Von Brom­bee­ren im Wald, der Gül­le auf dem Acker und dem Schnit­zel auf mei­nem Teller

Brombeeren im Wald bedeuten nicht nur Gutes. JuliaL49 - CC BY-NC-SA 2.0 - https://flic.kr/p/8CbdbX

Ist euch im Wald auch schon mal auf­ge­fal­len, dass vor allem dicht am Weges­rand und ger­ne an Kreu­zun­gen Brenn­nes­seln oder Spring­kraut wach­sen? Das könn­te dar­an lie­gen, dass Hun­de dort beim Gas­si ger­ne mar­kie­ren. Dabei geben sie über den Urin Stick­stoff in den Boden ab. Längst fin­den sich im Wald aber immer mehr die­ser Pflan­zen auch jen­seits von Weg­ga­be­lun­gen. Und das hat dann nichts mit Fif­fi oder Strup­pi zu tun.

Guter Stick­stoff, schlech­ter Stickstoff

Leben heißt ler­nen: Bei einem Aus­flug in den Wald durf­te ich vor kur­zem mehr über so genann­te „Zei­ger­pflan­zen“ erfah­ren. Ihr Vor­kom­men gibt Aus­kunft über den Boden. Die Brenn­nes­sel fühlt sich zum Bei­spiel dort wohl, wo der Boden viel Stick­stoff (N) her­gibt, eben­so das Spring­kraut oder die Brom­bee­re und die Him­bee­re.
Stick­stoff ist prin­zi­pi­ell eine pri­ma Sache für Pflan­zen. Ohne Stick­stoff fehlt ihnen ein Bau­stein für den Bau von Ami­no­säu­ren, DNS oder Pro­te­inen. Wenn Stick­stoff gut fürs Wachs­tum von Pflan­zen ist, war­um reden mei­ne Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen aus dem Land­wirt­schafts­team dann eigent­lich häu­fig mit Gra­bes­stim­me über die­ses Stöffchen?

Auch Brenn­nes­seln sind Zei­ger­pflan­zen und wei­sen auf Stick­stoff im Boden. bby_ — CC BY-NC 2.0 — https://flic.kr/p/4TTG3t

​Dafür brau­chen wir ein klein wenig Che­mie: Die meis­ten Pflan­zen kön­nen Stick­stoff nicht aus der Luft fil­tern, son­dern holen ihn in Form reak­ti­ver Stick­stoff-ver­bin­dun­gen aus dem Boden. „Reak­tiv“ steht für die Fähig­keit, Bin­dun­gen mit ande­ren orga­ni­schen und anor­ga­ni­schen Stof­fen ein­zu­ge­hen. Reak­ti­ver Stick­stoff ist ein Form­wand­ler und begeg­net uns als Bestand­teil im Nitrat (NO3), im Nitrit (NO2), in Lach­gas (N2O) oder auch in Ammo­ni­ak (NH3).
Er wan­dert in die­sen unter­schied­li­chen Bin­dun­gen durch Boden, Luft, Was­ser, Pflan­zen und Tie­re, ein­schließ­lich uns Men­schen. Weni­ger wird er dabei nicht. Er bleibt im Kreis­lauf. Denn sowas wie eine „Halb­wert­zeit“ kennt er nicht.

Woher kommt der vie­le Stickstoff?

Seit ein gewis­ser Fritz Haber und ein gewis­ser Carl Bosch Anfang des 20. Jahr­hun­derts gemein­sam ein recht ener­gie­in­ten­si­ves che­mi­sches Ver­fah­ren zur Gewin­nung von Ammo­ni­ak (aus eigent­lich an Reak­ti­on sonst nicht inter­es­sier­tem) Luft-Stick­stoff und Was­ser­stoff ent­wi­ckelt haben, hat der Kunst­dün­ger sei­nen welt­wei­ten Sie­ges­zug auf den Äckern gehal­ten. Somit gelangt zusätz­li­cher Stick­stoff in den Stickstoffkreislauf.

Wei­te­ren Stick­stoff impor­tie­ren wir über unse­re Fleisch und Wurst:
In Deutsch­lands (zu 90 Pro­zent inten­si­ver kon­ven­tio­nel­ler) Land­wirt­schaft bekom­men Schwei­ne, Rin­der und Hüh­ner Soja­schrot in ihr Fut­ter, über­wie­gend impor­tiert aus Süd­ame­ri­ka. Soja ist ein hoch­wer­ti­ger und preis­wer­ter pflanz­li­cher Eiweiß­lie­fe­rant. Die Tie­re bil­den dar­aus tie­ri­sches Eiweiß. Was sie nicht ver­wer­ten, schei­den sie wie­der aus.

