Schild­krö­ten: Die letz­ten ihrer Art

Für sie gibt es keine Überlebenschancen: die Jangtse-Riesenweichschildkröte © Picture Alliance / Photoshot

Sie über­leb­ten die Dino­sau­ri­er und bevöl­ker­ten Ber­ge und Täler, Wüs­ten und Wäl­der, Seen und Flüs­se schon vor über 100 Mil­lio­nen Jah­ren: Schild­krö­ten im Was­ser und an Land. Etwa 360 ver­schie­de­ne Arten der Pan­zer­tie­re sind heu­te bekannt. Doch für vie­le von ihnen dürf­ten die Tage gezählt sein. Denn laut Welt­na­tur­schutz­uni­on (IUCN) sind etwa zwei Drit­tel der unter­such­ten Arten bedroht oder gar ausgestorben.

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Eine davon ist die Can­tors Rie­sen­weich­schild­krö­te, (Pelochelys can­to­rii). Sie galt in frei­er Wild­bahn lan­ge als ver­schol­len. Die letz­ten Exem­pla­re konn­ten nur noch in Zoos beob­ach­tet  wer­den. Nach Hin­wei­sen von Dorf­be­woh­nern gelang es 2023 einem bri­ti­schen For­scher­team der Uni­ver­si­ty of Ports­mouth 2023 ein nis­ten­des Weib­chen am Chand­ra­gi­ri-Fluss in der indi­schen Regi­on Kera­la auf­zu­spü­ren. Das war nicht ein­fach, denn die Tie­re ver­brin­gen die meis­te Zeit bewe­gungs­los im Schlamm. Nur die Augen und der Mund ragen aus dem Sand. Die Wisseneschaftler:innen ent­nah­men die Eier aus dem Nest und ent­lie­ßen die geschlüpf­ten Jung­tie­re spä­ter in den Fluss. Weich­schild­krö­ten sind in Flüs­sen Süd- und Süd­ost­asi­ens hei­misch. Sie sind unter ande­rem infol­ge der Zer­stö­rung ihres Lebens­raums als «vom Aus­ster­ben bedroht» auf der Roten Lis­te bedroh­ter Arten der Welt­na­tur­schutz­uni­on (IUCN) eingestuft.

Noch sel­te­ner als die wie­der auf­ge­tauch­ten indi­schen Pan­zer­tie­re  ist die ähn­lich aus­se­hen­de  Jang­tse-Rie­sen­weich­schild­krö­te (Rafetus swin­ho­ei) Sie steht ganz oben auf der Lis­te der Todes­kan­di­da­tin­nen. Das Tier, bringt bis zu 120 Kilo auf die Waa­ge und  gilt als eine der sel­tens­ten Arten der Welt. Zuletzt waren nur drei leben­de Exem­pla­re welt­weit bekannt: ein Weib­chen und ein Männ­chen in zwei von­ein­an­der getrenn­ten Seen in Viet­nam und ein Männ­chen in einem ost­chi­ne­si­schen Zoo. Im April 2023 wur­de nun aus­ge­rech­net das letz­te leben­de Weib­chen leb­los auf­ge­fun­den – Todes­ur­sa­che noch unklar. Weil nur noch zwei Männ­chen ver­blei­ben gibt es wohl kei­ne Über­le­bens­chan­cen mehr für die Jang­tse-Rie­sen­weich­schild­krö­te.

Lone­so­me Geor­ges” Schick­sal wie­der­holt sich

Bei den asia­ti­schen Süß­was­ser-Schild­krö­ten scheint sich das Schick­sal des „Lone­so­me Geor­ge” zu wie­der­ho­len. „Der Ein­sa­me Geor­ge” starb 2012 als letz­ter Ver­tre­ter der Pin­ta-Unter­art der Galá­pa­gos Rie­sen­schild­krö­ten in der Charles Dar­win For­schungs­sta­ti­on auf der Insel San­ta Cruz, wohin er zu sei­ner eige­nen Sicher­heit von sei­ner Hei­mat­in­sel Pin­ta ver­bracht wor­den war. Die For­schungssta­ti­on wur­de einst mit Hil­fe des WWF ins Leben gerufen.

