Wenn das Thema Klima an Weihnachten für Reizklima sorgt: Antworten auf die immer gleichen Fragen und Missverständnisse.
Es gibt immer diesen einen Onkel. Er könnte Willi heißen. Und der könnte mit Hildegard verheiratet sein. Stellen wir uns vor, sie sind mit mir verwandt. Ihre Namen spielen im Grunde keine Rolle, sie haben einen eher symbolischen Wert. Viel wichtiger ist, dass sich in ein paar Tagen wieder das Weihnachtsfest jährt und wir Verwandte treffen, die seltsame Sachen reden. Bei denen wir mit den Augen rollen, die flache Hand an die Stirn schlagen möchten, oder fluchtartig den Raum verlassen. Selbst, wenn es in Zeiten von Corona nur ein Familen-Zoom-Call ist. Vorteil: Hier kann man Kamera und Ton ausschalten, wenn’s anstrengend wird.
Fleisch, Auto und das Familienklima
Ich habe in meiner Familie sehr aufgeschlossene Menschen. Und trotzdem sind Willis und Hildegards dabei, die immer wieder mit bestimmten Aussagen auffallen. Es sind eher Männer als Frauen. Die sind sowieso schlechter für’s Klima, statistisch gesehen. Sie recyceln weniger, sie essen mehr Fleisch und, meiner eigenen Erfahrung nach, fahren sie die größeren Autos.
Und so hat Willi in meiner Geschichte gerade erst ein Schnäppchen gemacht, auf das er sehr stolz ist. Er erzählt davon von der Wohnzimmercouch aus, hinter der ein sinnlos gefällter Weihnachtsbaum mit roten und blauen Kugeln strahlt. Darunter die Dinge, die, irgendwo auf der Welt hergestellt, in zwei bis fünf Tagen niemanden mehr interessieren werden. Ressourcen haben sie trotzdem verbraucht und Lieferketten beschäftigt. Willis Stolz ist ein nachtschwarz glänzender SUV (wegen der Übersichtlichkeit im Verkehr).
Ich sage dann was. Ich kann nicht anders. Ob denn nicht klar ist, dass der Baum im Wald vielleicht besser aufgehoben wäre? Dass ein Auto zu kaufen heute vielleicht nicht mehr zeitgemäß ist, man könnte ja auch mieten. Und warum die Paketberge unter dem Baum mit jedem Jahr größer werden?
“Man muss sich was gönnen,” sagt Willi dann. “Und überhaupt, was kann ich allein denn machen, ob ich ein Auto kaufe oder nicht, was macht das für einen Unterschied?” Hildegard nickt dazu. Und hier entspinnt sich dann eine immer wiederkehrender Kreislauf von Aussagen und Behauptungen. Die wir vermutlich alle kennen. Und die auch nicht richtiger werden, je öfter man sie ausspricht.
Mit dem Auto fängt es an. Mit dem großen Ganzen geht es weiter. “Außerdem,” beginnt Hildegard, “hat Deutschland eh nur einen ganz kleinen Einfluss auf das Klima.” Das Land wäre ja eher winzig. Andere Länder, die sehr viel mehr Treibhausgase ausstoßen müssten erstmal aufhören, damit es überhaupt was bringt.
Ja, Klimagerechtigkeit
Der Knackpunkt hier ist aber nicht der CO2 Ausstoß des Landes, sondern der jedes einzelnen von uns. Pro Kopf in Deutschland immerhin knapp acht Tonnen CO2 im Jahr (2019). Damit pusten wir etwa doppelt so viel in die Luft wie alle Menschen im Durchschnitt. Und Deutschland ist auch ein reiches Land mit einer gewissen Verantwortung beim Thema Klimaschutz. Wir sind einfach schon seit dem Anfang des massiven CO2-Ausstosses dabei. Klimagerechtigkeit nennt sich das. Die Verursacher der Klimakrise müssen mit guten Beispiel vorangehen und zeigen, welche Fehler man als aufstrebende Nation mit wenig CO2-Ausstoss besser nicht machen sollte.
