen dazu bei, die Grundlagen für ein erfolgreiches Klimajahr 2021 zu schaffen.
Worauf können wir uns 2021 freuen?
Der COP-Prozess muss sich von der verlorenen Dynamik der letzten Jahre erholen, etwa mit einer größeren Tagesordnung für die Gespräche. Seit Paris waren die COPs wenig inspirierende Zusammenkünfte mit wenig Sinn für die Dringlichkeit der anstehenden Herausforderung.
Die COP26 kann eine inspirierende Vision entwerfen, die der Bedrohung und der Chance, vor der wir stehen, gerecht wird. Sie kann Hoffnung und Enthusiasmus für die kommenden Jahre entfachen. Und einen dringend benötigten Fahrplan zur Ausrichtung der globalen Klimaagenda vorlegen.
Sechs Säulen für Klimaschutzmaßnahmen für die COP26
Wir haben sechs Säulen festgelegt, bei denen die COP26 Ergebnisse erzielen muss. Diese sind:
1) Lösung offener Fragen
Dazu gehören
- die Beilegung von Streitigkeiten über den Emissionshandel
- die Vereinbarung, dass alle Länder NDCs für die gleichen Zeiträume festlegen
- ein Durchbruch bei der Finanzierung von Schäden und Verluste durch den Klimawandel
- die Sicherstellung des Ziels von 100 Milliarden Dollar/Jahr an Klimafinanzierung
- einen COP-Beschluss, der den voranschreitenden Prozess definiert.
2) Stärkung der NDCs und langfristigen Strategien
Verbesserte NDCs sind für den Erfolg des Pariser Abkommens von wesentlicher Bedeutung. Alle Länder müssen ihre Pläne so bald wie möglich vorlegen. Darüber hinaus muss das UN-Klimasekretariat den Gesamteffekt dieser neuen NDCs analysieren und darüber Bericht erstatten. Wir müssen wissen, ob sie uns auf eine Flugbahn von 1,5°C bringen. Wir müssen auch zusehen, dass der UN langfristige Netto-Null-Strategien vorgelegt werden.
3) Stärkung der Agenda nichtstaatlicher Akteure
Die aktive Beteiligung von Unternehmen, Städten, Regionen, Investoren und der Zivilgesellschaft war für die Dynamik nach Paris von entscheidender Bedeutung. Ihre Rolle sollte ausgeweitet werden, indem etwa die Industrie ermutigt wird, globale Emissionsziele festzulegen, die mit der Klimawissenschaft abgestimmt sind.
4) Zusammenhang zwischen Klima und Natur
Die Natur ist durch die Klimakrise ernsthaft gefährdet. Sie hat aber gleichzeitig auch das Potenzial für eine erhebliche Minderung der Emissionen. Naturbasierte Lösungen können den Menschen und der biologischen Vielfalt oft einen Zusatznutzen bringen und zur Erreichung der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung beitragen. Naturbasierte Lösungen müssen ein Schlüsselbereich der Zusammenarbeit sein. Die Verbindungen zwischen der Konvention über die biologische Vielfalt (CBD) und der COP26 müssen wir stärken. Das “Leader’s Pledge for Nature” ist bereits ein Hinweis auf den politischen Appetit auf so etwas.
5) Grüne Erholung
Die Pandemie droht, die Maßnahmen zum Klimaschutz zu verschieben oder sogar aufzuheben. Stattdessen müssen die Länder sicherstellen, dass die Wiederaufbaupläne für die Zeit nach COVID-19 auch die doppelte Herausforderung von Klima und Natur angehen. Dafür müssen sie das Potenzial grüner Arbeitsplätze nutzen und den Energiewandel fördern.
6) Klimafinanzierung
Wir hoffen auf eine Ausrichtung des Finanzsektors an den globalen Klimazielen. Anlageportfolios müssen so positioniert sind, dass die Begrenzung auf das 1,5°C‑Ziel erreicht wird. Das Klimarisiko muss obligatorisch offengelegt, wissenschaftlich fundierten Ziele für Unternehmen und Investoren gefördert werden. Entwaldung und fossile Brennstoffe dürfen nicht mehr finanziert werden. Die Länder sollten auch ihre Verpflichtungen im Bereich der öffentlichen Finanzen erfüllen und ausbauen.
Diese Ziele stellen ein absolutes Minimum für die Wiederbelebung des internationalen Klimaprozesses dar. Wir hoffen, dass das Jahr 2021, in dem wir aus der globalen COVID-19-Pandemie hervorgehen und die Menschen auf der ganzen Welt zunehmend Maßnahmen zur Bewältigung der Klimakrise fordern, die verlorene Zeit wieder aufholen. Und eine überzeugende Antwort auf die Klimakrise liefern.
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