Kuh der Woche: Die Systemfrage

Kuh der Woche stößt auf einen Systemfehler. © Roland Gramling, WWF

Die sys­te­ma­tisch sub­jek­ti­ve Pres­se­schau zur 38. Kalen­der­wo­che star­tet der Autor mit einem ban­gen Blick in die Zukunft: Wird mein Job bald von einem Robo­ter erle­digt? Die­se Fra­ge beant­wor­tet mir ein krea­tiv gestal­te­tes Online-Tool der BBC. Ein­fach Job-Titel ein­ge­ben und Gefah­ren­ab­wä­gung erhal­ten! Ich bin mit einer Wahr­schein­lich­keit von 18 Pro­zent eher gering gefähr­det. Ganz anders sieht es für Tele­fo­nis­ten, Finanz­be­am­te oder Rezep­tio­nis­ten aus (alle über 90 Pro­zent). Da kann ich nur hof­fen, dass die Robo­ter der Zukunft bes­ser drauf sein wer­den als Mar­vin aus „Per Anhal­ter durch die Gala­xis“.

Wenn das Eis geht, kom­men die Killer(wale)

Anders als halb­wegs intel­li­gen­te Robo-Pres­se­spre­cher ist der Kli­ma­wan­del bereits heu­te Rea­li­tät. So schrumpf­te laut neu ver­öf­fent­lich­ten Zah­len die Eis­flä­che der Ark­tis 2014 auf 4,41 Mil­lio­nen Qua­drat­ki­lo­me­ter. Wäh­rend der Rück­gang für alt­ein­ge­ses­se­ne Bewoh­ner wie Eis­bä­ren oder Wal­rös­ser bedroh­lich ist, sto­ßen auch neue Arten ins zuneh­mend eis­freie Ter­rain vor. In der Ark­tis wer­den jetzt sogar ver­mehrt Orcas — auch (poli­tisch inkor­rekt) Kil­ler­wa­le genannt — gesich­tet. Die Säu­ge­tie­re kom­men zwar in fast allen Welt­mee­ren vor, sind aber für stark eis­be­deck­te Lebens­räu­me nicht ange­passt und mei­den die­se. Was gut für die Wale sein mag, ist bedroh­lich für das Öko­sys­tem: Die neu­en Raub­tie­re könn­ten Fau­na und Flo­ra des gesam­ten ark­ti­schen Oze­ans ver­än­dern. Poten­zi­el­le Beu­te­tie­re wie Rob­ben oder Grön­land­wale dürf­ten über die neu­en Nach­barn alles ande­re als begeis­tert sein. Das hört sich ver­däch­tig nach Gen­tri­fi­zie­rungs­pro­ble­ma­tik an!

…und dan­ke für den Fisch

Nicht nur im hohen Nor­den kip­pen die mari­nen Öko­sys­te­me. Die Bio­di­ver­si­tät der Mee­re welt­weit nimmt bedroh­lich ab. Davor warnt der WWF-Living Blue Pla­net Report. Im Schnitt haben sich die Zah­len von Mee­res­säu­gern, See­vö­geln, Rep­ti­li­en und Fischen inner­halb von 40 Jah­ren hal­biert. Wirt­schaft­lich wich­ti­ge Fisch­be­stän­de wie Makre­le oder Thun­fisch bra­chen sogar um über 70 Pro­zent ein. Der Bericht lös­te ein berei­tes Medi­en­echo aus (etwa hier, hier  und hier). Wer übri­gens mit sei­nem eige­nen Kon­sum an Fisch­bröt­chen nicht zur Über­fi­schung bei­tra­gen will, dem sei an die­ser Stel­le noch ein­mal der WWF-Ein­kaufs­rat­ge­ber für Mee­res­ge­tier emp­foh­len. Hin­weis für Digi­tal Nati­ves (bzw. Mobi­le Nati­ves wie ich dank serienjunkies.de gelernt habe): Den Rat­ge­ber gibt es auch als Smart­phone-App.

