Dür­fen Inu­it Eis­bä­ren jagen?

Eisbär auf Streifzug © Elisabeth Kruger / WWF

Ich geste­he: Ich lie­be Bären. Ich bin Bio­lo­gin und habe einen Groß­teil mei­nes beruf­li­chen Lebens ihnen gewid­met. Seit etli­chen Jah­ren schon arbei­te ich mit und für Eis­bä­ren. Das Man­tra mei­ner Arbeit lau­tet: Es soll den Men­schen und den Tie­ren bes­ser gehen. Nur wenn bei­des gege­ben ist, macht unse­re Arbeit als Natur­schüt­zer Sinn und kann wirken.

Die Eis­bä­ren sind bedroht vom Klimawandel

Der Eis­bär ist das Sym­bol­tier der Kli­ma­kri­se. Sei­ne Meer­eis-Lebens­räu­me schmel­zen in atem­be­rau­ben­der Geschwin­dig­keit. Wegen die­ser Gefahr durch die Erd­er­hit­zung wird der Eis­bär als bedroht auf der Inter­na­tio­na­len Roten Lis­te geführt. Die­se Bedro­hung erle­be ich hautnah.

Trotz­dem bin ich nicht dage­gen, dass Eis­bä­ren von Inu­it gejagt wer­den dür­fen. Wenn ich das sage, ern­te ich min­des­tens ungläu­bi­ge Bli­cke. Ich ver­tre­te eine wenig popu­lä­re Ein­stel­lung. Aber ich kann sie begründen.

Die Inu­it jagen tra­di­tio­nell Eisbären

Die Gefahr für die Bären liegt nicht in der tra­di­tio­nel­len Jagd der Inu­it. Das zei­gen alle wis­sen­schaft­li­chen Daten. Die Bedro­hung geht von der Kli­ma­kri­se aus. Es ret­tet die Art nicht, wenn den Inu­it ihr – übri­gens völ­ker­recht­lich ver­brief­tes – Recht auf Jagd genom­men wird. Die Erklä­rung der Ver­ein­ten Natio­nen über die Rech­te indi­ge­ner Völ­ker besagt in Arti­kel 32: “Indi­ge­ne Völ­ker haben das Recht, Prio­ri­tä­ten und Stra­te­gien für die Ent­wick­lung oder Nut­zung Ihres Lan­des oder ihrer Ter­ri­to­ri­en und ande­rer Res­sour­cen zu bestim­men und zu entwickeln”.

Seit Jahr­hun­der­ten jagen die Inu­it Wale, Rob­ben und Eis­bä­ren. In der ark­ti­schen Käl­te brauch­ten sie das Fleisch und die Fel­le zum Über­le­ben. Die Jagd war schon immer zen­tra­ler Bestand­teil ihrer Kul­tur. Die Bestän­de der Tie­re hat das nie gefähr­det. Ganz im Gegen­satz zur kom­mer­zi­el­len Jagd durch all jene, die nach den Inu­it und ande­ren indi­ge­nen ark­ti­schen Völ­kern kamen. Lan­ge bevor ich pro­mo­vier­te Bio­lo­gin war, näm­lich 1973, hat der WWF des­halb ein Abkom­men ange­sto­ßen, dass die­se Art von Jagd ver­bo­ten hat. Seit­dem haben sich die Bestän­de erholt.

Ich ken­ne den Ein­wand, der jetzt kommt. Heu­te lebt kein Inu­it mehr in Iglus, die wir aus Kin­der­bü­chern ken­nen. Und kei­ner muss mehr jagen. Der Iglu-Part stimmt. Inu­it leben in Häu­sern in Ort­schaf­ten wie etwa Arvi­at, wo wir letz­tes Jahr Tei­le die­ses Films gedreht haben.

