Immer mehr Arten durch DNA-Bar­co­ding entdeckt


DNA-Sequenz
German Barcode of Life - eine Datenbank aller Arten in Deutschland © Gio_tto/iStock/Getty Images

War­um kei­ner genau weiß, wie vie­le Arten es gibt – und war­um sogar in Deutsch­land noch aber­tau­sen­de neue Lebens­for­men zu ent­de­cken sind.

Seit Jahr­tau­sen­den ord­nen die Men­schen die Natur. Sie ver­glei­chen die äuße­re Form von Blü­ten, Blät­tern, Kno­chen, Orga­nen und sor­tie­ren alles nach Ähn­lich­keit. Die Grund­ein­heit ist dabei die Art. Ähn­li­che Arten wer­den in Gat­tun­gen gefasst, ähn­li­che Gat­tun­gen in Fami­li­en, ähn­li­che Fami­li­en in Ord­nun­gen usw. Als Vater der moder­nen „ver­glei­chen­den Taxo­no­mie“ gilt heu­te der schwe­di­sche Natur­for­scher Carl von Lin­né. Er war zu Beginn des 18. Jahr­hun­derts – rund 100 Jah­re bevor Charles Dar­win auf der Bea­gle zu den Gala­pa­gos-Inseln auf­brach – von dem Wunsch beses­sen, alle Tie­re, Pflan­zen, Pil­ze und Mine­ra­li­en der Welt zu erfas­sen. Heu­te ver­dan­ken wir ihm die Ein­füh­rung der latei­ni­schen wis­sen­schaft­li­chen Bezeich­nun­gen mit Gat­tungs­na­men und Art­an­hang, die so genann­te binä­re Nomen­kla­tur. Vie­le Arten tra­gen noch heu­te den Namen, den Lin­né ihnen gege­ben hat. Das Gän­se­blüm­chen zum Bei­spiel hat er Bel­lis peren­nis genannt. Bel­lis, die Schö­ne und peren­nis aus­dau­ernd, die aus­dau­ern­de Schö­ne also.

Wir sind zur Hälf­te Gemüse

Die Grund­ein­heit ist also die Art. Eigent­lich scheint es recht ein­fach damit zu sein: ein Tiger ist ein Tiger und ein Eich­hörn­chen ein Eich­hörn­chen. Aber wie so oft im Leben wird es umso kom­pli­zier­ter, je inten­si­ver man sich mit etwas beschäf­tigt. Heu­te wis­sen wir, dass alles Leben­di­ge auf unse­rem Pla­ne­ten mehr oder weni­ger eng ver­wandt ist. Das Leben ist nur ein Mal ent­stan­den und alles ande­re hat sich dar­aus ent­wi­ckelt. Der Mensch hat 99 Pro­zent sei­nes Erb­gu­tes mit Schim­pan­sen und Bono­bos gemein (beson­ders bei den „Gehirn-Genen“ ist der Unter­schied mar­gi­nal). Aber auch mit dem Blu­men­kohl oder der Bana­ne stimmt unse­re DNA noch zu mehr als der Hälf­te über­ein. Wir sind zur Hälf­te Gemü­se. Alles Getier, alle Pflan­zen und Pil­ze sind unse­re ent­fern­ten Cou­sins und Cousinen.

Durch DNA-Bar­co­ding zu neu­en Erkenntnissen

Eine Art ist nach der heu­te vor­herr­schen­den Defi­ni­ti­on eine Anzahl Lebe­we­sen, die unter natür­li­chen Lebens­be­din­gun­gen gesun­de Kin­der bekommt, die dann auch wie­der gesun­de Kin­der bekom­men kön­nen. Eine Fort­pflan­zungs­ge­mein­schaft also. Nur wie stellt man das fest? Frü­her hat man alles nur nach irgend­wel­chen äuße­ren Merk­ma­len ein­ge­teilt und bei vie­len Arten (Tiger, Eich­hörn­chen) stimmt die­se Ein­tei­lung noch immer. Heu­te nut­zen die Forscher:innen Ähn­lich­kei­ten in der Erb­sub­stanz DNA zur Ermitt­lung von Arten und Ver­wandt­schaf­ten – und sto­ßen jeden Tag auf Wun­der und Stau­nen. Bis­lang nahe ver­wandt geglaub­te Arten sind es gar nicht. Bei ein­zel­nen Arten stellt sich plötz­lich her­aus, dass es nicht ein und die­sel­be, son­dern meh­re­re Arten sind. Ande­re gehö­ren jetzt zu ganz ande­ren Gat­tun­gen oder Fami­li­en, da ändert sich dann der kom­plet­te Name. Wer, so wie ich, vor 35 Jah­ren die wis­sen­schaft­li­chen Pflan­zen­na­men gelernt hat, wun­dert sich immer wie­der dar­über, wie gemein­hin alte Bekann­te inzwi­schen heißen.

