Lasst uns die Flüs­se wie­der gesund machen!

Ein Bild von einem Fluss: die Ammer in Bayern © imago/imagebroker/Martin Siepman

Die Kli­ma­kri­se schlägt zu. Zu Land, wo der aus­blei­ben­de Regen Acker­bo­den zu Wüs­ten macht. Und zu Was­ser, wo gro­ße euro­päi­sche Strö­me plötz­lich knö­chel­hoch durch­wat­bar wer­den. Manch­mal auch, wo Land zu Was­ser wird und gro­ße Flu­ten plötz­lich alles mit­rei­ßen, was wir vor­her in die Fluss­bet­ten und Auen gebaut haben. Ich habe die Bil­der aus dem Ahrtal noch vor Augen. Genau­so die der aus­ge­trock­ne­ten Loire die­sen Som­mer. Und auch die der Oder, mit hun­der­ten Ton­nen toter Fische vor eini­gen Wochen. Ein Extrem folgt dem nächs­ten. Das ist anstren­gend, trau­rig, frus­trie­rend und ermü­dend. Hört es bald wie­der auf? Ich mei­ne: solan­ge wir mit unse­ren Flüs­sen umge­hen wie die Axt im Wal­de, eher nicht. Aber der Rei­he nach.

Fluss in der Kri­se: die Loire im Som­mer 2022 © imago/Martin Bertrand

Wir machen die Flüs­se krank

Flüs­se haben viel­fäl­ti­ge und wich­ti­ge Funk­tio­nen. Wir fah­ren auf ihnen, küh­len Kern­kraft­wer­ke mit ihnen, nut­zen ihre Kraft zur Strom­erzeu­gung. Ent­neh­men Fische, Trink­was­ser und Brauch­was­ser, wir lei­ten Abwas­ser in sie ein… Die Lis­te ist lang. Damit das mög­lichst über­all zuver­läs­sig, stan­dar­di­siert und jeder­zeit funk­tio­niert, haben wir die Flüs­se ganz schön in die Man­gel genom­men: ein­ge­deicht, begra­digt, aus­ge­bag­gert, auf­ge­staut und aus­ge­lei­tet. Vie­le Flüs­se sind nur noch ein Schat­ten ihrer selbst. Und das macht sie krank.

Fol­ge uns in Social Media

Ein Mensch, der sich bis zum Limit in unse­rer Leis­tungs­ge­sell­schaft ver­aus­gabt, ist anfäl­li­ger für Infek­te. Ein Fluss, den wir für die maxi­ma­le Aus­beu­te sei­ner Diens­te an uns in unse­rer indus­tri­el­len, hoch­tech­ni­sier­ten Wei­se aus­quet­schen wie eine Zitro­ne, hat eben­falls ein geschwäch­tes Immun­sys­tem. Und Fluss­krank­heits­er­re­ger wie aus­blei­ben­der Regen, sehr viel Regen oder Hit­ze­pe­ri­oden haben dann leich­tes Spiel und geben dem geschwäch­ten Fluss den Rest. Der Rest, das ist zum Bei­spiel ein Fisch­ster­ben, wel­ches im Zusam­men­spiel von gestau­tem Was­ser und Abwas­ser­ein­lei­tun­gen in der Oder auftrat.

Es ist längst klar, was unse­re Gewäs­ser brauchen

The­ra­pie­an­sät­ze für kran­ke Flüs­se gibt es reich­lich. Sie lie­gen in Form der Was­ser­rah­men­richt­li­nie in den Schub­la­den jeder Was­ser­be­hör­de in Euro­pa. Ange­wen­det wer­den sie bis­her jedoch nur unzu­rei­chend. Um das zu ändern ist der Inter­na­tio­na­le Tag der Flüs­se wich­tig, der Ende Sep­tem­ber gefei­ert wird! Lasst uns den Flüs­sen die Auf­merk­sam­keit zukom­men, die sie ver­die­nen. Lasst uns Flüs­se fei­ern, ihre natür­li­che und wun­der­schö­ne Unord­nung, ihre dyna­mi­sche Was­ser­füh­rung, Was­ser­tie­fe, Brei­te und Fließgeschwindigkeit.

