Buen Vivir und das Recht auf gutes Leben

Gutes Leben findet im Einklang mit der Natur statt © Vincent Bradley / iStock / Getty Images

Was bedeu­tet gutes Leben? Die­se Fra­ge ist ver­mut­lich so alt wie die Mensch­heit selbst. Spä­tes­tens mit der Anti­ke und nicht zuletzt den Denk­an­stö­ßen der Auf­klä­rung gewann die Debat­te um eine sinn­vol­le, zufrie­den­stel­len­de Aus­ge­stal­tung des Lebens in Euro­pa an Bedeu­tung. Der ita­lie­ni­sche Phi­lo­soph Nic­colò Machia­vel­li for­mu­lier­te sei­ne The­se mit den Wor­ten: „Ich glau­be, dass der rech­te Weg, ins Para­dies ein­zu­ge­hen, der sein wür­de, den Weg zur Höl­le ken­nen zu ler­nen, um ihn zu meiden.“

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Die Ursprün­ge des „guten Lebens 

Doch schon vie­le Jahr­hun­der­te zuvor stell­te man sich die­se und ähn­li­che Fra­gen in eini­gen ande­ren Tei­len der Welt. So divers die Kul­tu­ren der Fra­gen­den sind, so divers sind auch ihre Ant­wor­ten. Bei­spiels­wei­se liegt der Fokus in eini­gen asia­ti­schen Län­dern auf dem Kon­zept von Wie­der­ge­burt und Kar­ma, wel­ches basie­rend auf unse­ren Hand­lun­gen posi­tiv oder nega­tiv vom aktu­el­len ins nächs­te Leben über­tra­gen wird. Im süd­li­chen Afri­ka beschreibt das Lebens­prin­zip Ubun­tu, wört­lich über­setzt Gemein­schafts­sinn oder Mensch­lich­keit, das fried­li­che Zusam­men­le­ben basie­rend auf gegen­sei­ti­gem Respekt und mit dem Bewusst­sein, Teil einer Gemein­schaft zu sein.

Die indi­ge­nen Völ­ker der süd­ame­ri­ka­ni­schen Anden ver­folg­ten wie­der­um ein eige­nes Kon­zept: Sumak kaw­say in der Spra­che der indi­ge­nen Quechua und Buen Vivir auf Spa­nisch, was buch­stäb­lich „gutes Leben“ bedeu­tet. Die Grund­hal­tung des Buen Vivir basiert auf dem Prin­zip der Pacha­ma­ma, bei dem die Erde selbst als Gott­heit und näh­ren­de Grund­la­ge allen Lebens geehrt wird.

Pacha­ma­ma: Völ­ker in Süd­ame­ri­ka ver­eh­ren Mut­ter Erde“ weil sie uns das Leben schenkt © IMAGO / Pond5 Images

Neben der eige­nen und gemein­schaft­li­chen Erfül­lung steht im Buen Vivir vor allem das Leben im Ein­klang mit der Natur und ein bedach­ter Umgang mit ihren Res­sour­cen im Vor­der­grund. Pas­send dazu wird auch die Umwelt nicht als Objekt betrach­tet, son­dern viel­mehr als Sub­jekt aus­ge­stat­tet mit eige­nen Rech­ten. Die Wei­ter­ent­wick­lung des Buen Vivir ver­eint öko­lo­gi­sche, femi­nis­ti­sche eben­so wie mar­xis­ti­sche und huma­nis­ti­sche Ansät­ze und stellt damit einen Gegen­ent­wurf zum euro­zen­tris­ti­schen Wohl­stands- und Ent­wick­lungs­kon­zept dar, das die Welt in mone­tär arm und reich und kul­tu­rell zurück­ge­blie­ben und zivi­li­siert einordnet.