Blau­al­gen in der Ost­see. © Päi­vi Ros­q­vist / WWF Finnland

Aus den Schwei­ne­stäl­len lan­det die nitratrei­che Gül­le auf dem Acker. Doch die Pflan­zen dort kön­nen den ein­ge­setz­ten Stick­stoff nur zum Teil auf­neh­men. Der ande­re Teil wird in Gewäs­ser aus­ge­wa­schen und sam­melt sich im Boden an. Je nach Wit­te­rung geht auch Stick­stoff in die Luft, als reak­ti­ves Lach­gas oder als Ammoniak.

Immer mehr Stick­stoff gelangt so zum Bei­spiel in die Ost­see und befeu­ert dort zusam­men mit Phos­phat das Wachs­tum von Algen, die beim Abster­ben Bak­te­ri­en zer­set­zen und dabei Sau­er­stoff aus dem Was­ser zie­hen. Weni­ger Sau­er­stoff bedeu­tet weni­ger Leben. Todes­zo­nen ent­ste­hen in der Ostsee.

Stress für die Artenvielfalt

Auch beim Aus­flug in den Wald kann ich die Fol­gen des Stick­stoff-Über­schus­ses zuneh­mend stu­die­ren. Da sind wir wie­der bei den Zei­ger­pflan­zen ange­kom­men. Der zusätz­li­che Ein­trag luft­ge­tra­ge­ner Schwe­fel- und Stick­stoff­ver­bin­dun­gen führt zu sau­ren und stick­stoff­rei­chen Böden, mit nega­ti­ven Fol­gen für Flo­ra und Fau­na. Zum Bei­spiel brei­ten sich stick­stoff­lie­ben­de Grä­ser und Sträu­cher aus. Sie ver­stär­ken in nie­der­schlags­ar­men Gebie­ten den Kampf um das weni­ge Was­ser. Das stresst die Bäume.
Pflan­zen, die es weni­ger nähr­stoff­reich mögen, ver­schwin­den. Davon betrof­fen sind zum Bei­spiel immer mehr Farn- und Blü­ten­pflan­zen. Fal­len sie weg, feh­len sie als Bestand­teil gan­zer Nah­rungs­ket­ten, an denen zum Bei­spiel Insek­ten, Klein­säu­ger oder Vögel hän­gen. Der Druck setzt sich fort — und somit auch der schlei­chen­de Ver­lust von Arten­viel­falt im Wald.

Seit­dem ich erfah­ren habe, was dahin­ter steckt, wenn sich im Wald die vol­len Brom­beer­bü­sche meh­ren, bin ich bei ihrem Anblick weni­ger eupho­risch. Und ich habe einen wei­te­ren Grund für deut­lich weni­ger Fleisch auf mei­nem Teller.

Mehr wis­sen?

Wer mehr über Stick­stoff in Deutsch­land wis­sen möch­te, dem sei als Ein­stieg emp­foh­len: www.umweltbundesamt.de/themen/boden-landwirtschaft/umweltbelastungen-der-landwirtschaft/stickstoff
Pressereferentin beim WWF Deutschland, leidgeplagtes HSV-Mitglied und Gelegenheitsstadionbesucherin mit Herz für U-Musik

Kommentare (1)

  • Hallo Wibke,
    ich denke, da ist eine kleine Unrichtigkeit. : Nix auf dieser Erde hält ewig. Auch Stickstoffverbindungen leben nicht ewig. Aus diesem Grund haben viele Pflanzen die Möglichkeit entwickelt, Stickstoff aus der Luft zu binden. Dazu zählen nicht nur die berühmten Leguminosen (zB. Erbsen, Klee, Akazien (Robinien)) ,sondern ich bin fest überzeugt: auch unsere Pionierpflanzen haben eine Möglichkeit gefunden, Stickstoff zu binden, auch wenn das von der Forstwirtschaft immer wieder bestritten wird.

    Von der Brombeere weiß man es mittlerweile: sie ist nicht nur ein wichtiger Stickstoffspeicher z.B. nach einer Naturkatastrophe (Sturmbruch im Wald, Hangrutsch usw.), sondern die Brombeere kann auch ganz aktiv Stickstoff binden. Zum Leidwesen übrigens der Förster, denn die stark wachsenden Triebe umschlingen în der Aufforstung die jungen Bäumchen und drücken sie, zB. bei Schnee auf den Boden.
    Ohne eigene Stickstoffbindung wäre das so nicht möglich.....

    Ich denke, in der Natur gibt's noch viel zu entdecken....
    Gruß Holger

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