Ozea­ne vor dem Burnout

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Das Meer ist end­lich. Und es ist satt oder eher schon: über­sät­tigt. An Hit­ze, Lärm und Plas­tik. Wo es fast über­all ein Zu-Viel gibt, gibt es zugleich einen Man­gel:  An Sau­er­stoff, an intak­ten Lebens­räu­me und an unge­stör­ten Brut- und Laich­ge­bie­ten. Ursa­che ist die Uner­sätt­lich­keit der mensch­li­chen Begier­den an den Ozeanen. 

Wir brau­chen gesun­de Mee­re. Für mehr als drei Mil­li­ar­den Men­schen ist Fisch eine der wich­tigs­ten Pro­te­in­quel­len. Die Ozea­ne sind natür­li­che Koh­len­stoff­sen­ken und schlu­cken den Groß­teil der men­schen­ge­mach­ten Erd­er­hit­zung. See­gras­wie­sen und Koral­len­rif­fe bie­ten vie­len Lebe­we­sen eine Hei­mat. Zugleich sind wider­stands­fä­hi­ge und intak­te Mee­re unse­re größ­ten Ver­bün­de­ten zur Bewäl­ti­gung von Kli­ma- und Bio­di­ver­si­täts­kri­se und sie sichern Ein­nah­men im Tourismus.

Wir brau­chen die See für unse­re Wirt­schaft. Fast nir­gends wird dies so häu­fig dis­ku­tiert wie beim Aus­bau der Off­shore-Wind­ener­gie. Ein The­ma, das lei­der oft für popu­lis­ti­sche Schlag­ab­tau­sche her­hal­ten muss. Mee­res­schutz und Kli­ma­schutz wer­den in der Debat­te gern gegen­ein­an­der aus­ge­spielt. Dabei ist klar: Wir bau­chen den Wind vom Meer. Nur ein 100 Pro­zent erneu­er­ba­res Ener­gie­sys­tem bewahrt uns vor den ver­hee­ren­den Kon­se­quen­zen einer unge­brems­ten Erd­er­hit­zung, die nicht zuletzt den Mee­ren schadet.

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Gren­zen der Ozeane

Die Linie ver­läuft nicht zwi­schen Kli­ma- und Mee­res­schutz. Sie läuft zwi­schen indus­tri­el­ler Über­be­an­spru­chung und Mee­res­schutz. Am Ende lau­tet die Fra­ge: Was kön­nen und müs­sen die Ozea­ne stem­men, und wo braucht es drin­gend Grenzen?

Eine sau­be­re Ener­gie­er­zeu­gung ist auf Wind­parks im Meer ange­wie­sen ©IMAGO / Westend

Wir kön­nen auf die Wind­ener­gie nicht ver­zich­ten. der Aus­bau ist nötig,  aber nicht ohne Wenn und Aber. Stren­ge Umwelt­stan­dards müs­sen ein­ge­hal­ten wer­den, wenn Wind­parks geplant und umge­setzt wer­den. Beschleu­ni­gungs­ge­bie­te ohne Umwelt­ver­träg­lich­keits­prü­fung aus­zu­wei­sen, wie es die aktu­el­le Novel­le der euro­päi­schen Erneu­er­ba­ren-Richt­li­nie vor­sieht, ist ein Schnell­schuss. Er scha­det  den Mee­ren poten­zi­ell und beschleu­nigt die Ener­gie­wen­de nicht. Denn der Aus­bau stockt nicht auf­grund von Umwelt­stan­dards, son­dern an feh­len­den Netz­an­bin­dun­gen und man­geln­dem Per­so­nal. Beson­ders sen­si­ble Gebie­te wie Schutz­ge­bie­te müs­sen von indus­tri­el­len Tätig­kei­ten aus­ge­spart wer­den. Das Aus­schrei­bungs­sys­tem ist einer der Dreh- und Angel­punk­te für den natur­ver­träg­li­chen Aus­bau der Off­shore-Wind­ener­gie: Wir müs­sen über ambi­tio­nier­te qua­li­ta­ti­ve Kri­te­ri­en den Schutz der Mee­re ver­bes­sern und die inner­eu­ro­päi­sche Wind­ener­gie­in­dus­trie stärken.

Kli­ma­schutz ist Meeresschutz

An ande­ren Stel­len kön­nen und müs­sen wir die Ozea­ne stär­ker ent­las­ten. Zuerst natür­lich beim CO2-Ein­trag, der das Gleich­ge­wicht an Land wie im Was­ser durch­ein­an­der­bringt. Kon­se­quen­ter Kli­ma­schutz mit dem Aus­stieg aus fos­si­len Ener­gien, bes­se­rer Ener­gie­ef­fi­zi­enz, einem nach­hal­ti­gen Finanz­sys­tem, Gebäu­de- und Ver­kehrs­wen­de schüt­zen am Ende auch die Mee­re vor Über­säue­rung und Überhitzung.

