Green Deal: Mis­si­on possible?

© IMAGO/Panama-Pictures

Der Weg zum Mond ist ziem­lich weit. Unge­fähr 380.000 Kilo­me­ter, um genau zu sein. Ange­sichts die­ser Ent­fer­nung ver­wun­dert es nicht, dass die EU mit der von ihr pos­tu­lier­ten „Mond­mis­si­on“, dem euro­päi­schen Green Deal, noch ein ziem­li­ches Stück vom Ziel ent­fernt ist. Aber viel besorg­nis­er­re­gen­der ist: eini­ges deu­tet drauf hin, dass die Rake­te bereits auf dem Rück­weg ist, bevor sie über­haupt rich­tig los­ge­flo­gen ist.

Ende 2019 prä­sen­tier­te die frisch geba­cke­ne EU-Prä­si­den­tin Ursu­la von der Ley­en ihren „Green Deal“ als „Man on the Moon-Moment“. Sie kün­dig­te ein Gesamt­pa­ket für wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung und Kli­ma­schutz an. Ihr Ziel war und ist es, den Kon­ti­nent bis 2050 kli­ma­neu­tral umzu­ge­stal­ten und die euro­päi­sche Wirt­schaft im inter­na­tio­na­len Wett­be­werb zu stär­ken. Gute Idee!

Euro­pas Mond­lan­dung! Hat sie den Mund zu voll genom­men? © IMAGO CTK Pictures

Trans­for­ma­ti­on in allen Bereichen

Dafür ste­hen tief­grei­fen­de Ver­än­de­run­gen in nahe­zu jedem Poli­tik­be­reich an. Mobi­li­tät, Land­wirt­schaft, Ener­gie­ver­sor­gung, Ernäh­rung, Kreis­lauf­wirt­schaft, Res­sour­cen­nut­zung und Indus­trie­po­li­tik . Auch die Finanz­po­li­tik muss drin­gend auf nach­hal­ti­ge­re Bei­ne gestellt wer­den. Trans­for­ma­ti­on in vie­len Berei­chen. Viel zu tun.

Grund­la­ge für den Green Deal ist das “Fit für 55” Paket, ein zen­tra­les Geset­zes­pa­ket, das eine lan­ge Rei­he von Vor­schlä­gen zur Über­arbeitung und Aktuali­sierung von EU-Rechts­­vor­schrif­ten umfasst. Ziel der Initia­ti­ve ist es, die Treibhausgas­emissionen in der EU bis 2030 um min­des­tens 55 Pro­zent gegen­über dem Stand von 1990 zu sen­ken. Ange­sichts der Viel­zahl der Refor­men war von Anfang an klar: Der Green Deal wird kein Pro­jekt für eine Legis­la­tur­pe­ri­ode, son­dern ein ziem­li­cher Langstreckenflug.

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Euro­pa­wahl 2024

Zwi­schen­lan­dung Juni 2024: Euro­pa wählt ein neu­es Par­la­ment. Die Macht­ver­hält­nis­se wer­den sich ver­schie­ben. Ob oder in wel­chem Tem­po die Rei­se zum Mond wei­ter­geht, steht in den Ster­nen. Gab es 2019 noch so etwas wie Auf­bruch­stim­mung, hat sich die poli­ti­sche Lage in Euro­pa ver­dun­kelt. Die Pan­de­mie und die diver­sen geo­po­li­ti­schen Span­nun­gen haben ihre Spu­ren hin­ter­las­sen.  Im Wahl­kampf ist Popu­lis­mus ange­sagt: „Am Bau­er­ster­ben sind nur die hohen Umwelt­auf­la­gen schuld. Rena­tu­rie­rung bedroht unser Zuhau­se. Ein Tem­po­li­mit bringt nichts, und bil­li­ges Fleisch ist ein Grund­recht.“ Paro­len wie die­se fal­len vie­ler­orts auf frucht­ba­ren Boden. Das zeigt sich schon an ver­än­der­ten Mehr­heits­ver­hält­nis­sen in diver­sen natio­na­len Parlamenten.

Wer stimm­te wie? Das Abstim­mungs­ver­hal­ten im Euro­pa­par­la­ment zu umwelt­re­le­van­ten Fragestellungen.

Von Ita­li­en bis Hol­land ging der Aus­schlag zuletzt deut­lich nach Rechts­au­ßen. Für die Wah­len in Euro­pa und die Zukunft des Green Deals ist das kein gutes Zei­chen. Denn Par­tei­en wie die AfD in Deutsch­land, VOX in Spa­ni­en oder Ita­li­ens Neo­fa­schis­ten sind in der Ver­gan­gen­heit nicht als Kli­ma- oder Umwelt­schüt­zer auf­ge­fal­len. Im Gegen­teil. Die kli­ma­po­li­ti­schen Vor­stel­lun­gen der AfD sind zum Bei­spiel noch extre­mer als die von ande­ren rechts­extre­men Par­tei­en in Euro­pa. Die Par­tei hält die Kli­ma­er­hit­zung für einen natür­li­chen Vor­gang. Sie lehnt Kli­ma­schutz­ge­set­ze, CO2-Steu­ern, EU-Emis­si­ons­han­del, Ener­gie­wen­de, Ener­gie­ef­fi­zi­enz und Erneu­er­ba­re Ener­gien ab. Die Strom­ver­sor­gung soll statt­des­sen weit­ge­hend mit Atom­kraft­wer­ken erfol­gen. Für die für nöti­gen Uran­lie­fe­run­gen aus Russ­land wür­de man hin­ge­gen ver­mut­lich das rech­te Auge zudrücken.

