Kom­men die Kil­ler-Algen zurück?

Algenblüte in der Nordsee © NASA Earth Observatory / Jesse Allen

In die­sen Tagen lie­fer­te die NASA Auf­nah­men aus dem All, die eine rie­si­ge Algen­blü­te in der mitt­le­ren Nord­see zei­gen. Ich fühl­te mich sofort erin­nert an den Som­mer 1988, als ich gera­de beim WWF ange­fan­gen hat­te, und die so genann­te “Kil­ler­al­ge” Chry­so­chro­mu­li­na mit ihrem Gift Fische und gan­ze Lebens­ge­mein­schaf­ten töte­te. Gleich­zei­tig erleb­ten wir das gro­ße See­hundster­ben. Ein ursäch­li­cher Zusam­men­hang bestand jedoch nicht.

Algen­blü­te aus dem All © NASA Earth Obser­va­to­ry / Jes­se Allen

Immer wie­der gab es seit­dem Jah­re, in denen abge­stor­be­ne Algen­blü­ten und ihr von den Wel­len geschla­ge­nes Eiweiß sich als Schaum­ber­ge an den Nord­see­strän­den türm­ten. Die Ost­see wird regel­mä­ßig im Som­mer von gif­ti­gen Blau­al­gen (Cya­no­bak­te­ri­en) heimgesucht.
Ist es also im Som­mer 2015 mal wie­der so weit? Erle­ben wir gera­de wie­der eine so genann­te Rote Tide, die ande­re Lebe­we­sen in der Nord­see bedroht? Ist die­se Algen­blü­te mensch­ge­macht? Und ist sie gefährlich?

Die in der Nord­see gera­de beob­ach­te­te Plank­ton­wol­ke schim­mert tür­kis und wird offen­bar von Kalk­al­gen (Coc­co­li­then) ver­ur­sacht. Sie sind ungif­tig und erd­ge­schicht­lich sehr wich­tig, bil­den ihre Sedi­men­te doch die Kalk- und Krei­de­fel­sen von Dover eben­so wie die der Insel Rügen. Den­noch wird ihre Mas­sen­ver­meh­rung Spu­ren im Öko­sys­tem hin­ter­las­sen: Sobald sie abster­ben, zu Boden sin­ken und abge­baut wer­den, wird sehr viel Sau­er­stoff ver­braucht, kön­nen zeit­wei­se Todes­zo­nen entstehen.

Wun­der­ba­re Welt des Planktons

Mikro-Algen bil­den pflanz­li­ches Plank­ton. Für mei­ne Diplom­ar­beit als Plank­to­lo­ge muss­te ich tau­sen­de Zel­len von Kie­sel­al­gen (Diato­meen), Gei­ßel­al­gen (Fla­gel­la­ten) und ande­ren Grup­pen des pflanz­li­chen Plank­tons (Phy­to­plank­ton) unter dem Mikro­skop bestim­men, aus­zäh­len und bio­che­misch ana­ly­sie­ren. Auch wenn das müh­sam war, so tauch­te ich doch in eine dem mensch­li­chen Auge ver­bor­ge­ne Welt vol­ler Schön­heit ein. Man­che Gat­tun­gen haben zudem viel­sa­gen­de oder archai­sche Namen, die man nicht so schnell ver­gisst: Die Kie­sel­al­gen Fra­gi­la­ria und Thalas­si­o­si­ra zum Bei­spiel. Schaut euch Bil­der die­ser fas­zi­nie­ren­den Lebe­we­sen an!

Schaum am Strand © iStock, Get­ty Images

Algen­blü­ten sind nicht von vor­ne­her­ein böse

Zwar habe ich mei­ne heu­ti­gen WWF-Pro­jek­te dem Schutz grö­ße­rer Krea­tu­ren als dem Plank­ton ver­schrie­ben, näm­lich wir­bel­lo­sen Tie­ren, Koral­len­rif­fen, Tief­see­fi­schen, Mee­res­säu­ge­tie­ren, für die ich die Ein­rich­tung von Mee­res­schutz­ge­bie­ten einfordere.
Doch ohne die regel­mä­ßi­ge Ver­meh­rung des Phy­to­plank­tons gäbe es die­se bio­lo­gi­sche Viel­falt im Meer gar nicht. Außer­dem stel­len die win­zi­gen Algen­zel­len in den Welt­mee­ren ins­ge­samt neben Regen­wäl­dern und Man­gro­ven einen der größ­ten Koh­len­stoff­spei­cher der Erde dar und sind damit rele­vant für unser Klima.

Algen­blü­ten sind also nicht von vor­ne­her­ein böse. Sie sind der Motor der Nahrungskette!

