Wann brau­chen wir Kunst­stoff und wann nicht?


Ein Mann trägt mehrere orange Plastiktüten
Die typische Plastiktüte zum Einkaufen wird bald verboten. © Cate Gillon / Getty Images

Heu­te, am 3. Juli, ist der Inter­na­tio­na­le Plas­tik­tü­ten­freie Tag. Das ist ein Akti­ons­tag, um auf die Flut der Plas­tik­tü­ten auf­merk­sam zu machen. Eine gute Gele­gen­heit, zu über­le­gen, wann wir Plas­tik wirk­lich brau­chen und wann nicht.

Immer noch fal­len in Deutsch­land pro Jahr rund zwei Mil­li­ar­den Plas­tik­tü­ten als Abfall an – eine immense Men­ge. Doch die Tage der Plas­tik­tü­te sind gezählt: Der Geset­zes­ent­wurf zum Ver­bot leich­ter Kunst­stoff­tra­ge­ta­schen liegt auf dem Tisch und wird kon­tro­vers dis­ku­tiert. Der Ent­wurf beinhal­tet bis­her nur das Ver­bot von Tüten mit einer Wand­stär­ke von 15 bis 50 Mikro­me­tern. Das sind vor allem die ganz nor­ma­len Plas­tik­tü­ten, die es an der Super­markt­kas­se zu kau­fen gibt. Die soge­nann­ten Hemd­chen­beu­tel für unver­pack­tes Obst und Gemü­se sind nicht Bestand­teil des Geset­zes. Durch den Geset­zes­ent­wurf besteht die Gefahr, dass die Kunst­stoff­ta­schen ein­fach ersetzt wer­den. Das wäre kei­ne öko­lo­gi­sche­re Alter­na­ti­ve. Denn auch das Her­stel­len von Papier­tü­ten ver­braucht sehr viel Ener­gie und Rohstoffe.

Da stellt sich die Fra­ge: Wann machen Kunst­stof­fe Sinn und wann nicht? Und gibt es über­haupt eine ein­fa­che Ant­wort auf so eine kom­ple­xe Frage?

Vor- und Nach­tei­le von Kunststoffen

Kunst­stof­fe sind weder gut noch schlecht. Sie haben aber Vor- und Nach­tei­le. Ein­deu­ti­ge Vor­tei­le von Kunst­stof­fen: Sie sind sehr fle­xi­bel und form­bar. Außer­dem sind sie leicht, kos­ten­güns­tig und wider­stands­fä­hig. Die­se Wider­stands­fä­hig­keit wird jedoch pro­ble­ma­tisch, wenn das Mate­ri­al in die Umwelt gelangt. Bis sich das Plas­tik völ­lig zer­setzt kön­nen meh­re­re hun­dert, sogar tau­sen­de Jah­re ver­ge­hen. Dass Plas­tik in die Umwelt gelangt, pas­siert lei­der täg­lich. Die größ­te Müll­hal­de der Welt ist dabei das Meer. Vie­le Plas­tik­tei­le lan­den im Magen der Mee­res­be­woh­ner. Sie bin­den sich an Algen oder zer­set­zen sich zu Mikro­plas­tik. Des­halb gilt: Den Ein­trag von Kunst­stoff in die Natur zu ver­hin­dern muss obers­te Prio­ri­tät haben.

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Wei­te­re Nach­tei­le des Hoch­leis­tungs­ma­te­ri­als: Die Her­stel­lung ver­braucht CO2. Auch die hin­zu­ge­füg­ten Stof­fe sind nicht immer unge­fähr­lich. Die Basis für den her­kömm­li­chen Kunst­stoff ist näm­lich Roh­ben­zin oder auch Naph­tha. Erst Addi­ti­ve wie Sta­bi­li­sa­to­ren, Farb­mit­tel, Ver­stär­kungs­mit­tel oder Weich­ma­cher sor­gen für die viel­fäl­ti­gen Ein­satz­mög­lich­kei­ten von Plastik.

Eine Plastiktüte schwimmt im Meer
Die größ­te Müll­hal­de der Welt ist das Meer © naturepl.com / Alex Mus­tard / WWF

Wo Alter­na­ti­ven für Kunst­stoff kei­nen Sinn machen

Kunst­stof­fe wer­den heu­te immer öfter durch alter­na­ti­ve Mate­ria­li­en ersetzt, die — so wird es sug­ge­riert — öko­lo­gi­scher sei­en. Das ist ein Trug­schluss. Ver­pa­ckun­gen kön­nen wir eigent­lich oft ganz weglassen.

