Wild­flüs­se: Die Ammer aus dem Kor­sett befreien

Die Ammer ist einer der letzten Wildflüsse Deutschlands. © Sigrun Lange / WWF

Rein rech­ne­risch tref­fen Fische in Bay­ern alle 500 Meter auf ein Quer­bau­werk. So stark sind unse­re Flüs­se mit Weh­ren ver­baut, mit Tal­sper­ren auf­ge­staut und in Beton oder ande­re Mate­ria­li­en ein­ge­zwängt. Freie Fließ­stre­cken sind sel­ten gewor­den. Nur etwa jedes zehn­te die­ser Hin­der­nis­se kön­nen die Fische fluss­auf­wärts pro­blem­los passieren.

Deutsch­land­weit sind Flüs­se in sehr schlech­tem Zustand – auch in Bay­ern. Geschätz­te 77 Pro­zent der hei­mi­schen Fisch­ar­ten sind in Bay­ern vom Aus­ster­ben bedroht oder ste­hen als gefähr­det auf der Roten Lis­te. Die Euro­päi­sche Was­ser­rah­men­richt­li­nie ver­pflich­tet Deutsch­land zum Han­deln. Bis zum Jahr 2027 sol­len Flüs­se wie­der rena­tu­riert und in einen guten Zustand gebracht wer­den, um ihnen den Raum zu geben, den sie als Öko­sys­tem benö­ti­gen. Doch bis­her pas­siert viel zu wenig. Mal fehlt der Wil­le, mal das Geld, mal das not­wen­di­ge Land.

Befreit die Wildflüsse!

Dabei ist der Rück­bau von Quer­bau­wer­ken ver­mut­lich eine der effek­tivs­ten Maß­nah­men, die öko­lo­gi­sche Funk­ti­on von Flüs­sen zurück­zu­brin­gen. Aus­ge­hend von den USA hat sich mitt­ler­wei­le auch in Euro­pa eine regel­rech­te „Dammrückbau“-Bewegung for­miert. Ins­be­son­de­re in Frank­reich, Schwe­den, Finn­land, Spa­ni­en, Groß­bri­tan­ni­en und dem Bal­ti­kum wur­den vie­le Däm­me bereits ent­fernt. Der größ­te Damm­rück­bau in Euro­pa fin­det der­zeit an der Sélune in Frank­reich statt.

Mehr Wild­flüs­se: Alle 500 Meter ein Quer­bau­werk, das wol­len wir ändern. © Annet­te Herr / WWF

Auch in Bay­ern gäbe es viel Poten­zi­al, um durch Damm­rück­bau wie­der mehr leben­di­ge und frei flie­ßen­de Fluss­ab­schnit­te zu schaf­fen. Etli­che Abstür­ze, alte Kraft­wer­ke und Stau­hal­tun­gen, die obso­let gewor­den sind, stel­len unnö­ti­ge Bar­rie­ren für Fische und ande­re Fluss­be­woh­ner dar. Wir vom WWF arbei­ten aktu­ell dar­an, einen der wil­des­ten Flüs­se Bay­erns zu ret­ten. Ziel ist es, der Ammer auf etwa zehn Hekt­ar Flä­che wie­der mehr Raum für eine dyna­mi­sche Ent­wick­lung zu geben.

Die Ammer – einer der letz­ten Wildflüsse

Die Ammer ist nicht nur einer der letz­ten wirk­li­chen Wild­flüs­se Deutsch­lands. Er ist ein beson­ders schö­ner zugleich. Sei­ne etwa 30 Kilo­me­ter lan­ge, can­yon­ar­ti­ge Ammer­schlucht ist ein ein­zig­ar­ti­ger Anblick. 28 Fisch­ar­ten leben in dem Gewäs­ser. Fast alle deut­schen Specht­ar­ten sind hier behei­ma­tet und besie­deln die tot­holz­rei­chen Schlucht­wäl­der. Auch Uhus, die in Fel­sen brü­ten, und Fluss­ufer­läu­fer sind in der Ammer­schlucht zu Hause. 

