Der Kampf gegen die Klimakrise und das weltweite Artensterben wird längst nicht mehr nur in Wäldern, Kohlebauten oder auf den Straßen ausgetragen. Immer häufiger klagen Umweltschützer:innen Regierungen wegen unzureichendem Klimaschutz an und ziehen Konzerne für ihre Umweltsünden zur Verantwortung.
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„La lucha sigue – der Kampf geht weiter“, kündigte Saúl Luciano Lliuya an, nachdem das Landgericht Essen seine Klage gegen den Energiekonzern RWE Ende 2016 abgewiesen hatte. Der peruanische Kleinbauer war einer der ersten Klimakläger:innen, der es wagte, einen Energiekonzern für die fatalen Folgen der Klimakrise zur Rechenschaft zu ziehen.
Saúl Luciano Lliuya lebt in der Umgebung der Andenstadt Huaraz, die auf einer Höhe von rund 3.000 Metern in der „Cordillera Blanca“ liegt. In diesem „Weißen Gebirge“ befindet sich die Laguna de Palcacocha – ein See, der sich aus dem Schmelzwasser eines auf 4.500 Meter Höhe gelegenen Gletschers speist. Wie bei fast allen Gebirgsgletschern ist die Erderhitzung dort besonders hart zu spüren. Die immer schneller tauenden Eismassen haben den See gefährlich anschwellen lassen.
Mit dem WWF-Newsletter nichts mehr verpassen!Beweisaufnahme gegen RWE
Im Gerichtsverfahren gegen RWE fordert der Peruaner die Kostenbeteiligung an einem Damm, der die Menschen vor den möglichen Flutwellen des Gletschersees schützen soll. RWE müsse sich als einer der weltweit größten Verursacher des Treibhausgasausstoßes an den Baukosten beteiligen, so die Argumentation des Klägers, der mit finanzieller und juristischer Unterstützung von Germanwatch das Kräftemessen gegen den Großkonzern aufgenommen hat.
Gegen das erste Urteil hatte Saúl Luciano Lliuya Berufung eingelegt – mit Erfolg: Ende 2017 hatte das Oberlandesgericht Hamm beschlossen, in die Beweisaufnahme im Fall gegen RWE einzutreten. Letztes Jahr reisten Richter:innen und vom Gericht bestellte Gutachter:innen nach Peru, um zu untersuchen, ob das Haus des Klägers und seiner Familie tatsächlich von einer möglichen Flutwelle bedroht ist. Das Gutachten über die Gefahrenlage steht noch aus.
RWE war nur der Anfang
Mehr und mehr Menschen versuchen auf juristischem Weg bessere Klimaschutzmaßnahmen zu erwirken. Weltweit wurden bis heute über 2.000 Klimaklagen eingereicht, die Zahl hat sich seit 2020 vervierfacht.
Das jüngste Beispiel: Ende September hat vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ein Prozess begonnen, den sechs Jugendliche aus Portugal gegen 32 Staaten eingeleitet haben. Die jungen Kläger:innen waren von den verheerenden Waldbränden im Jahr 2017 so stark betroffen, dass sie vor Gericht zogen. Ihr Ziel ist es, dass sich die angeklagten Staaten an das Pariser Klimaabkommen halten und die nötigen Maßnahmen zur Eindämmung der Erderhitzung ergreifen. Es ist das erste Mal, dass sich der EGMR so explizit mit der Klimakrise befasst.
Held vs. Montana
Nur eineinhalb Monate zuvor hatten Aktivist:innen in den USA mit ihrer Klimaklage Erfolg. Hauptklägerin Rikki Held und 15 weitere Jugendliche hatten für ihr Recht auf eine saubere Umwelt für heutige und künftige Generationen gegen Montana geklagt. Montana ist einer der wenigen US-Bundesstaaten, die dieses Recht in der Verfassung verankert haben. Eine Richterin gab ihnen Recht und urteilte, dass es verfassungswidrig sei, dass Behörden bei der Entscheidung über Erdöl- oder Erdgasprojekte die Folgen für das Klima nicht berücksichtigen. Das Urteil könnte nun Signalwirkung für ähnliche Verfahren in den USA haben.
Konzerne auf der Anklagebank
Die meisten Klimaklagen haben sich bislang gegen Regierungen gerichtet. Nun sitzen immer mehr Unternehmen wie RWE auf der Anklagebank. Gut so, denn einige Konzerne schädigen das Klima stärker als so mancher Staat. Mehr als ein Drittel der weltweit zwischen 1965 und 2018 ausgestoßen CO2-Emissionen wurden von 20 größten Öl‑, Kohle- und Gas-Konzernen verursacht – an erster Stelle Saudi Aramco, Chevron und Gazprom. Aber auch Unternehmen aus den Wirtschafszweigen Verkehr, Landwirtschaft, Lebensmittel und Finanzen müssen sich vermehrt vor Gericht verantworten.
Müssen Unternehmen nun fürchten, im Nachhinein für massive Umweltschäden zur Rechenschaft gezogen zu werden? In den Niederlanden gab es dazu eine wegweisende Entscheidung. Zuvor wurde schon die Regierung des Landes erfolgreich verklagt, mehr Klimaschutzmaßnahmen zu ergreifen. 2021 bekam schließlich der Ölkonzern Royal Dutch Shell die Härte des Gesetzes zu spüren. Shell wurde dazu verpflichtet, die CO2-Emissionen aus dem Ölgeschäft bis 2030 um 45 Prozent zu senken. Ein Meilenstein für den Klimaschutz.
Aussichten auf Erfolg
Justitia stand bislang meist auf der Seite von RWE und anderen Klimasündern. Doch die Aussichten, Klimaklagen zu gewinnen, werden immer besser. Die Datenlage, die einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Ausstoß von Treibhausgasen und einzelnen Schadensfällen untermauert, wird immer belastbarer. So könnte auch für den peruanischen Bergbauern Saúl Luciano Lliuya der Sieg am Ende einer Kette von Niederlagen stehen.
Mehr zum Thema könnt ihr in unserem Podcast nachhören: Umwelt vor Gericht — ÜberLeben
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