Nur Mut! Der ESC und das Klima

Schwarzweiß, aber grün Katja Ebstein © Eric Koch-Anefo / National Archives / CC0

Was geht denn beim ESC, beim Euro­vi­si­on Song Con­test? Gewöhn­li­che Pop­mu­sik muss sich immer, sonst wür­de sie nie­mand hören, um die immer­grü­nen The­men dre­hen: Lie­be in all ihren For­men und Aner­ken­nung. Beim Euro­vi­si­on Song Con­test muss es immer um Popu­lä­res gehen, um Pop eben — aber die Band­brei­te der The­men ist viel­fäl­ti­ger. Am Ende geht’s dort, wie am Sams­tag, 22. Mai, im Fina­le und den bei­den Vor­run­den am 18. und 20. Mai, um Punk­te und Plät­ze. Zu gewin­nen ist schwie­rig, wobei es tra­di­tio­nell allen teil­neh­men­den Län­dern vor allem dar­auf ankommt, nicht Letz­ter zu wer­den: Wie pein­lich wäre das denn?

Kli­ma im ESC, geht das?

Aber geht beim ESC Poli­ti­sches, Kli­ma­po­li­ti­sches, sind Lie­der zu brin­gen mög­lich, die einen umwelt­po­li­ti­schen Kern haben? Ein biss­chen wenigs­tens. Direkt Poli­ti­sches ist ver­bo­ten, Pro­pa­gan­da und direk­tes Polit­mar­ke­ting ist strikt unter­sagt. Des­halb ist für den ESC in Rot­ter­dam auch Weiß­russ­land nicht am Start. Das ein­ge­reich­te Lied war eine Hym­ne auf die Poli­tik von Dik­ta­tor Lukaschenko.

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Aber für die Umwelt, gin­ge das nicht? Wer­den das nicht schlimms­ten­falls Welt­ver­bes­se­rungs­schnul­zen? Pop darf ja eine Atmo­sphä­re nicht ver­strö­men: Oh, wich­tig, zuhö­ren, schwer­po­li­tisch! Umwelt­the­men also? Schwer, ganz und gar schwer. Kli­ma­fra­gen sind kom­pli­zier­te Fra­gen — und des­halb eig­nen sie sich nur sel­ten für Pop. Man kann es natür­lich pro­bie­ren. Finn­land hat 1982 ein Lied ent­sandt, es war die Zeit der gro­ßen Frie­dens­be­we­gung, das die Nukle­ar­bom­be ablehn­te. Das fiel durch, was auch an der eher schep­pern­den Musik gele­gen haben mag. Gewon­nen hat damals die Deut­sche Nico­le mit „Ein biss­chen Frie­den“. Man konn­te ler­nen: Poli­ti­sche Bot­schaft müs­sen mensch­lich ver­packt wer­den — und posi­tiv. „Schwer­ter zu Pflug­scha­ren“ wäre als Wort­mons­trum schon geschei­tert, aber „Ein biss­chen Frie­den“ ließ sich gut sin­gen, das hat’s gebracht.

Ein biss­chen Frie­den mit der Umwelt, das wünsch ich mir © IMAGO / United Archives

Beim ESC hat es jedoch immer wie­der Lie­der weit nach vorn gebracht, die mehr als nur Lie­be „trans­por­tie­ren“. Sehr oft geht es dann um das „Uni­ver­sum“, um die „Son­ne“, um die kal­te Pracht des Gel­des, wie der Ita­lie­ner Mah­mood vor zwei Jah­ren beim ESC in Tel Aviv, als er von „Sol­di“ sang oder viel­mehr rappte.

Der ers­te Umwelt­song — von 1971

Das ers­te Umwelt­schutz­lied, der aller­ers­te Euro­vi­si­ons­song, der offen und klar den Kli­ma­wan­del zum Kern der Bot­schaft mach­te, war von einer Deut­schen gesun­gen, exakt vor 50 Jah­ren, beim ESC in Dub­lin. 1971 war dies Kat­ja Ebstein mit „Die­se Welt“.

Im Text heißt das dann so:

Ster­nen­kla­re Näch­te / Und die Luft ist wie Jas­min. / Flüs­se wie Kris­tall so klar / Und Wäl­der saf­tig grün: / Kann es das noch geben / Oder ist es schon zu spät / Daß für alle über­all / Die­ser Traum noch in Erfül­lung geht.“ Und im Cho­rus heißt es dann: „Die­se Welt / Hat das Leben uns geschenkt./ Sie ist dein / Sie ist mein / Es ist schön auf ihr; / Was wer­den soll / Liegt an dir.“

Noch expli­zi­ter die zwei­te Stro­phe, getex­tet von Fred Jay:

Rauch aus tau­send Schlo­ten / Senkt sich über Stadt und Land. /Wo noch ges­tern Kin­der war’n / Bedeckt heut Öl den Strand. / In den Düsen­rie­sen / Flie­gen wir dem Mor­gen zu; / Wie wird die­ses Mor­gen sein / Sinn­los oder vol­ler Sonnenschein.“

Die Ebstein, in den sieb­zi­ger Jah­ren eine der wich­tigs­ten und dank ihrer Hip­pie­kul­tur­prä­gung klügs­ten Pop­schla­ger­sän­ge­rin in Deutsch­land, sag­te spä­ter: „Das The­ma der Umwelt­ver­schmut­zung lag ja längst in der Luft, nur hat man das im Pop nicht so bemerkt. ‚Die­se Welt‘ hat das zum Aus­druck gebracht.“

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Ebstein wur­de beim ESC mit die­sem Lied sehr gute Drit­te. Offen ist, ob die Jurys in jenem Jahr die sprach­lich ja nicht ganz unkom­pli­zier­te Mes­sa­ge über­haupt ver­stan­den. Und gut mög­lich, dass der vor­züg­li­che Gesang der Ebstein zu vie­len Punk­ten bei­trug- aber das Umwelt­the­ma war damit dem ESC auf der Agen­da, vor allen ande­ren Foren der Popmusik.

Kli­ma auf die Agenda!

In die­ser Wei­se aus­drück­lich ist das Umwelt- und Kli­mathe­ma nie wie­der pro­mi­nent gewor­den beim ESC. Kli­ma und Pop — das ist ein Ver­hält­nis, in dem man sehr vor­sich­tig sein muss: Das Euro­vi­si­ons­fes­ti­val ist ja schließ­lich vor allem dies — euro­päi­sche Unter­hal­tung für 150 Mil­lio­nen in vier Dut­zend Län­dern. Es wird Zeit, dass sich Tex­ter des Pop wie­der mehr ris­kie­ren als Lie­be und ihre Spiel­ar­ten sin­gen zu las­sen. Dass es geht, den Kli­ma­wan­del auf die Agen­da zu packen, hat schließ­lich Kat­ja Ebstein bewie­sen. Nur Mut!

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Jan Feddersen, Jahrgang 1957, taz-Redakteur, hat 13 Jahre für den NDR und das Format des ESC in Deutschland gearbeitet, als TV-Experte, Blogger, Berater und Skriptentwickler. Die Musik beim ESC mochte er immer, fand das allerbeste aber immer, dass in dieser Show über die eigenen nationalen Grenzen hinaus empfunden werden konnte: Der ESC ist ihm die wichtigste europäisierende Kulturveranstaltung der Nachkriegszeit. Vier Bücher hat er zum Thema verfasst, zuletzt den Aufsatz „Der ESC als queeres Weltkulturerbe“. Er lebt in Berlin und hasst im Übrigen Käseigel!
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