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Schon in den 1960er Jah­ren wur­de damit begon­nen, die Ammer in der Schnalz grund­le­gend zu ver­än­dern und zu ver­bau­en. Der Grund dafür war der Koh­le­berg­bau, des­sen Abla­ge­run­gen damals hang­ab­wärts in den Fluss hin­ein­rutsch­ten. Um das Was­ser vor Ver­un­rei­ni­gun­gen zu schüt­zen, wur­de der Lauf der Ammer ver­legt und begra­digt. Der Aus­gang der wil­den Ammer­schlucht wur­de ver­baut. Seit­her sta­bi­li­siert ein Stütz­wehr die Sohle.

Das Ziel: Wie­der das natür­li­che Fließ­ver­hal­ten her­stel­len. © Was­ser­wirt­schaft Weilheim

Die Ammer aus ihrem Kor­sett befreien

Inzwi­schen zie­hen jedoch Vie­le an einem Strang, um die Ammer dort von ihrem Kor­sett zu befrei­en. Wir vom WWF Deutsch­land arbei­ten hier in enger Abstim­mung zusam­men, um mit dem Was­ser­wirt­schafts­amt Weil­heim und den Baye­ri­schen Staats­fors­ten als Land­eigen­tü­mer die Rena­tu­rie­rung zu planen.

Die Ammer wird sich ihren Weg bahnen

Dafür ent­fer­nen wir die Ufer­si­che­rung am alten Deich punk­tu­ell. Zusätz­lich wird ein neu­er Stütz­deich am Fuß der Berg­hal­de errich­tet und der bestehen­de Forst- und Wan­der­weg auf den neu­en Deich ver­legt. Bei Hoch­was­ser soll die Ammer den alten Deich schwä­chen, durch­bre­chen und suk­zes­si­ve ero­die­ren. Durch die damit ein­her­ge­hen­de Flu­tung der Auen­le­bens­räu­me wer­den die­se mit der Zeit wie­der an den Fluss ange­bun­den. Die Ammer wird sich mit­tel­fris­tig einen Weg durch die Aue bah­nen und das Wehr umströ­men. Damit wür­de das Stütz­wehr über­flüs­sig und könn­te in Fol­ge abge­ris­sen werden.

Damm­rück­bau­ta­gung: Dam rem­oval goes Alps

Eigent­lich hat­ten wir vom WWF im Mai 2020 die euro­päi­sche Damm­rück­bau-Bewe­gung für ein paar Tage an den Ammer­see ein­ge­la­den, um Erfah­run­gen aus ganz Euro­pa aus­zu­tau­schen. Dabei woll­ten wir den öko­lo­gi­schen, öko­no­mi­schen, aber auch den sozia­len Nut­zen von Damm­rück­bau­ten dis­ku­tie­ren. „Dam Rem­oval goes Alps“ will die Poten­zia­le für Rück­bau im Alpen­raum auf­zei­gen und die not­wen­di­gen Rah­men­be­din­gun­gen für Damm­rück­bau skiz­zie­ren. Auf­grund der der­zei­ti­gen Ent­wick­lung ver­schie­ben wir unse­re Tagung auf das nächs­te Jahr.

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Seit meiner Jugend engagiere ich mich für Naturschutzbelange: Lebensräume für Frösche schaffen, das Waldsterben anprangern, gegen Massentierhaltung protestieren. Also habe ich Biologie studiert und mich dabei u.a. von tropischen Hochgebirgen begeistern lassen. Hauptberuflich habe ich bisher bei NGOs, wissenschaftlichen Einrichtungen, aber auch als (inter-)nationaler Consultant zu Großschutzgebieten, insbesondere zu Biosphärenreservaten, gearbeitet. Aktuell kümmere ich mich beim WWF darum, Begeisterung für Flüsse zu wecken und den Blick der Menschen zu schärfen für das Ausmaß, in dem wir unsere Lebensadern bereits begradigt, aufgestaut und zerschnitten haben. Ich will dazu beitragen, unseren Flüssen wieder Leben einzuhauchen. Daher setzen wir auf den Rückbau von Barrieren.
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