Übri­gens: Auch Ruder­fuß­kreb­se haben Blähungen

In unse­ren Brei­ten gehört eine star­ke Früh­jahrs- und eine etwas schwä­che­re Herbst­blü­te zum natür­li­chen Kreis­lauf. Eine von Win­ter­stür­men und Tem­pe­ra­tur­un­ter­schie­den durch­misch­te Was­ser­säu­le ist die Vor­aus­set­zung, weil damit die Nähr­stof­fe Phos­phat, Nitrat und Sili­kat aus den dunk­len Tie­fen an die Mee­res­ober­flä­che gelan­gen. Sobald die Son­nen­ein­strah­lung steigt und die obe­ren Was­ser­schich­ten durch Erwär­mung sta­bi­li­siert wer­den, beginnt eine explo­si­ons­ar­ti­ge Ver­meh­rung der Algen­zel­len weni­ger Arten. Ruder­fuß­kreb­se (Cope­po­den) und ande­res Zoo­plank­ton stür­zen sich gefrä­ßig auf die­ses Fut­ter und ver­meh­ren sich eben­so. Fische ernäh­ren sich vom Zoo­plank­ton — und so geht es wei­ter die Nah­rungs­ket­te hin­auf. Sind die Nähr­sal­ze auf­ge­zehrt, sinkt der Rest der Algen­wol­ke zu Boden und ver­sorgt noch Muscheln, Wür­mer, Schwäm­me usw. mit Nah­rung. Von so viel Grün­fut­ter bekom­men sogar die Ruder­fuß­kreb­se Blä­hun­gen. Sie packen in jede ihrer Kot­pil­len einen Pups, so dass die­se nicht absin­ken und noch ein­mal gefres­sen wer­den können.

Des Guten zuviel!

Im Som­mer folgt an der Mee­res­ober­flä­che ein nähr­stoff­ar­mer Zustand mit gerin­ge­rer Bio­mas­se, aber grö­ße­rer Arten­viel­falt des Plank­tons, bis Wind und Wet­ter im Herbst die Was­ser­schich­tung wie­der auf­bre­chen. Es ist also nicht die som­mer­li­che Tem­pe­ra­tur an sich, die die Plank­ton­blü­ten steu­ert, son­dern ihr Ein­fluss auf die Was­ser­schich­tung — und natür­lich die Licht­ener­gie der Son­ne und die Nährstoffe.

Umkehr­schluss: Wenn eine mas­si­ve Algen­blü­te in den war­men Som­mer-Mona­ten auf­tritt, wie der­zeit in der Nord­see, muss etwas faul sein.

Tauch­per­spek­ti­ve: Mee­res­leuch­ten durch Gei­ßel­al­gen © Phil­ipp Kan­stin­ger, WWF

Ent­we­der ist vom Win­ter­vor­rat an anor­ga­ni­schen Nähr­stof­fen noch etwas übrig geblie­ben oder es wur­den neue zuge­führt — zum Bei­spiel durch Zuflüs­se. Von die­ser Situa­ti­on pro­fi­tie­ren beson­ders die Gei­ßel­al­gen, unter denen sehr vie­le gif­ti­ge Arten sind. Eini­ge kön­nen sogar nach dem Ver­zehr von Muscheln lebens­ge­fähr­li­che Ver­gif­tun­gen ver­ur­sa­chen. Auch die läs­ti­ge, aber ungif­ti­ge so genann­te “Schau­m­al­ge” (Phaeo­cys­tis) gehört zu den Pro­fi­teu­ren. Und wenn ande­re Arten wegen Man­gels an gelös­tem Nitrat längst den Löf­fel abge­ge­ben haben, schlägt die Stun­de der fie­sen Blau­al­gen. Denn sie ver­sor­gen sich mit Luft­stick­stoff und brau­chen nur zusätz­lich Phos­phat zum Wachsen.

Fazit:

Der Nähr­stoff­kreis­lauf und Algen­blü­ten sind also eine natür­li­che Sache. Aber wenn wir zu vie­le Nähr­stof­fe ins Meer kip­pen, wird es des Guten zuviel und das Öko­sys­tem entgleist.

Was Algen im Meer mit dem Schnit­zel auf dem Tel­ler zu tun haben…

Von den schäd­li­chen Algen­blü­ten und der Über­dün­gung der Mee­re führt ein direk­ter Weg zu unse­ren Kon­sum­ge­wohn­hei­ten. Wäh­rend zumin­dest die Indus­trie­staa­ten ihre Abwäs­ser mitt­ler­wei­le weit­ge­hend mit Klär­an­la­gen rei­ni­gen und viel­fach Phos­pha­te aus Wasch­mit­teln ver­bannt haben, hält die Dün­ger­flut aus der Land­wirt­schaft unge­hemmt an. Beson­ders hoch ist der Stick­stoff­ein­trag aus der inten­si­ven Land­wirt­schaft, gekop­pelt mit Mas­sen­tier­hal­tung. Wenn ihr euren Fleisch­kon­sum über­denkt und bewusst Bio­pro­duk­te kauft, ist das nicht nur gut für die eige­ne Gesund­heit, son­dern auch für die unse­rer Mee­re. Auf dass die Kil­ler­al­gen immer sel­te­ner wer­den mögen!

Fol­ge uns in Social Media:
Als Meeresökologe, Zoologe und Biochemiker war Stephan Lutter seit 1988 beim WWF und einer der ersten international arbeitenden Meeresschützer. Einige große Schutzgebiete und -Zonen auf der Hoch- und in der Tiefsee hätte es ohne sein Engagement nicht gegeben. Seine Expertise war international geschätzt, sein Einsatz für unsere Meere einzigartig. - Zu unserer großen Trauer ist Stephan verstorben. Einen Nachruf auf den engagierten Meeresschützer findet ihr hier: https://blog.wwf.de/stephan-lutter-nachruf/ -

Kommentare (0)

    Auch interessant
    [Sassy_Social_Share]