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Vorreiter für andere sein also. Das schmeckt Onkel Willi nicht besonders. Er holt also mit der nächsten Klimakeule aus. Vielleicht hat er sie in einer der Facebook-Gruppen gelesen, denen er folgt, seit ihm die “Kinder, die Freitags mal besser in die Schule gehen sollten,” auf die Nerven gehen. Willi liest viel im Internet, seit er in Rente gegangen ist.
“Das Klima hat sich doch immer schon gewandelt, das ist nichts besonderes,” ruft er nun also von der Couch herüber.
Nein, es ist nicht der natürliche Klimawandel
Ja, und da könnte ich ihm sogar ein kleines bisschen Recht geben. Denn die Aussage an sich ist erstmal nicht falsch. Das Klima wandelt sich tatsächlich schon immer. Die Frage ist nur, wie schnell. Denn Menschen können einen natürlichen Klimawandel durch ihr Handeln beeinflussen. Das tun wir auch. Und zwar kräftig, in dem wir unsere Zutaten in den natürlichen Kreislauf geben, die oben erwähnten Treibhausgase zum Beispiel. Die beschleunigen die natürlichen Veränderungen. Was früher Jahrtausende oder gar Jahrmillionen gedauert hat, rauscht heute in wenigen Jahrzehnten an uns vorbei. Nach der letzten Eiszeit wurde die Erde alle 1000 Jahre ein Grad wärmer. Und das wird schon als schnell angesehen. Heute schaffen wir denselben Wert in einem Zehntel der Zeit.
Klima, nicht Wetter
Onkel Willi nippt an seinem Glühwein. Natürlich ist er skeptisch. Und er hat noch ein Ass im Ärmel. In den Nachrichten haben er und Hildegard gesehen, dass es auf den Bergen, gar nicht weit weg, mächtig geschneit hat. Außerdem musste er sich gerade einen neuen Mantel kaufen, es ist doch empfindlich kalt geworden die letzten Tage. Er lehnt sich zu Tante Hildegard, “erinnerst du dich,” fragt er?
“Da ist doch der ganze Schnee da im Allgäu, wo ist denn da die deine Klimakrise?” Und beide verschränken die Arme. Langsam macht die ganze Sache auch ein bisschen Spaß, finde ich. Willi und Hildegard vergessen bei dieser Frage nämlich, dass es einen Unterschied gibt zwischen Klima und Wetter. Ob es mal schneit oder nicht. Ob es nun drei Tage, oder eine Woche schneit oder nicht, es bleibt eine kurzfristige Erscheinung. Wetter ist jeden Tag. Wetter ist eine Laune, Klima ist mehr und viel komplexer. Wir werden auch dann noch Winter haben, wenn es im Schnitt immer wärmer wird. Aber wir werden in Europa immer weniger Schnee erleben. Dazu gibt es Studien. Sicher ist: Die Temperaturen steigen, wenn wir nicht massiv gegensteuern. Gerade sind wir drauf und dran, die 1,5 Grad, die die Staaten im Pariser Klimaabkommen als Ziel gesetzt haben, zu reißen. Wenn wir so weitermachen wie bislang, steuern wir eher auf drei Grad Erderwärmung zu, hat das UN Umweltprogramm UNEP kürzlich erklärt.
Diese Erhitzung hat heute schon spürbare Auswirkungen, sage ich irgendwann. Das Eis in der Arktis schmilzt, in Sibirien war es in diesem Sommer wärmer als an den heißesten Tagen des Jahres in Berlin. 38 Grad Celsius ist der unfassbare Rekord, nördlich des Polarkreises. So heiß war es da noch nie, seit Beginn der Messungen!