Kuh der Woche: Die Systemfrage

Den Kuh der Woche lie­fer­te dies­mal Autorin Kath­rin Hart­mann. Nach­dem sie vor eini­gen Jah­ren schon Das Ende der Mär­chen­stun­de ver­kün­den durf­te, lie­fert sie in dem neu­en Werk Aus kon­trol­lier­tem Raub­bau eine teils zutref­fen­de, teils ober­fläch­li­che, teils fal­sche aber vor allem eine lücken­haf­te Kri­tik an der Green Eco­no­my ab. Natür­lich bekommt auch der WWF sein Fett weg, eben­so wie Green­peace und ande­re NGOs. Von Unter­neh­men und Poli­ti­kern ganz zu schwei­gen. Nach­dem Hart­mann im aktu­el­len SPIEGEL gegen den RSPO wet­tern durf­te (By the way for­dert sie genau das, wofür der WWF ein­tritt: Stren­ge­re Kri­te­ri­en), habe ich das Buch dann doch mal quer­ge­le­sen. Für eine voll­stän­di­ge Rezep­ti­on ist mir mei­ne Lebens­zeit dann doch zu wert­voll und mei­ne Arbeits­zeit zu kurz. Respekt hat mir das Fazit abge­run­gen. Es gehört schon ziem­lich viel Chuz­pe dazu, wenn man das größ­te Man­ko sei­nes Buches, näm­lich den Man­gel an Lösun­gen, zu einem beab­sich­tig­ten Allein­stel­lungs­merk­mal umdeu­tet. „Alter­na­ti­ven statt Lösun­gen“ brau­che es, schreibt Hart­mann voll­mun­dig. Man merkt ihr an, dass sie ger­ne die Sys­tem­fra­ge stellt. Revo­lu­ti­on statt Evo­lu­ti­on scheint ihr Cre­do zu sein. Doch nicht ein­mal in die­sem Punkt ist sie kon­se­quent. Viel­leicht auch aus Angst, Leser zu ver­schre­cken, ver­liert sie sich in blu­mi­gen Wort­hül­sen. Sie gebär­det sich radi­kal, ohne es wirk­lich zu sein. Scha­de eigent­lich, denn in der Radi­ka­li­tät hät­te dann viel­leicht auch die eine oder ande­re Lösung/Alternative gesteckt. Ger­ne wür­de ich von ihr hören, wie Alter­na­ti­ven aus­se­hen. Und was Alter­na­ti­ven von Lösun­gen unter­schei­det. Und wel­ches Sys­tem denn bes­ser wäre. Dann könn­te ich mich wenigs­tens mit Argu­men­ten aus­ein­an­der­set­zen, den Dis­kurs suchen. Aber genau einem sol­chen will sie wahr­schein­lich aus dem Weg gehen. Statt­des­sen wer­de ich das Gefühl nicht los, dass Hart­mann ihr eige­nes Geschäfts­mo­dell auch mit ihrem drit­ten offen­bar schnell dahin­ge­schrie­be­nen und recht ober­fläch­li­chen Buch wei­ter vor­an­treibt und damit letzt­lich auch nichts ande­res ist, als ein Teil des Sys­tems, das sie zu ver­ach­ten vorgibt.

#Lebens­mit­tel­ver­schwen­dung

Zum Schluss noch ein schnel­ler Blick in die kom­men­de Woche. Am Mitt­woch wer­den wir unse­re im Som­mer gestar­te­te Peti­ti­on gegen #Lebens­mit­tel­ver­schwen­dung been­den und auch gleich an zustän­di­ge Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te und an das Land­wirt­schafts­mi­nis­te­ri­um über­rei­chen. Wer bis­her noch nicht unter­zeich­net hat, darf sich also ger­ne noch betei­li­gen! Der­zeit sind wir bei 40.500 Unter­stüt­zern. Aber es dür­fen ger­ne mehr werden!

Roland Gramling ist Exil-Franke, Frankfurt-Fan und Berlin(West)-Bewohner. Nach dem Online-Journalismus-Studium in Darmstadt wechselte er auf die dunkle Seite der Macht und verkaufte seine Seele an die PR und Pressearbeit. Seit 2008 ist er Pressesprecher beim WWF Deutschland und seitdem auf der Suche nach dem Kuh des Lebens (oder zumindest der Woche). Er findet Pandas süß und Wölfe cool und hält Lady Gaga für die größte Poetin seit Oscar Wilde. Sonntags ist er stets am Tatort und damit grundsätzlich verdächtig. Kurzweilige Desorientierung ist mitunter beabsichtigt aber nie gewollt. Er kann nicht über sich selbst lachen und hält das auch noch für witzig. Fleisch kommt ihm nicht auf den Teller aber gerne mal unters Messer. Für ihn ist das Internet noch total Neuland-mäßig, aber die gedruckte Zeitung schon längst tot. In diesem Sinne: Muuuh!
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