Es ist also kei­ne rein spi­ri­tu­el­le oder phi­lo­so­phi­sche Welt­an­schau­ung. Buen Vivir wur­de im Lau­fe der Jah­re auch ein wich­ti­ger Pfei­ler in den Wider­stands­kämp­fen des Glo­ba­len Südens. Des­sen schmerz­haf­ter gemein­sa­mer Nen­ner sind die trau­ma­ti­schen Erfah­run­gen des Kolo­nia­lis­mus und die bis heu­te anhal­ten­de Mar­gi­na­li­sie­rung im Rah­men des kapi­ta­lis­ti­schen Wirt­schafts­sys­tems. Prin­zi­pi­en wie das des Buen Vivir sind dabei nichts Gerin­ge­res als der Anstoß eines tief­grei­fen­den Wan­dels in Wirt­schaft und Gesell­schaft zuguns­ten eines bes­se­ren Lebens für alle.

Gutes Leben als Politikum

Umfra­gen wie der World Hap­pi­ness Report sug­ge­rie­ren, dass beson­ders die skan­di­na­vi­schen Län­der vorn lie­gen müss­ten, wenn es um staat­li­che Bemü­hun­gen rund um gutes Leben geht. Doch der Ein­druck täuscht. Welt­weit ist das Recht auf gutes Leben bis­her nur in den Ver­fas­sun­gen von drei Län­dern offi­zi­ell ver­an­kert: Bhu­tan, Boli­vi­en und Ecua­dor. 

In Bhu­tan bei­spiels­wei­se gibt es die welt­weit ein­zig­ar­ti­ge Kenn­zahl des Brut­to­na­tio­nal­glücks. Das BNG wird regel­mä­ßig anhand eines Fra­ge­bo­gens mit meh­re­ren Schwer­punkt­the­men erho­ben. Dazu gehö­ren u.a. men­ta­les und kör­per­li­ches Wohl­be­fin­den, Bil­dung, gesell­schaft­li­che und kul­tu­rel­le Teil­ha­be, gute Regie­rungs­füh­rung sowie öko­lo­gi­sche Vielfalt.

Bhu­tan führ­te als ers­tes Land der Welt das Brut­to­na­tio­nal­glück ein © Rui T Gue­des / iStock / Get­ty Images

Ecua­dor gelang mit der Ver­fas­sung vom 20. Okto­ber 2008 initi­iert vom dama­li­gen Prä­si­den­ten der Ver­fas­sungs­ge­ben­den Ver­samm­lung Alber­to Acos­ta ein inter­na­tio­na­ler Mei­len­stein. Gestützt auf der Visi­on der süd­ame­ri­ka­ni­schen Iko­nen Simón Bolí­var und Eloy Alf­aro von Frie­den und Soli­da­ri­tät aller Völ­ker der Erde, erklär­te Acos­ta das Prin­zip des Buen Vivir zum Staats­ziel. Boli­vi­en zog nur ein Jahr spä­ter eben­falls nach. Arti­kel 275 der ecua­do­ria­ni­schen Ver­fas­sung führt zur genaue­ren Defi­ni­ti­on aus: „Das Buen Vivir erfor­dert, dass Per­so­nen, Gemein­schaf­ten, Völ­ker und Natio­nen tat­säch­lich im Besitz ihrer Rech­te sind und ihre Ver­ant­wort­lich­kei­ten im Kon­text der Inter­kul­tu­ra­li­tät, des Respekts ihrer Diver­si­tät und des har­mo­ni­schen Zusam­men­le­bens mit der Natur ausüben.“

Wo das Prin­zip schon ange­wen­det wird

Es stel­len sich folg­lich die gro­ßen Fra­gen nach der kon­kre­ten Umset­zung und inwie­fern die­ses vor­wie­gend im Glo­ba­len Süden ver­an­ker­te Prin­zip die nöti­ge Unter­stüt­zung aus dem glo­ba­len Nor­den erhält.