Der “Ein­sa­me Geor­ge” starb als letz­ter sei­ner Pin­ta-Unter­art der Galá­pa­gos-Rie­sen­schild­krö­te im Jahr 2012 © IMAGO / agefotostock

Die bis zu ein­ein­halb Meter gro­ßen und oft über 200 Kilo­gramm schwe­ren Pan­zer­tie­re besie­del­ten im 17. und 18. Jahr­hun­dert noch in gro­ßer Zahl die Inseln des pazi­fi­schen Gala­pa­gos-Archi­pels. Bis der Mensch den Unter­gang der Pan­zer­tie­re besie­gel­te. Im 19. Jahr­hun­dert nah­men Wal­fän­ger Schild­krö­ten als leben­den Pro­vi­ant mit an Bord. Aber nicht nur das Fleisch, auch die Eier waren und sind eine belieb­te Beu­te. Dazu kommt die Bedro­hung durch ver­wil­der­te Haus­schwei­ne und Haus­kat­zen, die Jung­schild­krö­ten und Eier fres­sen, sowie Haus-Zie­gen, ‑Esel und ‑Kühe, die mit den Schild­krö­ten um Gras konkur­rie­ren und Nah­rungs­plät­ze zer­tram­peln.

Wenn der Lebens­raum schwindet

Die über­mä­ßi­ge Jagd ist nicht die ein­zi­ge Bedro­hung, die den Schild­krö­ten das Leben schwer macht. Tro­cken­ge­leg­te Sümp­fe, ver­schmut­ze Gewäs­ser oder Wäl­der, die in Agrar­step­pen umge­wan­delt wer­den, las­sen immer weni­ger Raum für die Urzeit­tie­re. Beob­ach­ten lässt sich das am Fall der Dah­ls Krö­ten­kopf­schild­krö­te (Meso­clem­mys dah­li) aus Kolumbien.

Ihr Lebens­raum wird zuneh­mend klei­ner: Dah­ls Krö­ten­kopf­schild­krö­te © Luis Rojas

Deren Bestand wird auf eini­ge hun­dert Exem­pla­re geschätzt. Ihr Lebens­raum ist mas­siv geschrumpft. Sie kommt in kei­nen Schutz­ge­bie­ten vor und die Feucht­ge­bie­te, in denen die Art erst­mals wis­sen­schaft­lich beschrie­ben wur­de, sind inzwi­schen von Men­schen tro­cken­ge­legt und in Wei­de­land umge­wan­delt wor­den. Das Über­le­ben ist also unge­wiss, auf der Inter­na­tio­na­len Roten Lis­te wird die Art als „vom Aus­ster­ben bedroht“ auf­ge­führt.

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Die Dah­ls Krö­ten­kopf­schild­krö­ten ste­hen auf der Lis­te der 25 beson­ders gefähr­de­ten Schild­krö­ten­ar­ten, die die IUCN vor mehr als zehn Jah­ren zusam­men­ge­stellt hat. Auf­fäl­lig: Mehr als die Hälf­te tod­ge­weih­ten Arten lebt in Asi­en. Denn gera­de dort sind die Tie­re beson­ders begehrt. Sie wer­den geges­sen und für tra­di­tio­nel­le asia­ti­sche Medi­zin genutzt. Men­schen zah­len gro­ße Sum­men für beson­ders sel­te­ne Exem­pla­re, ob als Luxus­gut oder ille­ga­les Haus­tier. Ein Teu­fels­kreis: Je sel­te­ner die Tie­re, des­to attrak­ti­ver die Wil­de­rei. Schild­krö­ten wer­den gera­de für die arme Land­be­völ­ke­rung zu wan­deln­den Edel­stei­nen. Manch­mal bricht die Popu­la­ti­on dadurch in weni­gen Jah­ren zusammen.

Schar­nier­schild­krö­ten exis­tier­ten einst so zahl­reich, dass sie als Wurf­ge­schos­se her­hal­ten muss­ten © IMAGO / Ardea

Dem­entspre­chend berich­te­te die Wochen­zei­tung Die Zeit schon 2013 vom Schick­sal der Arten aus der Gat­tung der Schar­nier­schild­krö­ten (Cuo­ra): „Noch in den sieb­zi­ger Jah­ren waren die Tie­re mit ihrem wal­nuss­brau­nen Pan­zer und gel­ben Kopf in ihrem rela­tiv klei­nen Hei­mat­ge­biet häu­fi­ger als Stei­ne. Des­halb benutz­ten die Ein­hei­mi­schen sie als Wurf­ge­schos­se, um Büf­fel zu scheu­chen. Dann begann Anfang der 1980er Jah­re ein Händ­ler aus Hong­kong, pro Tier ein paar Cent zu zah­len und för­der­te damit die Kar­rie­re vom schnö­den Wurf- zum kost­ba­ren Handelsobjekt.“

Die sel­tens­ten Wir­bel­tie­re der Welt

Inzwi­schen gehö­ren Schild­krö­ten zu den sel­tens­ten und den am stärks­ten bedroh­ten Wir­bel­tie­ren der Welt. „Ihr Pan­zer wird ihnen nicht hel­fen, um zu über­le­ben. Wir brau­chen stren­ge­re Geset­ze und deren Durch­set­zung, Auf­klä­rung der Bevöl­ke­rung und Pro­gram­me zu Wie­der­an­sied­lung“, betont WWF-Arten­schutz­ex­per­tin Anne Hansch­ke. Wie so etwas aus­se­hen kann, zei­gen Naturschützer:innen in Bolivien.