Aber: Die Jagd ist nach wie vor ein wich­ti­ger Bestand­teil ihrer kul­tu­rel­len Iden­ti­tät, ihrer Lebens­grund­la­gen und in eini­gen Fäl­len ihrer Sub­sis­tenz­wirt­schaft geblieben.

Für mich ist es selbst­ver­ständ­lich, dass wir vom WWF die tra­di­tio­nel­len Jagd­rech­te indi­ge­ner und loka­ler Völ­ker respek­tie­ren. Die­se Jagd muss öko­lo­gisch nach­hal­tig durch­ge­führt wer­den. Das lang­fris­ti­ge Über­le­ben der Art darf nicht gefähr­det ist. Wis­sen­schaft­li­che Daten zei­gen, dass die Jagd der Inu­it kei­ne Bedro­hung für das Über­le­ben der Bären dar­stellt. Das wird regel­mä­ßig über­prüft. Und es ist auch schon vor­ge­kom­men, dass wir eine Reduk­ti­on der Jagd­quo­te für Inu­it ver­langt haben, um die Art zu schüt­zen.

Wenn das Eis weni­ger wird kommt der Eis­bär immer öfter zu mensch­li­chen Sied­lun­gen © Eli­sa­beth Kru­ger / WWF

Leben mit den Eisbären

Was man­che viel­leicht in ihrem oft städ­tisch gepräg­ten All­tag zwi­schen Büro und Sofa ver­ges­sen: Die Men­schen der Ark­tis müs­sen mit die­sen Raub­tie­ren leben.  Man muss sich nur vor­stel­len, dass man sei­ne Kin­der tage­lang nicht in die Schu­le schi­cken kann, weil unter dem Haus ein 450 Kilo-Eis­bär sitzt! Die Eis­bä­ren kom­men wegen der Kli­ma­kri­se immer öfter in und um die Sied­lun­gen. Die Men­schen lei­den dar­un­ter – in Kon­flikt­fäl­len auch die Bären.

Ein Bei­spiel: In Kana­da wur­den in die­sem Som­mer star­ben zwei Män­ner bei zwei Vor­fäl­len mit Eis­bä­ren. In Arvi­at wur­de die­ses Jahr ein Mann beim Sam­meln von See­vo­gel-Eiern durch einen Eis­bä­ren getö­tet. Danach gab es meh­re­re ille­ga­le Tötun­gen von Eis­bä­ren. In einem ande­ren Vor­fall waren zwei Män­ner auf der Jagd nach Nar­wa­len und Kari­bu und wur­den von einer Bären-Mut­ter und ihrem Jun­gen über­rascht, als sie ihr Zelt ver­lie­ßen. Dabei wur­de einer die­ser Män­ner getötet.

Um sol­che Kon­flik­te zu ver­mei­den, müs­sen wir mit den Men­schen vor Ort arbei­ten. Für mich als Wis­sen­schaft­le­rin zählt, dass laut den ver­füg­ba­ren Daten die Sub­sis­tenz­jagd auf Eis­bä­ren der­zeit kei­ne Bedro­hung für das Über­le­ben der Art dar­stellt. Haupt­be­dro­hung für den Eis­bä­ren ist die Kli­ma­kri­se durch den mit der Erd­er­hit­zung ver­bun­de­nen Ver­lust der Meereis-Lebensräume.

Die Inu­it sind unse­rer Verbündeten

Das wis­sen auch die Inu­it. Näh­men wir ihnen ihr tra­di­tio­nel­les Recht, wür­de die Zusam­men­ar­beit mit ihnen, die so viel über Eis­bä­ren und ein natur­ver­träg­li­ches Leben in der Ark­tis wis­sen, dra­ma­tisch lei­den. Es trü­ge auch nichts zum Erhalt der Lebens­grund­la­ge der Tie­re bei. Es wäre ein rei­ner Schau­kampf, bei dem wir einen unse­rer engs­ten Ver­bün­de­ten zum Schutz der Eis­bä­ren ver­lie­ren würden.

