Eisbären sind die größte Raubtierart an Land. Die weißen Riesen spielen eine tragende Rolle für die Gesundheit des gesamten arktischen Ökosystems. Doch die Klimaerhitzung bedroht die Eisbären zunehmend. Der Einsatz von moderner Technik zum Sammeln von Standort‑, Temperatur- und Bewegungsdaten kann dabei helfen, das Überleben der Art zu sichern.
Rund 26.000 Eisbären zählen wir heute noch auf der Erde. Die Weltnaturschutzunion IUCN befürchtet: Der Bestand wird in den nächsten 30 Jahren um mindestens 30 Prozent schrumpfen – als Folge der verstärkten Packeisschmelze. Auch Meeresverschmutzung, die zunehmende Schiff fahrt, wachsender Tourismus sowie die Erforschung und Förderung von Öl- und Gasvorkommen in der Arktis gefährden die bestehenden Populationen.
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Forschungslücken schließen
Trotz jahrzehntelanger Studien haben Forscher:innen bis heute kaum genügend Informationen über die Gewohnheiten von Eisbären. Mit fortschreitendem Klimawandel verändern sich bestehende Verhaltens- und Bewegungsmuster sogar noch. So zwingen schrumpfende Lebensräume, im Sommer an Land immer länger auf das Packeis zu warten. Dadurch kommen Eisbären immer öfter in Kontakt mit Menschen.
Solche Entwicklungen machen es immer schwieriger, Standorte der Tiere zuverlässig nachzuverfolgen. Seit den 1980er Jahren setzen Naturschützer Satellitenhalsbänder ein, um Daten und Informationen über Status, Entwicklung und Wanderrouten von Tieren zu sammeln. Auch Eisbären werden damit ausgestattet und so konnten in den letzten Jahren viele wertvolle Informationen zusammengetragen werden. Diese Halsbänder haben aber leider auch entscheidende Nachteile.
Die Krux mit Satellitenhalsbändern
Bei den extremen Minustemperaturen und den salzigen Gewässern der Arktis verschleißen herkömmliche Halsbänder in freier Wildbahn schnell. Das macht ihre Leistung recht unzuverlässig. Mehrere Studien deuten darauf hin, dass diese Ausfälle bei fünf bis 50 Prozent der eingesetzten Satelliten-Telemetrie-Einheiten auftreten. Bislang war es auch nur möglich, ausgewachsene Eisbärenweibchen über einen längeren Zeitraum zu überwachen — aus anatomischen Gründen halten die GPS-Halsbänder nur bei ihnen, denn die Männchen haben einen zu breiten Hals und können die Sender leicht abstreifen. Ein effektives Monitoring der Population erfordert jedoch Informationen über weibliche und männliche Bären.
Mit dem WWF-Newsletter nichts mehr verpassen!Auch führen mechanische Ausfälle manchmal dazu, dass Halsbänder viel länger als beabsichtigt auf den Tieren verbleiben. Wenn Bären an Gewicht zunehmen, können die Halsbänder scheuern, was für die Tiere äußerst unangenehm ist. Indigene aus Alaska haben zudem kulturell begründete Bedenken. Die meisten glauben, dass der Einsatz der Halsbänder den Wildtieren nicht den notwendigen Respekt entgegenbringt, den sie verdienen und die Halsbänder zu übermäßigem Leid führen.
Innovation längst überfällig
Bei der “Besenderung” von Eisbären war eine technische Innovation also längst überfällig. Die Entwicklung einer praktikablen Tracking-Lösung für Eisbären ist entscheidend, um ihr Verhalten besser studieren zu können. Die aktuellen Hersteller verfügen jedoch nicht über das nötige Geld, um eine Weiterentwicklung von existierenden Sendern entscheidend voranzutreiben. Dafür ist der Absatzmarkt zu begrenzt, die Einnahmen pro verkauften Sendern zu gering. Deshalb sprang der WWF zusammen mit dem U.S. Fish and Wildlife Service finanziell ein. Unsere Mission: eine kleine, leichte Ohrmarke zu entwickeln, die tägliche Standort‑, Temperatur- und Bewegungsdaten an einen Satelliten übermittelt, zwölf Monate lang funktioniert und danach automatisch abfällt.
Zum Start dieser Mission hatte der WWF 2016 zusammen mit dem Designunternehmen IDEO auf der International Conference on Bear Research and Management einen Workshop veranstaltet: Wissenschaftler:innen, Eisbärenexpert:innen, Zoolog:innen, Gerätehersteller und Mitglieder aus Inuit-Gemeinschaften diskutierten darin zum aktuellen Stand des Bären-Trackings und beratschlagten, wie zukünftige Sender funktionieren sollten.
