Den Eis­bä­ren auf der Spur

Geheimnis trotz jahrzehntelanger Forschung: die Gewohnheiten von Eisbären © Elisabeth Kruger/WWF US

Eis­bä­ren sind die größ­te Raub­tier­art an Land. Die wei­ßen Rie­sen spie­len eine tra­gen­de Rol­le für die Gesund­heit des gesam­ten ark­ti­schen Öko­sys­tems. Doch die Kli­ma­er­hit­zung bedroht die Eis­bä­ren zuneh­mend. Der Ein­satz von moder­ner Tech­nik zum Sam­meln von Standort‑, Tem­pe­ra­tur- und Bewe­gungs­da­ten kann dabei hel­fen, das Über­le­ben der Art zu sichern. 

Rund 26.000 Eis­bä­ren zäh­len wir heu­te noch auf der Erde. Die Welt­na­tur­schutz­uni­on IUCN befürch­tet: Der Bestand wird in den nächs­ten 30 Jah­ren um min­des­tens 30 Pro­zent schrump­fen – als Fol­ge der ver­stärk­ten Pack­eis­schmel­ze. Auch Mee­res­ver­schmut­zung, die zuneh­men­de Schiff fahrt, wach­sen­der Tou­ris­mus sowie die Erfor­schung und För­de­rung von Öl- und Gas­vor­kom­men in der Ark­tis gefähr­den die bestehen­den Populationen.

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Trotz jahr­zehn­te­lan­ger Stu­di­en haben Forscher:innen bis heu­te kaum genü­gend Infor­ma­tio­nen über die Gewohn­hei­ten von Eis­bä­ren. Mit fort­schrei­ten­dem Kli­ma­wan­del ver­än­dern sich bestehen­de Ver­hal­tens- und Bewe­gungs­mus­ter sogar noch. So zwin­gen schrump­fen­de Lebens­räu­me, im Som­mer an Land immer län­ger auf das Pack­eis zu war­ten. Dadurch kom­men Eis­bä­ren immer öfter in Kon­takt mit Menschen.

Seit den 80ern las­sen sich Wan­der­rou­ten von Eis­bä­ren mit­tels Satel­li­ten­tech­nik nach­ver­fol­gen © Eli­sa­beth Kruger/WWF US

Sol­che Ent­wick­lun­gen machen es immer schwie­ri­ger, Stand­or­te der Tie­re zuver­läs­sig nach­zu­ver­fol­gen. Seit den 1980er Jah­ren set­zen Natur­schüt­zer Satel­li­ten­hals­bän­der ein, um Daten und Infor­ma­tio­nen über Sta­tus, Ent­wick­lung und Wan­der­rou­ten von Tie­ren zu sam­meln. Auch Eis­bä­ren wer­den damit aus­ge­stat­tet und so konn­ten in den letz­ten Jah­ren vie­le wert­vol­le Infor­ma­tio­nen zusam­men­ge­tra­gen wer­den. Die­se Hals­bän­der haben aber lei­der auch ent­schei­den­de Nachteile.

Die Krux mit Satellitenhalsbändern

Bei den extre­men Minus­tem­pe­ra­tu­ren und den sal­zi­gen Gewäs­sern der Ark­tis ver­schlei­ßen her­kömm­li­che Hals­bän­der in frei­er Wild­bahn schnell. Das macht ihre Leis­tung recht unzu­ver­läs­sig. Meh­re­re Stu­di­en deu­ten dar­auf hin, dass die­se Aus­fäl­le bei fünf bis 50 Pro­zent der ein­ge­setz­ten Satel­li­ten-Tele­me­trie-Ein­hei­ten auf­tre­ten. Bis­lang war es auch nur mög­lich, aus­ge­wach­se­ne Eis­bä­ren­weib­chen über einen län­ge­ren Zeit­raum zu über­wa­chen — aus ana­to­mi­schen Grün­den hal­ten die GPS-Hals­bän­der nur bei ihnen, denn die Männ­chen haben einen zu brei­ten Hals und kön­nen die Sen­der leicht abstrei­fen. Ein effek­ti­ves Moni­to­ring der Popu­la­ti­on erfor­dert jedoch Infor­ma­tio­nen über weib­li­che und männ­li­che Bären.

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Auch füh­ren mecha­ni­sche Aus­fäl­le manch­mal dazu, dass Hals­bän­der viel län­ger als beab­sich­tigt auf den Tie­ren ver­blei­ben. Wenn Bären an Gewicht zuneh­men, kön­nen die Hals­bän­der scheu­ern, was für die Tie­re äußerst unan­ge­nehm ist. Indi­ge­ne aus Alas­ka haben zudem kul­tu­rell begrün­de­te Beden­ken. Die meis­ten glau­ben, dass der Ein­satz der Hals­bän­der den Wild­tie­ren nicht den not­wen­di­gen Respekt ent­ge­gen­bringt, den sie ver­die­nen und die Hals­bän­der zu über­mä­ßi­gem Leid führen.