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Dabei nut­zen die Forscher:innen das so genann­te DNA-Bar­co­ding. Wie beim Strich­code auf den Lebens­mit­teln im Super­markt (bar heißt im eng­li­schen Bal­ken) nut­zen sie Basen­paa­re auf einem Mar­ker­gen zum Ver­gleich. Da sich die DNA-Abfol­ge mit einer im Gro­ßen und Gan­zen gleich­mä­ßi­gen Rate durch ein­zel­ne Punkt­mu­ta­tio­nen im Lauf der Zeit ver­än­dert, besit­zen näher ver­wand­te Lebe­we­sen und Arten ähn­li­che­re Abfol­gen. Solan­ge eine Art unge­teilt bleibt, d. h., einen gemein­sa­men Gen­pool besitzt, wer­den Unter­schie­de zwi­schen ver­schie­de­nen Popu­la­tio­nen durch Gen­fluss immer wie­der ausgeglichen.

Insekten, handkolorierter Kupferstich aus Friedrich Justin Bertuch Bilderbuch für Kinder, Weimar,1790
Jahr­hun­der­te­lang wur­den die Arten auf­grund äuße­rer Merk­ma­le kate­go­ri­siert © IMAGO / image­bro­ker / Olaf Krüger

Arten­ken­ner ster­ben schnel­ler aus als die Arten

Seit lan­gem gilt das For­schungs­feld der Taxo­no­mie – der Arten­kun­de – als aus­ge­forscht. Die Lehr­stüh­le an den Hoch­schu­len wer­den abge­schafft, kar­rie­re­be­wuss­te Jung­for­scher wen­den sich span­nen­de­ren For­schungs­fel­dern zu und ehren­amt­li­che und beruf­li­che Arten­ken­ner ster­ben inzwi­schen noch schnel­ler aus als die Arten selbst. Dabei gilt: Je unauf­fäl­li­ger die Lebens­form, des­to weni­ger Exper­tin­nen und Exper­ten dafür gibt es auf der Welt. Wäh­rend Pflanzenkundler:innen und Ornitholog:innen noch zahl­reich vor­han­den sind, gibt es kaum Exper­tin­nen und Exper­ten etwa für Zwei­flüg­ler oder Fadenwürmer.

Durch das DNA-Bar­co­ding kommt neu­er Schwung in die For­schung. Gemein­sam mit der Betrach­tung von mor­pho­lo­gi­schen Merk­ma­len wird die Tur­bo-Taxo­no­mie erfun­den. Es gibt welt­weit eine Rei­he von Initia­ti­ven, die ver­su­chen, für bestimm­te Arten­grup­pen Daten­ban­ken mit DNA-Bar­code-Sequen­zen als Refe­ren­zen auf­zu­bau­en. Ziel der Initia­ti­ven ist es vor allem, Sequen­zen von zwei­fels­frei bestimm­ten Indi­vi­du­en beschrie­be­ner Arten zu sam­meln und ein­zu­le­sen, um Daten für Anwender:innen bereit­zu­stel­len. Die Initia­ti­ve IBOL (Inter­na­tio­nal Bar­code of Life) koor­di­niert die Bemü­hun­gen in zahl­rei­chen Arten­grup­pen und leis­tet tech­ni­sche Hilfe.

Pro­ben in den Bar­co­der und her­aus kommt die Artenliste

Der Ehr­geiz man­cher For­schungs­grup­pen geht aller­dings schon weit über die­se Zie­le hin­aus. Vie­le erträu­men sich, ein­fach unsor­tier­te aus der Umwelt gewon­ne­ne Pro­ben zu sequen­zie­ren und anschlie­ßend mehr oder weni­ger eine Arten­lis­te des ent­spre­chen­den Lebens­raums zu erhal­ten, ohne hoch­trai­nier­te, teu­re und sel­te­ne Spezialist:innen bemü­hen zu müs­sen. Ande­re erwar­ten in naher Zukunft durch Minia­tu­ri­sie­rung der Kom­po­nen­ten sogar trans­por­ta­ble Bar­co­der, die, hand­hab­bar im Gelän­de oder am Arbeits­platz, aus kleins­ten Pro­ben ver­läss­lich und in Echt­zeit einen Art­na­men ermit­teln können.

Ent­de­ckung neu­er Arten

Schon heu­te stau­nen wir über die Erfol­ge der Metho­de: Eine Unter­su­chung des Schmet­ter­lings Astrap­tes ful­ge­ra­tor aus Mit­tel- und Süd­ame­ri­ka mit­tels DNA-Bar­co­ding hat erge­ben, dass das, was bis­her für eine ein­zi­ge Art gehal­ten wor­den ist, in Wirk­lich­keit einen Kom­plex aus zehn sehr ähn­li­chen Zwil­lings­ar­ten dar­stellt, die nach Äußer­lich­kei­ten kaum unter­scheid­bar sind. In einer Stu­die an tro­pi­schen para­si­to­iden Brack­wes­pen konn­ten mit mor­pho­lo­gi­schen Metho­den 171 pro­vi­so­ri­sche (zu ca. 95 Pro­zent unbe­schrie­be­ne) Arten unter­schie­den wer­den. DNA-Bar­co­ding ergab wei­te­re 142 Arten, die bei der mor­pho­lo­gi­schen Sor­tie­rung nicht erkannt wur­den, die meis­ten davon wirts­spe­zi­fisch. Die Stu­die lässt Hoch­rech­nun­gen auf die extre­me Arten­fül­le die­ser Grup­pe in den Tro­pen zu, auf die welt­weit nur extrem weni­ge Taxo­no­men spe­zia­li­siert sind.

