Es ist an der Zeit, alle Pläne zum Bau von Wasserstraßen und zur Regulierung von Flüssen zu überprüfen. Es muss Geld für ihre Rettung ausgegeben werden, sagt PIOTR NIEZNAŃSKI vom WWF Polen.
An der Oder hat wirklich gar nichts funktioniert. Die Katastrophe hat gezeigt, wie schlecht das polnische Rechts- und Warnsystem ist. Nicht einmal die Bewohner des Odergebiets oder unsere Nachbarn in Deutschland wurden sofort vor der Gesundheitsgefährdung gewarnt. Wir spekulieren immer noch über die Ursachen der Katastrophe. Schon am ersten Tag, dem 26. Juli, hätten Experten vor Ort sein und tote Tiere einsammeln müssen, damit wir schnell reagieren können. Die Angler, die vor Ort waren, berichten, dass keine solchen Proben entnommen wurden und dass alle toten Fische dieses Tages zur Entsorgung gebracht wurden. Vielleicht hätte uns die Proben dann Aufschluss über die Stoffe gegeben, die zum Tod der Fische geführt haben. Die öffentlichen Einrichtungen haben auch dies völlig vernachlässigt.
Die ausgesetzte Belohnung für die Identifizierung des Verursachers der Oderverschmutzung, die Rücktritte zweier Beamter und das Gerede über härtere Strafen sollen die ungeheuerlichen Fehler und die Trägheit nun vertuschen.
Das Ministerium für Infrastruktur und der Bevollmächtigte der Regierung für Wasserwirtschaft und Investitionen in die Meeres- und Wasserwirtschaft kümmern sich nicht um die Oder als Fluss. Weder um das Wasser noch um die darin lebenden Organismen. Stattdessen kündigt die Institution, die sich um die polnischen Gewässer “kümmert”, größenwahnsinnige Infrastrukturprojekte an. Flüsse wollen sie regulieren, Staustufen bauen und Flüsse zu Wasserstraßen machen. Schon jetzt gibt es an kleineren Flüssen so genannte “Unterhaltungsarbeiten”, die verheerende Schäden anrichten, wie etwa das Betonieren und Befestigen der Ufer.
Natürliche Flüsse helfen sich selbst — wenn wir sie lassen
In ihrem natürlichen Zustand werden Flüsse mit verschiedenen Katastrophen fertig. Sie sind auch in der Lage, sich selbst zu reinigen. Ein Kilometer natürlichen Weichselufers ist in der Lage, organische Stoffe zu reinigen, wie es in einer Kläranlage 300.000 Zloty (ca 60.000 Euro) pro Jahr kosten würde. Die Oder wurde teilweise kanalisiert und reguliert. Ihre Widerstandskraft gegen Verschmutzung ist bereits geschwächt. Nach den Plänen der Regierung soll der Fluss an den meisten Tagen des Jahres 180 Zentimeter tief sein. Zurzeit sind es weniger als ein Drittel. So müsste das gesamte Ökosystem der Oder zerstört, auf einen schmalen Lauf verengt, begradigt und weitere Staustufen gebaut werden. Anstelle eines Flusses hätten wir dann einen Kanal.
Die Katastrophe an der Oder hat sich angekündigt
Die Ursache der Katastrophe an der Oder war zweifellos menschliches Handeln. Es stellt sich die Frage, ob es sich um eine einmalige Einleitung riesiger Mengen giftiger Stoffe in die Oder handelte oder um das Ergebnis der systematischen, schleichenden Zerstörung des Ökosystems, die nun zum Zusammenbruch geführt hat. Sicher ist, dass die ständige Verschmutzung durch die Industrie bisher toleriert wurde. Während die Flut der Verunreinigungen floss, bauten die Bagger und Lastkähne weiter Buhnen an der Grenzoder. Das Ökosystem des Flusses stand die ganze Zeit am Rande einer Katastrophe. Jetzt hatten wir sehr niedrige Wasserstände und sehr hohe Temperaturen. In einer solchen Situation könnte jeder zusätzliche Faktor die Katastrophe ausgelöst haben.
Aber wie so oft bei uns in Polen sind es Sozialwissenschaftler und die NGOs, die Umweltvergiftungen aufdecken. Man muss bei uns sehr hartnäckig sein, wenn man einen Verstoß gegen die Umwelt aufdecken will. Und dann muss man selbst dafür sorgen, dass die Kontrollbehörden ihre Arbeit machen. Dann zahlt der Schuldige ein lächerliches Bußgeld. Somit lohnt es sich für ihn tatsächlich, die Umwelt weiter zu verschmutzen. Unsere Kontrollinstitutionen sind weder unabhängig noch unpolitisch. Die Direktoren dieser Einrichtungen werden vom Provinzgouverneur oder vom Minister ernannt und entlassen — anstatt in Auswahlverfahren ausgewählt zu werden, bei denen Fachwissen und Managementfähigkeiten unter Beweis gestellt werden müssen.