Inno­va­ti­on längst überfällig

Bei der “Besen­de­rung” von Eis­bä­ren war eine tech­ni­sche Inno­va­ti­on also längst über­fäl­lig. Die Ent­wick­lung einer prak­ti­ka­blen Track­ing-Lösung für Eis­bä­ren ist ent­schei­dend, um ihr Ver­hal­ten bes­ser stu­die­ren zu kön­nen. Die aktu­el­len Her­stel­ler ver­fü­gen jedoch nicht über das nöti­ge Geld, um eine Wei­ter­ent­wick­lung von exis­tie­ren­den Sen­dern ent­schei­dend vor­an­zu­trei­ben.  Dafür ist der Absatz­markt zu begrenzt, die Ein­nah­men pro ver­kauf­ten Sen­dern zu gering. Des­halb sprang der WWF zusam­men mit dem U.S. Fish and Wild­life Ser­vice finan­zi­ell ein. Unse­re Mis­si­on: eine klei­ne, leich­te Ohr­mar­ke zu ent­wi­ckeln, die täg­li­che Standort‑, Tem­pe­ra­tur- und Bewe­gungs­da­ten an einen Satel­li­ten über­mit­telt, zwölf Mona­te lang funk­tio­niert und danach auto­ma­tisch abfällt.

Zum Start die­ser Mis­si­on hat­te der WWF 2016 zusam­men mit dem Design­un­ter­neh­men IDEO auf der Inter­na­tio­nal Con­fe­rence on Bear Rese­arch and Manage­ment einen Work­shop ver­an­stal­tet: Wissenschaftler:innen, Eisbärenexpert:innen, Zoolog:innen, Gerä­te­her­stel­ler und Mit­glie­der aus Inu­it-Gemein­schaf­ten dis­ku­tier­ten dar­in zum aktu­el­len Stand des Bären-Trackings und berat­schlag­ten, wie zukünf­ti­ge Sen­der funk­tio­nie­ren sollten.

Von der Skiz­ze zum Pro­to­ty­pen des ers­ten “Bea­rings” war es ein lan­ger Weg © IDEO

Der Ent­ste­hungs­pro­zess

Der ers­te Schritt: das Innen­le­ben des Geräts ent­wi­ckeln. Die­se Auf­ga­be über­nahm unser Pro­jekt­part­ner Mis­ty­West, ein Inge­nieur­bü­ro, das sich auf Tech­no­lo­gien für einen gesün­de­ren Pla­ne­ten spe­zia­li­siert hat. Das Team beschäf­tig­te sich mit ver­schie­de­nen Satelliten‑, Bat­te­rie- und Pro­zes­sor­tech­no­lo­gien, um ein Sys­tem zu ent­wi­ckeln, das in der extre­men Umge­bung der Ark­tis funktioniert.

Es gab gleich meh­re­re Pro­ble­me, die gelöst wer­den muss­ten: Bat­te­rien funk­tio­nie­ren bei nied­ri­gen Tem­pe­ra­tu­ren schlecht, aber die Kom­mu­ni­ka­ti­on mit Satel­li­ten benö­tigt sehr viel Strom. Gleich­zei­tig muss das Gerät so klein und leicht wie mög­lich sein, um die Eis­bä­ren nicht zu stö­ren. Jede Men­ge Test­läu­fe waren nötig, um die per­fek­te Kom­bi­na­ti­on aller Kom­po­nen­ten zu fin­den. Die letz­te gro­ße tech­no­lo­gi­sche Hür­de bestand dar­in, eine Anten­ne zu model­lie­ren, die bis in Welt­raum funkt, jedoch nicht in der Käl­te abbricht. Wie­der ein­mal schlug unser Part­ner eine cle­ve­re Lösung vor, die es uns erlaub­te, die Anten­ne direkt in den Groß­teil des Geräts zu inte­grie­ren – so ist sie wäh­rend ihres stür­mi­schen Ein­sat­zes am Bären­ohr per­fekt geschützt.

Beson­de­re Her­aus­for­de­rung: die extre­men Bedin­gun­gen in der Ark­tis © Eli­sa­beth Kruger/WWF US

Par­al­lel wid­me­ten wir uns der Fra­ge: Wie kann sicher­ge­stellt wer­den, dass die Ohr­mar­ke min­des­tens ein Jahr lang fixiert ist, dann aber von ganz allein abfällt? Hier kam André LaBon­té ins Spiel. Der Inge­nieur stellt seit Jahr­zehn­ten spe­zi­el­le, auf Zeit aus­ge­leg­te Angel­ge­rä­te her. Wich­tig für sei­ne Über­le­gun­gen waren die Eck­da­ten des Eis­bä­ren-Lebens­raums: der Salz­ge­halt im Meer der Ark­tis, die durch­schnitt­li­chen Luft- und Was­ser­tem­pe­ra­tu­ren und eine Schät­zung der Zeit, die ein Bär beim Schwim­men verbringt.