Stellt euch vor, jedes Blut­ge­fäß in unse­rem Kör­per hät­te ein von Blut­bau­in­ge­nieu­ren nor­mier­tes Stan­dard­maß; wir wären nicht über­le­bens­fä­hig. Ähn­lich geht es den Flüs­sen, den Lebens­adern unse­res Pla­ne­ten. Wo es mög­lich ist, müs­sen wir den Fluss­bet­ten ihren Raum und dem Fluss­was­ser sei­ne Zeit zurück­ge­ben, durch die Land­schaft zu flie­ßen. Und wo die­se Struk­tu­ren und Pro­zes­se noch exis­tie­ren, müs­sen wir sie schützen.

Flüs­se hei­len, nicht noch mehr schädigen!

Es ist rich­tig und wich­tig den Aus­bau der Erneu­er­ba­ren Ener­gien jetzt mit hoher Prio­ri­tät vor­an­zu­trei­ben, um die ver­hee­ren­den, jetzt schon sehr sicht­ba­ren Fol­gen der Kli­ma­kri­se zu begren­zen. War­um in dem Zusam­men­hang jedoch auch der Kleinst­was­ser­kraft ein „über­ra­gen­des öffent­li­ches Inter­es­se“ ein­ge­räumt wird, wie unlängst vom Bun­des­tag beschlos­sen, bleibt mir unklar. Vie­le die­ser Anla­gen lie­gen in Kas­ka­den direkt hin­ter­ein­an­der. In Flüs­sen, die so klein sind, dass sie bereits jetzt schon mit Tro­cken­heit zu kämp­fen haben. Im Som­mer erwär­men sie sich stark, Sau­er­stoff­man­gel und Aus­trock­nung dro­hen. Dem kran­ken Sys­tem droht der Infarkt. Für einen Betrag von weni­ger als einem hal­ben Pro­zent der deut­schen Stromproduktion.

Mit dem WWF-News­let­ter nichts mehr verpassen!

Einem Arzt, der einem unter aku­tem Blut­ver­lust im lin­ken Arm lei­den­den Men­schen the­ra­peu­tisch intak­te Blut­ge­fä­ße im rech­ten abklemmt, wür­de man wahr­schein­lich sei­ne Appro­ba­ti­on ent­zie­hen. Und mit der glei­chen Logik, dem glei­chen Bewusst­sein und dem glei­chen Herz soll­ten wir auf die Gesund­heit unse­rer Flüs­se ach­ten. Sie vor Krank­hei­ten schüt­zen. Sie im Krank­heits­fall bei der Hei­lung unter­stüt­zen. Und sie damit für die Her­aus­for­de­run­gen der Zukunft vor­be­rei­ten, denn am Ende pro­fi­tie­ren alle davon: Die Flüs­se, die mit ihnen ver­bun­de­nen Öko­sys­te­me und auch wir.

Vie­le haben das bereits ver­stan­den und damit begon­nen – das feie­re ich.

Fol­ge uns in Social Media:
Ich bin Fischökologe und habe in den lezten Jahren über den Einfluss von Wasserkraft und anderen menschengemachten Stressfaktoren auf Fischpopulationen geforscht, unter anderem am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei Berlin und dem Institut für Binnenfischerei in Potsdam-Sacrow. Ich freue mich sehr, meine gewässerökologische Expertise nun in die programmatische Arbeit des WWF einfließen lassen zu können. Dass ich dabei von vielen Gleichgesinnten umringt bin, ist sehr ermutigend. Es ist toll zu erleben, wenn persönliche Herzensangelegenheiten die Angelegenheiten Vieler sind, und man zusammen für sie kämpfen kann.
Auch interessant
[Sassy_Social_Share]