Der Entstehungsprozess
Der erste Schritt: das Innenleben des Geräts entwickeln. Diese Aufgabe übernahm unser Projektpartner MistyWest, ein Ingenieurbüro, das sich auf Technologien für einen gesünderen Planeten spezialisiert hat. Das Team beschäftigte sich mit verschiedenen Satelliten‑, Batterie- und Prozessortechnologien, um ein System zu entwickeln, das in der extremen Umgebung der Arktis funktioniert.
Es gab gleich mehrere Probleme, die gelöst werden mussten: Batterien funktionieren bei niedrigen Temperaturen schlecht, aber die Kommunikation mit Satelliten benötigt sehr viel Strom. Gleichzeitig muss das Gerät so klein und leicht wie möglich sein, um die Eisbären nicht zu stören. Jede Menge Testläufe waren nötig, um die perfekte Kombination aller Komponenten zu finden. Die letzte große technologische Hürde bestand darin, eine Antenne zu modellieren, die bis in Weltraum funkt, jedoch nicht in der Kälte abbricht. Wieder einmal schlug unser Partner eine clevere Lösung vor, die es uns erlaubte, die Antenne direkt in den Großteil des Geräts zu integrieren – so ist sie während ihres stürmischen Einsatzes am Bärenohr perfekt geschützt.
Parallel widmeten wir uns der Frage: Wie kann sichergestellt werden, dass die Ohrmarke mindestens ein Jahr lang fixiert ist, dann aber von ganz allein abfällt? Hier kam André LaBonté ins Spiel. Der Ingenieur stellt seit Jahrzehnten spezielle, auf Zeit ausgelegte Angelgeräte her. Wichtig für seine Überlegungen waren die Eckdaten des Eisbären-Lebensraums: der Salzgehalt im Meer der Arktis, die durchschnittlichen Luft- und Wassertemperaturen und eine Schätzung der Zeit, die ein Bär beim Schwimmen verbringt.
Wie der Sender ans Bärenohr passt
Die einzelnen Komponenten, die ein (B)Ear-Tag braucht, waren also mehr oder weniger entwickelt. Höchste Zeit zu überlegen, wie wir sie am Bärenohr fixierten wollten. Dabei kam es sehr gelegen, dass im Alaska-Zoo in Anchorage gerade ein Eisbär-Männchen gerade für eine medizinische Untersuchung betäubt werden musste. Dort testeten wir also einen Prototyp, den wir mit Hilfe eines 3D-Druckers angefertigt hatten. Im Zoo angekommen, schlief der Eisbär bereits. Nachdem der Tierarzt seine Untersuchungen abgeschlossen hatte, waren wir an der Reihe: Wir vermaßen jeden Winkel des Ohrs und prüften die Passform unseres Prototypen, um zu sehen, wie nahe wir dran waren. Nahe!
Aus den Maßen wird ein Modell
Aus diesen Daten bastelte Designer Rémy Pieron ein 3D-Modell eines Bärenohrs, mit dem wir eine Silikonversion produzieren konnten. Welches Material für das Gehäuse des Senders geeignet war und wie die einzelnen Komponenten im Inneren halten – das herauszufinden war der nächste Schritt. Gar nicht so leicht: Einige Materialien wurden beim Aushärten zu heiß und die Form bekam Risse, andere ließen sich nicht aus der Form lösen. Am Ende landeten wir bei einem Urethan, das in der Kälte ausgezeichnete Materialeigenschaften hat, sich aber auch leicht verarbeiten lässt. Wir hatten endlich unseren ersten materialrepräsentativen Prototypen! Doch die Freude währte nicht lange. Der Prototyp war zu schwer…
So gut wie am Ziel
95 Prozent des Weges bis zum Ziel, einem funktionierenden (B)ear-Tag, haben wir geschafft. Aber es sind bekanntlich die letzten fünf Prozent, die 30 Prozent des Aufwands ausmachen. Nach zwei Jahren Forschung und Design haben wir eine funktionierende Ohrmarke mit einer internen Antenne entwickelt. Das Gerät muss jedoch noch weiter getestet und verfeinert werden. Es gilt jetzt: eine Batterie zu finden, die länger hält und auch käuflich zu erwerben ist und die Hersteller zu überzeugen, diese Neuerungen in ihre Produktion aufzunehmen. Damit die Ohrenmarke endlich in der Eisbären-Forschung zum Einsatz kommen kann.
Unsere Forschungsergebnisse bieten wir gemeinsam mit allen Open-Source-Dateien auf GitHub an – damit Firmen, die Satellitensender für die Wildtierforschung herstellen, die Technologie weiterentwickeln und vielseitig einsetzen können.
Ein besonderer Dank geht an Tatjana Schauer und ihren Kindern Anuschka und Nikolai, die diese Innovation tatkräftig unterstützt haben.
Kommentare (1)
Vielen Dank für den tollen und super interessanten Bericht. Als Eisbär-Pate hoffe ich, dass der Ohrsender bald eingesetzt werden kann. Meinen großen Respekt für diese Arbeit! :-)