  • Pro­duk­te, die kei­ne Ver­pa­ckung benö­ti­gen: Das Para­de­bei­spiel hier sind vor­ver­pack­tes Gemü­se und Obst in Foli­en und Scha­len. Der Mate­ri­al­auf­wand, die Äpfel vor­ab zu ver­pa­cken, ist fast acht Mal höher, als wenn „nur“ ein Hemd­chen­beu­tel benutzt wird. Und auch  Die Äpfel kön­nen ein­fach in den Tra­ge­korb, auf das Kas­sen­band und dann in den mit­ge­brach­ten Sack wandern.
  • Nicht not­wen­di­ge Ein­weg­pro­duk­te: Wegen sei­nes Res­sour­cen­ver­brauchs und der Lang­le­big­keit ist Kunst­stoff eigent­lich nicht für den kurz­le­bi­gen Ver­brauch gemacht. Das wohl bekann­tes­te unnö­ti­ge Ein­weg­pro­dukt ist der Kaf­fee­be­cher zum Mit­neh­men. Aber auch die Kunst­stoff­tra­ge­ta­sche, Ein­weg­ge­schirr, Plas­tik­fla­schen und Fast-Food-Ver­pa­ckun­gen gehö­ren dazu. Im Durch­schnitt schmei­ßen wir einen To-Go Becher nach 15 Minu­ten weg. Die Plas­tik­be­schich­tung aber braucht zum Ver­rot­ten Jahr­zehn­te bis Jahr­hun­der­te. Bevor man ein Ein­weg­pro­dukt (das Mate­ri­al spielt hier­bei kei­ne Rol­le) benutzt, soll­te man immer prü­fen, ob es sinn­vol­le Mehr­weg­al­ter­na­ti­ven gibt.
  • Pri­mä­res Mikro­plas­tik: Bei pri­mä­rem Mikro­plas­tik han­delt es sich um extra von der Indus­trie her­ge­stell­tes Plas­tik­gra­nu­lat oder flüs­si­ges Plas­tik, zum Bei­spiel für Pee­lings. Eigent­lich soll­te dies in Kos­me­tik­pro­duk­ten sowie Wasch- und Rei­ni­gungs­mit­teln bereits ver­bo­ten sein. Aber das ist nicht der Fall. Mikro­plas­tik gelangt über das Abwas­ser in die Umwelt und kann dort Was­ser­or­ga­nis­men schä­di­gen. Pri­mä­res Mikro­plas­tik soll­te gar nicht ver­wen­det wer­den. Um Mikro­plas­tik in Pro­duk­ten zu erken­nen, kann man kos­ten­lo­se Smart­phone Apps wie bei­spiels­wei­se Code Check nut­zen. Oder man greift im Laden ein­fach direkt zur Naturkosmetik.
  • Ver­pa­ckun­gen in Ver­pa­ckun­gen in Ver­pa­ckun­gen: Klei­ne Plas­tik­tü­ten ver­packt in gro­ßen Plas­tik­tü­ten. Ins­be­son­de­re bei Süßig­kei­ten ist die­se Kon­struk­ti­on sehr beliebt. Bei die­sen Mehr­fach­ver­pa­ckun­gen bleibt uns nur die Konsumverweigerung.

Wo wir Kunst­stof­fe der­zeit brauchen

Kunst­stof­fe sind wider­stands­fä­hig, lang­le­big und wer­den des­halb in den ver­schie­dens­ten Berei­chen ein­ge­setzt. Zum Bei­spiel in der Luft- und Raum­fahrt­in­dus­trie ist das Hoch­leis­tungs­ma­te­ri­al der­zeit unent­behr­lich. Das ist auch grund­sätz­lich kein Pro­blem, solan­ge das Lebens­en­de der Pro­duk­te mit­ge­dacht wird. Egal in wel­chem Bereich Mate­ria­li­en ein­ge­setzt wer­den, sie soll­ten mög­lichst lan­ge hal­ten und danach ent­we­der für ein ver­gleich­ba­res Pro­dukt oder ein ande­res Pro­dukt recy­cled werden.

Wich­tig für die Mobilität

Grund­sätz­lich ist Kunst­stoff auf­grund sei­nes gerin­gen Gewichts ein belieb­tes Mate­ri­al, wenn es um Mobi­li­tät geht.

  • In der Luft- und Raum­fahrt­in­dus­trie müs­sen die ver­wen­de­ten Mate­ria­li­en leicht sein, extre­men Tem­pe­ra­tu­ren stand­hal­ten, Treib­stof­fe und Che­mi­ka­li­en aus­hal­ten und kor­ro­si­ons­be­stän­dig sein. Kunst­stof­fe wie PVC, Poly­amid oder Acryl wer­den für Arma­tu­ren, Trenn­wän­de oder Tank­de­ckel ein­ge­setzt. Laut Plas­tikat­las der Hein­rich-Böll-Stif­tung und des BUND ist der Ein­satz von Kunst­stof­fen in Flug­zeu­gen seit den 1970er Jah­ren bestän­dig gestie­gen. Von damals vier auf heu­te rund 50 Prozent.