Zweibindiger Blinker (Astraptes fulgerator) erwachsen, frisst an Blumen, Canopy Tower, Panama, November, Mittelamerika
Zweib­in­di­ger Blin­ker (Astrap­tes ful­ge­ra­tor) © IMAGO/imagebroker

Inzwi­schen gibt es Bestre­bun­gen, das DNA-Bar­co­ding-Ver­fah­ren nicht nur zur Iden­ti­fi­zie­rung bereits beschrie­be­ner Arten, son­dern auch stan­dard­mä­ßig zur Beschrei­bung neu­er Arten her­an­zu­zie­hen (Tur­bo-Taxo­no­mie). Die Bar­code-Sequenz dient dann, gemein­sam mit einer stark abge­kürz­ten mor­pho­lo­gi­schen Beschrei­bung, zur Defi­ni­ti­on der neu­en Art, die nur bei Bedarf nach heu­ti­gem Stan­dard umfas­send beschrie­ben wer­den soll. Tat­säch­lich exis­tie­ren auch gegen­wär­tig bereits Arten, die von ande­ren Arten aus­schließ­lich auf Grund­la­ge der DNA-Sequenz dif­fe­ren­ziert sind.

Tau­sen­de neue Arten in Deutsch­land zu entdecken

Und es wird noch unglaub­li­cher. Bei uns in Deutsch­land haben For­scher gesam­mel­tes Insek­ten-Mate­ri­al aus der Natur mit­hil­fe von DNA-Bar­co­ding unter­sucht. Und sie­he da: Sie haben bei vie­len Grup­pen wesent­lich mehr Arten gefun­den, als bis­her über­haupt bekannt waren. So sind in Deutsch­land zur­zeit ca. 800 Gall­mü­cken­ar­ten beschrie­ben. Die For­scher haben aber 930 Arten mit ihrer DNA nach­ge­wie­sen. Ins­ge­samt gehen wir heu­te davon aus, dass allein in Deutsch­land tau­sen­de neue Arten auf ihre Ent­de­ckung war­ten. Eine Auf­ga­be für jun­ge For­scher! Ihr müsst nur ein wenig im Boden eures Gar­tens bud­deln und fin­det oft neue, unbe­kann­te Arten.

Welt­weit Mil­lio­nen unent­deck­te Arten

Wenn schon in Deutsch­land mit sei­ner gro­ßen For­scher­dich­te und jahr­hun­der­te­lan­ger For­schungs­tra­di­ti­on so vie­le unbe­kann­te Arten zu ver­mu­ten sind, dürf­te das Poten­zi­al in ent­le­ge­ne­ren Gegen­den der Welt noch wesent­lich  grö­ßer sein. Von allen Taxo­no­men die­ser Welt arbei­ten nur ca. sechs Pro­zent in den rie­si­gen Wei­ten des „glo­ba­len Südens“. Welt­weit sind heu­te ca. 1,75 Mil­lio­nen Arten beschrie­ben. Schät­zun­gen, wie vie­le Arten es ins­ge­samt auf unse­rem Pla­ne­ten gibt, gehen weit aus­ein­an­der. Sie rei­chen von 3,7 Mil­lio­nen bis zu 112 Mil­lio­nen Arten. Der wah­re Wert liegt wohl irgend­wo dazwi­schen. Alle Schät­zun­gen hän­gen in extre­mer Wei­se von den Schätz­wer­ten für die tro­pi­schen Regen­wäl­der ab, für die viel zu wenig belast­ba­re Daten vorliegen.

Vie­le Arten ster­ben aus, bevor sie ent­deckt werden

Aber vie­le Arten sind bedroht. Wie vie­le aus­ster­ben wer­den, ja bereits aus­ge­stor­ben sind, wis­sen wir nicht. Schät­zun­gen gehen davon aus, dass bis Ende des Jahr­hun­derts eine Mil­li­on Arten aus­ster­ben könn­ten, wenn wir nicht drin­gend etwas unter­neh­men. Aber auch von den meis­ten bekann­ten Arten wis­sen wir so gut wie nichts. Nur von einem klei­nen Bruch­teil ist so viel bekannt, dass wir sagen kön­nen, ob die Art nun gefähr­det ist oder häu­fig vor­kommt. Nur die­se Arten gehen in die bekann­te Rote Lis­te der gefähr­de­ten Lebe­we­sen ein, die uns all­jähr­lich mit neu­en Gefähr­dungs­ra­ten scho­ckiert. Trotz­dem müs­sen wir lei­der davon aus­ge­hen, dass vie­le der noch unbe­kann­ten Arten mit ihren Lebens­räu­men dahin­schwin­den. Vie­le Arten ster­ben aus, bevor sie jemals ent­deckt wurden.

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