Das Meer muss als Müll­kip­pe für Plas­tik und ande­re Abfäl­le her­hal­ten. © Ary­fah­med / iStock-GettyImages

Stich­wort Plas­tik: Jedes Jahr gelan­gen 4,8 bis 12,7 Mil­lio­nen Ton­nen Plas­tik in die Welt­mee­re. Wenn es so wei­ter­geht , wird bis 2050 fast jeder Mee­res­vo­gel Plas­tik­tei­le im Magen haben. Neben den Tie­ren lei­det die Wirt­schaft unter dem Müll: Allein für den asia­tisch-pazi­fi­schen Raum ent­ste­hen der Tou­ris­mus­bran­che jähr­lich Kos­ten von 622 Mil­lio­nen Dol­lar. Für jeden Dol­lar, den die Her­stel­ler in die Plas­tik­pro­duk­ti­on inves­tie­ren, müs­sen Regie­run­gen und die Gesell­schaft min­des­tens zehn­mal so viel bezah­len, um die nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen zu behe­ben. Die Lebens­zeit­kos­ten von Plas­tik, das 2019 pro­du­ziert wur­de, schätzt ein Bericht des WWF auf 3,7 Bil­lio­nen US-Dollar.

Was braucht es? Ins­ge­samt natür­lich eine viel gerin­ge­re Plas­tik­pro­duk­ti­on und dann bes­se­res Recy­cling, eine bes­se­re Abfall­wirt­schaft. Viel Hoff­nung liegt auf dem aktu­ell ver­han­del­ten inter­na­tio­na­len Ver­trag gegen Plas­tik­ver­schmut­zung, der bis Ende des Jah­res ver­ab­schie­det wer­den soll.

Wale haben kei­ne Ohrstöpsel

Stich­wort Lärm: Beson­ders die Schiff­fahrt ist für eine enor­me Lärm­be­läs­ti­gung der Ozea­ne ver­ant­wort­lich. Auf die Nord­see bei­spiels­wei­se ent­fal­len fast 25 Pro­zent der welt­wei­ten Schiffs­be­we­gun­gen. Sie ist damit eines der meist­be­fah­re­nen Mee­res­ge­bie­te der Welt. Dar­un­ter lei­det unter ande­rem der Schweins­wal. Er ori­en­tiert sich durch Echo­or­tung und wird vom Unter­was­ser­lärm stark gestresst. Am Bei­spiel einer sich nähern­den Schnell­fäh­re konn­ten däni­sche Forscher:innen nach­wei­sen, dass Schweins­wa­le auf den Grund abtau­chen, ihre Echo­or­tung und auch das Fres­sen ein­stel­len. Neben dem Schiffs­ver­kehr sorgt die Roh­stoff­för­de­rung für Lärm.

Unter­was­ser­lärm und Kol­li­sio­nen mit Schif­fen gefähr­den das Über­le­ben vie­ler Mee­res­säu­ger © IMAGO-Nature-Picture-Library

Womit wir beim nächs­ten The­ma wären: Res­sour­cen­ab­bau in den Mee­ren. Die Welt­ge­mein­schaft hat auf der Kli­ma­kon­fe­renz in Dubai 2023 die Abkehr von fos­si­len Ener­gien beschlos­sen. Das heißt: Es darf auch kei­nen Abbau von Öl und Gas mehr geben. Die Boh­run­gen sind  ein gewal­ti­ger Infra­struk­tur-Ein­griff in die Mee­re, den wir been­den kön­nen und müs­sen. Und wo wir schon von Res­sour­cen und Roh­stof­fen spre­chen: Zum dis­ku­tier­ten Tief­see­berg­bau darf es gar nicht erst kom­men, denn er hät­te vor­aus­sicht­lich zer­stö­re­ri­sche Aus­wir­kun­gen. Statt­des­sen ist es ent­schei­dend, alter­na­ti­ve Mate­ria­li­en zu fin­den und sich auf die drei zen­tra­len Schlag­wor­te für eine nach­hal­ti­ge Wirt­schaft zu besin­nen: Redu­zie­ren, Wie­der­ver­wen­den, Recyceln.

Das Ende der Fossilen

Und apro­pos Abkehr von fos­si­len Ener­gien: Die aktu­ell geplan­te Infra­struk­tur für Flüs­sig­gas, kurz LNG, ist viel zu weit­rei­chend. Das belas­tet die Mee­re und hilft auch dem Kli­ma nicht, denn es ver­län­gert die Abhän­gig­keit von Gas. Eine kon­se­quen­te Aus­rich­tung an erneu­er­ba­ren Ener­gien wür­de das verhindern.