Obwohl Schild­krö­ten welt­weit bedroht sind, gel­ten ihre Eier vie­ler­orts als Deli­ka­tes­se © IMAGO / Xinhua

Modell­ver­such am Río Iténez

Schild­krö­ten wer­den vie­ler­orts wegen ihrer Pan­zer gewil­dert. Außer­dem sind ihre Eier sehr eiweiß­hal­tig und wer­den des­halb im Ama­zo­nas­ge­biet vie­ler­orts als Nah­rungs­mit­tel genutzt. Lan­ge war das kein Pro­blem, doch inzwi­schen sind auch durch ande­re Bedro­hun­gen die Bestän­de der dort leben­den Arrau- und der Tere­kay-Schie­nen­schild­krö­ten bedenk­lich geschrumpft. Weil der Eier­nach­schub zu ver­sie­gen droh­te, ent­schlos­sen sich die indi­ge­nen Bewohner:innen am Ufer des Río Ité­nez – einem Grenz­fluss zwi­schen Bra­si­li­en und Boli­vi­en – die Samm­lung deut­lich zurück­zu­fah­ren, und die Tie­re zu schüt­zen, um sie nach­hal­ti­ger nut­zen zu können.

Der WWF unter­stützt den Schutz der Fluss­schild­krö­ten am Río Ité­nez in Boli­vi­en © Jai­me Rojo / WWF US

Mit Hil­fe des WWF wur­den mit­ten im Regen­wald zunächst Strand­ab­schnit­te ent­lang des Flus­ses als bedeu­ten­de Geburts­plät­ze iden­ti­fi­ziert. Frei­wil­li­ge aus den Dör­fern der Umge­bung über­wach­ten die­se Zonen rund um die Uhr. Schon im ers­ten Jahr schlüpf­ten an den geschütz­ten Strand­ab­schnit­ten 150.000 Schild­krö­ten­jun­ge. Weni­ge Jah­re danach waren es bereits meh­re­re Mil­lio­nen. Mitt­ler­wei­le arbei­ten die Indi­ge­nen seit fünf­zehn Jah­ren mit dem WWF dar­an, die Schild­krö­ten­po­pu­la­ti­on wie­der­her­zu­stel­len. Doch die Tie­re sind einer neu­en Bedro­hung aus­ge­setzt: Die Schild­krö­ten­ei­er ver­fau­len im feuch­ten Sand und Schild­krö­ten­ba­bys ertrin­ken, bevor sie ihr Nest zu ver­las­sen kön­nen. Denn durch den Bau bra­si­lia­ni­scher Stau­däm­me ist der Was­ser­pe­gel des Rio Ité­nez stark angestiegen.

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Düs­te­re Aussichten

Wäh­rend sich die Schild­krö­ten­be­stän­de am Río Ité­nez trotz neu­er Bedro­hun­gen lang­sam erho­len, sieht die Zukunft vie­ler ihrer Art­ver­wand­ten düs­ter aus. „Es ist höchs­te Zeit, das Bewusst­sein für die Ver­letz­lich­keit der Schild­krö­ten zu schär­fen. Wenn das nicht gelingt“, so Anne Hansch­ke, „könn­ten sich vie­le die­ser ein­drucks­vol­len Tier­ar­ten, die die Erde seit Urzei­ten besie­deln, schon bald für immer von die­sem Pla­ne­ten verabschieden.“

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Kommentare (3)

  • Wir müssen die Umwelt und die tiere schützenPlastikmüll muss gestoppt werden …

  • Der Verlust von 'Lonesome George' im Jahr 2012 traf besonders meine Tochter, die seit ihrem siebten Geburtstag, als sie ein Schildkröten Kuscheltier erhielt, von diesen faszinierenden Reptilien begeistert war. Georges Tod wurde zu einem Wendepunkt in ihrem Leben. Nach ihrem Abitur zog es sie nach Ban Nam Khem, einem kleinen Fischerdorf in Thailand, wo sie sich leidenschaftlich in Naturschutzprojekten, einschließlich des Schutzes von Meeresschildkröten, engagierte. Durch sie habe ich, selbst in meinem Alter, noch viel gelernt. Ihr Einsatz zeigt, dass es nie zu spät ist, einen Unterschied zu machen. Wir teilen diesen Planeten mit so vielen anderen Lebewesen, und das wird in der Hektik des Großstadtlebens oft vergessen.

  • Mega interessanter, aber leider auch etwas trauriger Beitrag. Dabei sind Schildkröten so wahnsinnig tolle Tiere.

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