“Ist doch toll,” höre ich von der Couch her. Wenn die Pole eisfrei sind, da kann man dann mit dem Schiff durch! Das mag sein, antworte ich, aber die Auswirkungen! Verschwindet das Packeis, verändert das so ziemlich alles in der Arktis, aber auch bei uns direkt vor der Haustür. Sogar bei Onkel Willi und Tante Hildegard im Schrebergarten. Denn die weiße Oberfläche von Eis und Gletschern reflektiert normalerweise das Sonnenlicht und hält so die Temperaturen unten. Fehlt das hilfreiche Weiß, nimmt das dunklere Wasser die Wärme immer mehr auf und das sorgt dafür, dass das Eis noch schneller schmilzt. Und es wird gleichzeitig immer wärmer. Die Meeresspiegel steigen, die Tierarten, die auf das Eis angewiesen sind, kommen nicht mehr zurecht. Die Folgen wären verheerend.
Nein, es ist nicht nur die Sonne
“Also ist es die Sonne?” Du hast es selbst gesagt. Onkel Willi will noch nicht aufgeben. Nun, meint er, habe ich ihm eine Steilvorlage gegeben. Und das ist der Moment, in dem ich meine Zoom-Kamera ausmachen, oder beim Familienessen kurz mal aufs Klo verschwinden möchte.
Über Jahrhunderte hinweg, bis etwa 1960, hat die Helligkeit der Sonne leicht zugenommen. Und in dieser Zeit ist auch die Erde wärmer geworden, sage ich, räuspere mich und beschließe doch nicht zu flüchten. Dazu gibt es Studien. Seitdem nimmt die Energie der Sonne langsam wieder ab, die Temperatur in der Luft und im Meer steigt trotzdem weiter stark an. Es kann nicht die Sonne sein, die hinter der Klimakrise steckt. Viel logischer ist es, dass Treibhausgase in der Atmosphäre dafür sorgen, dass es immer wärmer wird. Und über die haben wir doch schon gesprochen, oder nicht? Ich ernte ein Schulterzucken.
Wir sorgen mit allen möglichen Dingen, die wir tagtäglich tun, dass Treibhausgase in der Atmosphäre landen. Ich brause etwas auf. Einmal tief durchatmen. Also, liebe Willis und Hildegards da draußen, wir roden massenhaft Wälder, nur ein Beispiel, sage ich. Das ist nicht nur der Amazonas oder der Regenwald in Indonesien. Und diese Wälder sind auch nicht weit weg, schließlich spüren auch wir hier die Auswirkungen. 13 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen kommen durch die Vernichtung von Wäldern zustande. 30 Fußballfelder lassen wir in der Minute verschwinden. In einer Woche ist das eine Fläche, in die Hamburg locker reinpassen würde. Und da reden wir noch nicht über Landwirtschaft, Massentierhaltung, Verkehr, Industrie, Produktion und am Ende unseren Konsum, die alle genauso an der Erderwärmung mitarbeiten.
Das Ergebnis, sage ich, sehen wir direkt vor unserer Nase, und deute auf den Geschenkeberg unter dem Weihnachtsbaum und die saftige Mastgans auf dem Tisch.
Dann wird es still.
Wie macht ihr es?
Es gibt noch sehr viele Themen mehr, die Skeptiker immer wieder aus der Schublade holen, um zu zeigen, dass es keine Klimakrise gibt. Dass andere Schuld sind. Man eh nichts ändern kann, weil das Problem zu gewaltig ist und man selbst zu klein. Kommen euch diese Argumente bekannt vor? Und wie reagiert ihr, wenn sie euch untergekommen? Es würde mich interessieren, darüber zu lesen.
Onkel Willi und Tante Hildegard mögen in der Form, in der sie in diesem Text stehen, fiktiv sein. Aber unwahrscheinlich sind sie nicht. Immer noch. Immer mehr Aufklärungsarbeit ist nötig, überzeugen und reden. Nicht die Ruhe verlieren und nicht belehren, sondern mit Argumenten und Fakten zeigen, welche Gefahren mit der Klimakrise einher gehen und wo man zu leicht auf den Holzweg gerät. Die Fragen, die hier oben stehen, werden nicht verschwinden. Aber vielleicht werden sie mit der Zeit weniger, wenn die richtigen Antworten nur immer wieder und wieder und wieder gegeben werden.