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Solange sich dies nicht ändert, werden die Menschen den Verdacht haben, dass die Inspektoren dazu beitragen, Dinge unter den Teppich zu kehren, anstatt sich um die Umwelt zu kümmern.
In einigen Ländern gibt es eine Art Sonderpolizei zum Schutz der Umwelt. Hätten wir eine solche unabhängige und kompetente Kontrollstelle an der Oder, dann wäre bereits im März nach den Berichten über Tausende von toten Fischen im Gleiwitzer Kanal gehandelt worden. Und vielleicht hätte die Katastrophe vermieden werden können.
Monumentale, zerstörerische Pläne
Die Regierung will 5,5 Milliarden Zloty für den Bau der Staustufe Siarzewo an der Weichsel ausgeben, was den ökologischen Zustand des Flusses für immer verschlechtern wird. Der für die Wasserwirtschaft zuständige Staatssekretär und stellvertretender Infrastrukturminister, Marek Gróbarczyk, kündigt seit Jahren an, dass er 70 Milliarden für den Bau von Wasserstraßen ausgeben will. Diese monumentalen Pläne wären eine völlig unrentable und umweltzerstörende Investition. Es wäre wirtschaftlich und ökologisch viel sinnvoller, den Schienenverkehr auszubauen.
Die Regierung will weiter in Dinge zu investieren, die zu der Tragödie geführt haben: Regulierung von Flüssen, Bau von Dämmen und künstlichen Stauseen. Gleichzeitig werden Feuchtgebiete, die dauerhaft Wasser zurückhalten, zerstört. In Polen haben wir 6,5 Millionen Hektar Land, das urbar gemacht wurde. Und wir leiten das Wasser über fast 400.000 Kilometer Gräben ab. Damit verschärfen wir die Auswirkungen der Trockenheit ständig.
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Die Länge der Gräben ist doppelt lang wie die der Flüsse. Und von diesen 400.000 Kilometern Gräben sind nur zehn Prozent so ausgestattet, dass sie das Wasser zurückhalten können. Der Rest fließt ständig ab. Es würde genügen, das Grabensystem zu revitalisieren und Vorrichtungen an Gräben (nicht an Flüssen!) zu bauen, um Wasser dort zurückzuhalten, wo die Landwirte es brauchen. Mit diesem Verfahren hätten wir eine bessere Wirkung als all die künstlichen Rückhaltebecken an den Flüssen, die ihnen schaden.
Flüsse müssen eben nicht reguliert werden
Ich frage mich: Wann nehmen sie die Realität zur Kenntnis und akzeptieren, dass aufgrund des Klimakrise, der Hitzewellen, der Dürreperioden und der sehr niedrigen Wasserstände für die Flussschifffahrt nichts mehr zu holen ist? Wir müssen für Wasser kämpfen, für die Verfügbarkeit von sauberem Wasser und für gesunde Ökosysteme. Es bedarf eines völligen Umdenkens. Wir müssen den Menschen auch erklären, was der grundlegende systemische Fehler ist. Wer von einer Überschwemmung oder Dürre betroffen ist, der denkt oft, dass der Fluss reguliert werden muss — aber das Gegenteil ist der Fall. Ohne ein umfassendes Verständnis dieser Mechanismen werden wir den Weg fortsetzen, der uns zur Oder-Katastrophe geführt hat.
Wir müssen Geld für die Renaturierung ausgeben!
Ich hoffe, dass die Katastrophe Oder alles, was in der Umweltpolitik falsch läuft, aus dem Weg räumt. Es ist an der Zeit, alle Flussregulierungspläne der Regierung zu überarbeiten und die Mittel für die Wiederherstellung der Ökosysteme der polnischen Flüsse bereitzustellen. Irgendwo in einem Regal liegt das vorbereitete nationale Programm zur Sanierung von Oberflächengewässern. In Übereinstimmung mit der EU-Wasserrahmenrichtlinie steht darin, was wir wo tun sollten, um einen guten ökologischen Zustand der Gewässer zu erreichen. Es gab jedoch keinen guten Willen, nach dem Programm zu greifen. Wann, wenn nicht jetzt, ist die Zeit dafür gekommen?