Har­te Zei­ten für den Green Deal

Es zu befürch­ten, dass sol­che Stim­men noch lau­ter wer­den. Har­te Zei­ten für den Green Deal. Ohne­hin muss­ten diver­se Geset­zes­vor­ha­ben in den ver­gan­ge­nen Mona­ten hef­ti­ge Rück­schlä­ge hin­neh­men. Mit dem Segen aus Ber­lin wur­de z.B. die Flä­chen­still­le­gung, also die Bereit­stel­lung von Agrar­flä­chen für den Natur­schutz aus­ge­setzt. Ein paar tau­send Bau­ern mit Trak­to­ren auf den Stra­ßen genüg­ten, um bereits  ver­han­del­te und auf Nach­hal­tig­keit aus­ge­rich­te­te Rege­lun­gen zu kip­pen und das Gan­ze auch noch als „Büro­kra­tie­ab­bau“ zu verschleiern.

Ein Paar Trak­to­ren genüg­ten, um wich­ti­ge Rege­lun­gen zu Fall zu brin­gen. © Pic­tu­re-alli­ance / Hans Lucas Adri­en Auzanneau

Green Deal auf Kurs?

Trotz all die­ser Rück­schlä­ge, der Kurs stimmt.  Das sehen zumin­dest die Exper­ten des “Euro­pean Cli­ma­te Neu­tra­li­ty Obser­va­ti­on” , eine auf Kli­ma­fra­gen fokus­sier­te Denk­fa­brik so. Der recht­li­che Rah­men stim­me, es hape­re an der Umset­zung. Was fehlt sei das Geld für Inves­ti­tio­nen. Damit der Green Deal flie­ge und das Ziel der Kli­ma­neu­tra­li­tät bis 2050 erreicht wer­den kön­ne, müs­se man die jähr­li­chen Inves­ti­tio­nen mehr als verdoppeln.

Ein Umbau schäd­li­cher Sub­ven­tio­nen wäre ein guter Anfang. Anstatt Mil­li­ar­den in natur- und kli­ma­schäd­li­che Akti­vi­tä­ten zu pum­pen, könn­ten öffent­li­chen Gel­der  umge­lenkt wer­den. Allein zur Schlie­ßung von Finan­zie­rungs­lü­cken zur Errei­chung drin­gend not­wen­di­ger EU-Zie­le für den Natur- und Arten­schutz könn­te sehr viel über die kon­se­quen­te Umlen­kung bestehen­der Mit­teln in den ent­spre­chen­den Wirt­schafts­sek­to­ren erreicht wer­den, wie ein  WWF-Report zeigt.

Ob es mit dem Flug zum Mond noch klappt, bleibt abzu­war­ten. In der kom­men­den Legis­la­tur­pe­ri­ode wer­den The­men wie Migra­ti­on, Sicher­heit, Ver­tei­di­gung und Wett­be­werbs­fä­hig­keit im Vor­der­grund ste­hen. In wel­che Rich­tung es geht, dar­auf deu­tet ein Bericht des ehe­ma­li­gen ita­lie­ni­schen Minis­ter­prä­si­den­ten Enri­co Let­ta hin. Ein neu­er Deal für Wett­be­werbs­fä­hig­keit, der “New Euro­pean Com­pe­ti­ti­ve­ness Deal” zeich­net sich ab. Das muss nicht das Ende der Mond­mis­si­on von Ursu­la von der Ley­en sein. Der Green Deal kann als Trei­ber der euro­päi­schen Wett­be­werbs­fä­hig­keit über­le­ben.  Unter wel­chem Eti­kett die Refor­men letzt­end­lich aus­ge­baut und umge­setzt wer­den, spielt für die Zukunft unse­res Pla­ne­ten kei­ne Rol­le. Haupt­sa­che es passiert.

Die Kon­kur­renz schläft nicht

Pho­to­vol­ta­ik­mo­du­le kom­men inzwi­schen meist aus Chi­na.© Asia Chang, Unsplash

Das Stra­te­gie­pa­pier von Enri­co Let­ta ist auch eine Reak­ti­on auf die wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen in ande­ren Tei­len der Welt.  Auch außer­halb Euro­pas hat man längst begrif­fen, dass Nach­hal­tig­keit und eine bes­se­re Wett­be­werbs­fä­hig­keit kei­ne Gegen­sät­ze sind. Die USA pum­pen Mil­li­ar­den in ihren „Infla­ti­on Reduc­tion Act“ um High-Tech Unter­neh­men zu unter­stüt­zen. Und auch am ande­ren Ende der Welt ist man nicht untä­tig. Inzwi­schen erwirt­schaf­tet Chi­na 40 Pro­zent des Brut­to­in­lands­pro­duk­tes mit Elek­tro­au­tos, Solar­an­la­gen und ande­ren Pro­duk­ten der Cleantech-Industrie.

Euro­pa hat Nach­hol­be­darf. Viel zulan­ge klam­mert man sich an Ver­bren­nungs­mo­to­ren und hält an umwelt- und kli­ma­schäd­li­chen Sub­ven­tio­nen fest. Der Aus­stieg aus fos­si­len Ener­gie­trä­gern wird ver­zö­gert, der Aus­bau von Erneu­er­ba­ren vie­ler­orts blo­ckiert. Statt­des­sen träu­men vie­le euro­päi­sche Politiker:innen noch immer von Flug­ta­xis und Kern­fu­si­on. Es ist an der Zeit, aufzuwachen.

ist Senior Policy Advisor beim WWF Deutschland. Neben der Fischereipolitik kümmert sie sich um internationale Handelsfragen und die EU Politik.
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