Eben­so zu weit­rei­chend geplant, ist die Spei­che­rung von CO2 unter dem Mee­res­grund, das soge­nann­te Car­bon Cap­tu­re and Sto­rage (CCS) . Die Car­bon Manage­ment Stra­te­gie der Regie­rung öff­net die Türen für Spei­che­rung von  Emis­sio­nen aus Gas­kraft­wer­ken. Das ist sowohl für das Kli­ma als auch für die Ozea­ne hoch­ris­kant. CCS ver­län­gert die Abhän­gig­keit von Fos­si­len, es schiebt Ver­ant­wor­tung für die siche­re Spei­che­rung auf künf­ti­ge Gene­ra­tio­nen ab und wird mit einem mas­si­ven Infra­struk­tur­zu­bau und damit zusätz­li­chen Belas­tun­gen ver­bun­den sein. Des­halb darf die Tech­nik  für nicht-ver­meid­ba­re Rest­emis­sio­nen in der Indus­trie zum Ein­satz kom­men.  Letzt­lich steht die Fra­ge im Raum, war­um nur die Mee­re her­hal­ten soll­ten und nicht auch das Land.

Nach­hal­ti­ge Fischerei

Und wie steht es um die Fische­rei? Welt­weit gal­ten 2022 über 35 Pro­zent der kom­mer­zi­ell genutz­ten Fisch­be­stän­de als über­fischt und 57 Pro­zent als maxi­mal genutzt. Im Mit­tel­meer und im Schwar­zen Meer wer­den sogar 63,4 Pro­zent der Bestän­de als über­fischt eingestuft.

Sub­ven­tio­nier­ter Treib­stoff indus­tri­el­ler Fang­flot­ten ist Gift für leben­di­ge Mee­re. © WWF-Malay­sia / Mazi­di Abd Ghani

Es braucht bes­se­res Manage­ment, das sowohl die Fisch­be­stän­de bes­ser schützt als auch den Fischer:innen lang­fris­ti­ge Per­spek­ti­ven gibt. Fai­re Abkom­men mit Dritt­staa­ten müs­sen eine umwelt­ver­träg­li­che und nach­hal­ti­ge Fische­rei för­dern und die Rech­te und Bedürf­nis­se der loka­len Bevöl­ke­rung  schüt­zen. Dane­ben dür­fen Sub­ven­tio­nen nicht län­ger in die Über­fi­schung fließen.

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Ein Weni­ger an schäd­li­chen mensch­li­chen Ein­grif­fen von Roh­stoff­ab­bau bis hin zu Abfall­spei­che­rung  hilft, nöti­ge Ein­grif­fe wie Off­shore-Wind­parks zu ermöglichen.

Weil unse­ren Ozea­nen aber schon der­art schlecht geht, braucht es neben der Redu­zie­rung von Belas­tun­gen mas­si­ve Anstren­gun­gen für eine Ver­bes­se­rung ihres Zustands etwa durch deut­lich wirk­sa­me­ren Schutz und der Rück­ge­win­nung ver­lo­re­ner Lebens­räu­me und natür­li­cher CO2-Sen­ken wie See­gras­wie­sen. Nur so kön­nen wir die lebens­wich­ti­gen Funk­tio­nen der Mee­re für uns Men­schen — und den Kli­ma­schutz — erhalten.

Am Ende müs­sen wir ein Netz an geschütz­ten Gebie­ten sicher­stel­len, die die Bio­di­ver­si­tät in den Mee­ren und ihre Resi­li­enz gewähr­leis­ten. Solch ein Netz trägt auch zum glo­ba­len Ziel bei, min­des­tens 30 Pro­zent aller Flä­chen an Land und auf See bis 2030 unter beson­de­ren Schutz zu stellen.

Dass alles Leben aus dem Meer kommt und die Ozeane der größte Lebensraum auf der Erde sind, hatte mich schon als Kind völlig fasziniert. Ich träumte davon unter Wasser atmen zu können. Das Ausmaß der Naturzerstörung durch die Fischerei und besonders die Überfischung dagegen waren schockierend. Und sind sie heute noch. Ich arbeite beim WWF schon seit 1999, heute als Vorständin Transformation Politik & Wirtschaft. Wer festgefahrene Strukturen ändern will, braucht viel Geduld. Aber auch wenn die Fortschritte langsam sind darf man niemals Aufgeben – denn wer aufgibt, der hat schon verloren.

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