Auch in Zügen und Schif­fen kommt er zum Ein­satz. Vor­teil der Kunst­stof­fe hier: Fle­xi­bi­li­tät und Lang­le­big­keit. Kunst­stoff muss sel­te­ner gewar­tet wer­den als ande­re Mate­ria­li­en, ros­tet nicht und kann stän­di­ge Vibra­tio­nen aus­hal­ten. Grund­sätz­lich kann durch den Ein­satz des leich­ten Mate­ri­als bei Fort­be­we­gungs­mit­teln jeg­li­cher Art Kraft­stoff gespart und somit weni­ger CO2 aus­ge­sto­ßen werden.

Eine Person mit Gummihandschuh prüft einen Infusionsbeutel
In der Medi­zin ist Kunst­stoff zur­zeit unent­behr­lich. © suko­k1/i­Stock-Get­ty-Images

Wich­tig für die Medizin

  • In der Medi­zin wer­den aus Poly­me­ren Hand­schu­he, ste­ri­le Ein­mal­sprit­zen, Blut­beu­tel, Schläu­che und sogar Herz­klap­pen. Kunst­stoff­ver­pa­ckun­gen schüt­zen durch die gerin­ge Durch­läs­sig­keit vor Ver­un­rei­ni­gun­gen und wer­den des­halb bevor­zugt eingesetzt.

Die Fra­ge, wann der Ein­satz von Kunst­stoff Sinn macht und wann nicht ist nicht ein­fach zu beant­wor­ten. Kunst­stoff ist als Hoch­leis­tungs­ma­te­ri­al der­zeit in vie­len Berei­chen nicht zu erset­zen. Was auch nicht tra­gisch ist, solan­ge es auf Lang­le­big­keit und Wie­der­ver­wert­bar­keit aus­ge­legt ist. In eini­gen Anwen­dungs­fel­dern ste­hen bio­ba­sier­te Mate­ria­li­en in den Start­lö­chern oder kom­men schon zum Ein­satz. In jedem Fall soll­te man sich vor­her fra­gen: Kann man das Mate­ri­al mehr­fach nut­zen? Wie kön­nen wir ver­hin­dern, dass es unkon­trol­liert in die Natur gelangt? Und – die wich­tigs­te Fra­ge, die immer an Anfang ste­hen soll­te – brau­chen wir den Kunst­stoff überhaupt?

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5 Kommentare

  1. 10. August 2020
    Antworten

    Vie­len Dank für den Bei­trag zu Kunst­stoff. Mei­ne Schwes­ter nutzt Kunst­stoff­be­häl­ter, die nach der VO EU 10/2011 Spe­zi­fi­sche Migra­ti­on unter­sucht wur­den, für die Lebens­mit­tel­auf­be­wah­rung. Gut zu wis­sen, dass Kunst­stof­fe nicht nur fle­xi­bel und form­bar sind, son­dern auch kos­ten­güns­tig und widerstandsfähig.

  2. Nick Freund
    11. September 2020
    Antworten

    Das ist schon wirk­lich Wahn­sinn mit den Tüten, die einen sagen Kunst­stoff ist bes­ser und die ande­ren Papier. Aber ist Papier nicht auch Umwelt­schäd­lich in der Pro­duk­ti­on? Ich fin­de man soll­te Mehr­weg Baum­woll­ta­schen nut­zen. Tol­ler Bei­trag übri­gens 🙂 Bes­te Grü­ße, Nick Freund

  3. Monika
    17. Dezember 2020
    Antworten

    Ihr Arti­kel hat mei­nem Sohn in sei­ner Prä­sen­ta­ti­on enorm gehol­fen! Er woll­te näm­lich wis­sen, wor­aus her­kömm­li­cher Kunst­stoff besteht. Dan­ke für die Erklä­rung, dass die Basis für den her­kömm­li­chen Kunst­stoff Roh­ben­zin oder auch Naph­tha ist.

  4. Lucy Schnee
    11. März 2022
    Antworten

    Vie­len Dank für den inter­es­san­ten Bei­trag über die Ver­wen­dung von Kunst­stoff! Tat­säch­lich habe ich unter­schätzt, in wie vie­len Berei­chen Kunst­stoff benö­tigt wird. Oft denkt man nur an Ver­pa­ckungs­ma­te­ri­al, wenn man den Begriff hört. Inter­es­sant fin­de ich auch, in wel­chen Schrit­ten die Her­stel­lung ver­schie­de­ner Kunst­stoff­pro­duk­te erfolgt.

  5. Dietrich
    5. Juli 2022
    Antworten

    Sie sagen hier vie­le wich­ti­ge Din­ge. Ich den­ke, jeder kann dar­aus etwas ler­nen. Kurz­um, ein Bei­trag, den jeder zum Kunst­stoff lesen sollte.

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