Gemein­sam mit mei­nen Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen kon­zen­trie­re ich mich dar­auf, die gro­ßen Bedro­hun­gen für Eis­bä­ren anzu­ge­hen. Zu unse­rer Arbeit für den Eis­bä­ren gehö­ren daher Stu­di­en zur Aus­wir­kung der Kli­ma­kri­se auf die Bären und ihren Lebens­raum. Hin­zu kom­men prä­zi­se Erhe­bun­gen zur Popu­la­ti­on und das Level einer ver­träg­li­chen Jagd, Ver­rin­ge­rung des Kon­flikts zwi­schen Men­schen und Eis­bä­ren, Iden­ti­fi­zie­rung und Schutz wich­ti­ger Lebens­räu­me und die Bekämp­fung der ille­ga­len Jagd. Den Inu­it das Recht auf Jagd zu neh­men, steht nicht auf unse­rer To Do-Liste.

Ich bit­te Euch: Wenn Euch etwas an Eis­bä­ren liegt – kämpft gegen die Klimakrise.

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Ich bin Artenschutz-Expertin und seit 2002 beim WWF. Bären sind meine Leidenschaft. Beim WWF setze ich mich u.a. für den Schutz der Eisbären im Arktis-Programm ein. Bevor ich zum WWF kam studierte ich Schwarzbär-Ökologie an der Virginia Tech University.

Kommentare (4)

  • Danke für die tollen Informationen. Ich finde sehr interessant, sowas zu lesen. Ich werde deine News weiterhin verfolgen, weil eure News sehr interessant und hilfreich sind. Weiter so!

  • Sehr geehrte Frau Klenzendorf,

    sehr informativer Beitrag. Eine Fage habe ich noch hinsichtlich der Einbeziehung indigener Völker in die Schutzbemühungen. In Botswana oder in Kongo scheinen andere Regeln zu gelten. In Botswana sind die dort lebenden San aus einem Naturschutzgebiet verjagt worden, weil sie ja angeblich die Bestände der geschützten Tiere bejagen. Das gleiche wurde den Batwa-Pygmäen im Kongo vorgeworfen. Da wurde und wird von Seiten des WWF nicht auf die Indigenen Rücksicht genommen. Da gilt nicht Artikel 32. So vegetieren diese Leute heute am Rande der Naturschutzgebiete und am Rande der Gesellschaft vor sich hin, während Gebiete in Kamerun und Kongo vom WWF für eine "nachhaltige" Trophäenjagd freigehalten werden. Das verstehe ich nicht.

    Mit freundlichen Grüßen

  • Hallo,
    Ein sehr schöner Artikel. Schade jedoch das er nur die Eisbären betrifft. Viele Tiere wurden oder werden bejagt auf Grund dessen das Nahrung gebraucht wird. Dies war auch so lange möglich und vollkommen korrekt bis der „zivilisierte“ Mensch kam und machte daraus einen Sport oder ein Töten auf Grund der Wissenschaft. Vieles wäre auf unserer Erde besser hätte der sogenannte „zivilisierte“ Mensch einfach seine Finger davon gelassen.

  • Hallo,
    wäre es nicht sinnvoll, wenn alle Menschen, explizit auch die Inuit, auf die Bejagung der Eisbären verzichten würden? Ich denke schon und außerden braucht heutzutage kein Inuit mehr ein Eisbärfell - hierfür gibt es mittlerweile die tollsten und wärmsten Klimaklamotten. Ich bin auch der Meinung, der WWF muß sich klarer und eindeutiger positionieren. Selbstverständlich sollten auch indigene Völker ihren Beitrag zum Erhalt der Natur- und Artenvielfalt einbringen. Die Zeiten haben sich verändert - früher wurde mit Schlitten und Huskies gejagt, heute mit dem Motorschlitten und Gewehren. Ein mittlerweile ungleicher Kampf. Schluß damit !!!

    Mit frdl. Grüßen

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