Wie der Sen­der ans Bären­ohr passt

Die ein­zel­nen Kom­po­nen­ten, die ein (B)Ear-Tag braucht, waren also mehr oder weni­ger ent­wi­ckelt. Höchs­te Zeit zu über­le­gen, wie wir sie am Bären­ohr fixier­ten woll­ten. Dabei kam es sehr gele­gen, dass im Alas­ka-Zoo in Ancho­ra­ge gera­de ein Eis­bär-Männ­chen gera­de für eine medi­zi­ni­sche Unter­su­chung betäubt wer­den muss­te. Dort tes­te­ten wir also einen Pro­to­typ, den wir mit Hil­fe eines 3D-Dru­ckers ange­fer­tigt hat­ten. Im Zoo ange­kom­men, schlief der Eis­bär bereits. Nach­dem der Tier­arzt sei­ne Unter­su­chun­gen abge­schlos­sen hat­te, waren wir an der Rei­he: Wir ver­ma­ßen jeden Win­kel des Ohrs und prüf­ten die Pass­form unse­res Pro­to­ty­pen, um zu sehen, wie nahe wir dran waren. Nahe!

Desi­gner Rémy Pie­ron beim Ver­mes­sen des betäub­ten Eis­bä­ren im Zoo von Ancho­ra­ge © Eli­sa­beth Kruger/WWF US

Aus den Maßen wird ein Modell

Aus die­sen Daten bas­tel­te Desi­gner Rémy Pie­ron ein 3D-Modell eines Bären­ohrs, mit dem wir eine Sili­kon­ver­si­on pro­du­zie­ren konn­ten. Wel­ches Mate­ri­al für das Gehäu­se des Sen­ders geeig­net war und wie die ein­zel­nen Kom­po­nen­ten im Inne­ren hal­ten – das her­aus­zu­fin­den war der nächs­te Schritt. Gar nicht so leicht: Eini­ge Mate­ria­li­en wur­den beim Aus­här­ten zu heiß und die Form bekam Ris­se, ande­re lie­ßen sich nicht aus der Form lösen. Am Ende lan­de­ten wir bei einem Ure­than, das in der Käl­te aus­ge­zeich­ne­te Mate­ri­al­ei­gen­schaf­ten hat, sich aber auch leicht ver­ar­bei­ten lässt. Wir hat­ten end­lich unse­ren ers­ten mate­ri­al­re­prä­sen­ta­ti­ven Pro­to­ty­pen! Doch die Freu­de währ­te nicht lan­ge. Der Pro­to­typ war zu schwer…

End­lich: Der ers­te Pro­to­typ des Sen­ders auf Ure­than-Basis © MistyWest

So gut wie am Ziel

95 Pro­zent des Weges bis zum Ziel, einem funk­tio­nie­ren­den (B)ear-Tag, haben wir geschafft. Aber es sind bekannt­lich die letz­ten fünf Pro­zent, die 30 Pro­zent des Auf­wands aus­ma­chen.  Nach zwei Jah­ren For­schung und Design haben wir eine funk­tio­nie­ren­de Ohr­mar­ke mit einer inter­nen Anten­ne ent­wi­ckelt. Das Gerät muss jedoch noch wei­ter getes­tet und ver­fei­nert wer­den. Es gilt jetzt: eine Bat­te­rie zu fin­den, die län­ger hält und auch käuf­lich zu erwer­ben ist und die Her­stel­ler zu über­zeu­gen, die­se Neue­run­gen in ihre Pro­duk­ti­on auf­zu­neh­men. Damit die Ohren­mar­ke end­lich in der Eis­bä­ren-For­schung zum Ein­satz kom­men kann.

Unse­re For­schungs­er­geb­nis­se bie­ten wir gemein­sam mit allen Open-Source-Datei­en auf Git­Hub an – damit Fir­men, die Satel­li­ten­sen­der für die Wild­tier­for­schung her­stel­len, die Tech­no­lo­gie wei­ter­ent­wi­ckeln und viel­sei­tig ein­set­zen können.

Ein beson­de­rer Dank geht an Tat­ja­na Schau­er und ihren Kin­dern Anusch­ka und Niko­lai, die die­se Inno­va­ti­on tat­kräf­tig unter­stützt haben.

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Ich bin Artenschutz-Expertin und seit 2002 beim WWF. Bären sind meine Leidenschaft. Beim WWF setze ich mich u.a. für den Schutz der Eisbären im Arktis-Programm ein. Bevor ich zum WWF kam studierte ich Schwarzbär-Ökologie an der Virginia Tech University.

Kommentare (1)

  • Vielen Dank für den tollen und super interessanten Bericht. Als Eisbär-Pate hoffe ich, dass der Ohrsender bald eingesetzt werden kann. Meinen großen Respekt für diese Arbeit! :-)

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