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Einer der ers­ten prak­ti­schen Vor­schlä­ge Ecua­dors zur Umset­zung des Buen Vivir ist es, ein bedeu­ten­des Ölvor­kom­men im Yasuní-Natio­nal­park im Boden zu belas­sen. Das liegt näm­lich mit­ten im Ama­zo­nas­ge­biet – eine der arten­reichs­ten Regio­nen der Erde. Infol­ge von Wider­sprü­chen inner­halb der ecua­do­ria­ni­schen Regie­rung sowie des feh­len­den inter­na­tio­na­len Rück­halts konn­te sich die Yasuní-ITT-Initia­ti­ve letzt­lich nicht durch­set­zen. Trotz aller Rück­schlä­ge gelang es Ecua­dor, im August die­ses Jah­res erfolg­reich ein Refe­ren­dum zum Stopp der Erd­öl­för­de­rung im Yasuní-Natio­nal­park durch­zu­füh­ren. Das Votum bedeu­tet einer­seits den siche­ren Ver­bleib von fast 800 Mil­lio­nen Bar­rel Öl unter der Erde und zeigt ande­rer­seits, dass die Visi­on eines Lebens im Ein­klang mit der Natur stär­ker ist denn je. Doch die Ent­schei­dung hat auch einen bit­te­ren Bei­geschmack. Denn in die­sem Fall muss Ecua­dor, anders als bei der frü­he­ren ITT-Ini­ta­ti­ve geplant, ohne Kom­pen­sa­ti­ons­zah­lun­gen des Glo­ba­len Nor­dens die Kon­se­quen­zen des Votums allei­ne tragen.

Buen Vivir – Chan­ce für die Zukunft?

Doch die Scho­nung natür­li­cher Res­sour­cen und wirt­schaft­li­cher Erfolg wider­spre­chen ein­an­der nicht zwangs­läu­fig. Das zei­gen unter ande­rem die indi­ge­nen Koope­ra­ti­ven, in denen tra­di­tio­nel­le Anbau­me­tho­den über Gene­ra­tio­nen hin­weg zum Ein­satz kom­men. Die Koope­ra­ti­ven der ecua­do­ria­ni­schen Regio­nen Esme­ral­das und Napo, gele­gen an der pazi­fi­schen Küs­te bzw. im Ama­zo­nas­tief­land, zei­gen das beson­ders gut. Hier bau­en Klein­bäue­rin­nen und Klein­bau­ern in soge­nann­ten Coli­nos und Chakras ver­schie­dens­te Obst- und Gemü­se­sor­ten an, eben­so wie Vanil­le, Kaf­fee und Kakao. Das Beson­de­re an die­sen nach­hal­ti­gen Agro­forst­sys­te­men ist ihre Ein­bet­tung in die loka­le Natur. Bei­spiels­wei­se gedei­hen Kakao-Pflan­zen in den Chakras, den Wald­gär­ten des Ama­zo­nas, inmit­ten der Baum­rie­sen und in Kom­bi­na­ti­on mit ver­schie­dens­ten ande­ren Arten. Die ursprüng­li­che Flo­ra muss nur so viel wei­chen wie für den Anbau im Wald not­wen­dig ist.

Tra­di­tio­nel­le Anbau­me­tho­den im Ama­zo­nas sind auf den Ein­klang mit der Natur aus­ge­legt © Gabri­el Vane­rio / WWF Ecuador

Das Ergeb­nis ist Edel­ka­kao in Pre­mi­um­qua­li­tät, der welt­weit auf­grund sei­ner beson­ders fei­nen Aro­men geschätzt wird.  

Bei­spie­le wie die­ses zei­gen, dass eine Kom­bi­na­ti­on des guten Lebens von und mit der Umwelt und wirt­schaft­li­chem Nut­zen durch­aus gelin­gen kann. In jedem Fall aber stellt das Prin­zip des Buen Vivir einen rich­tungs­wei­sen­den Denk­an­stoß dar – nicht nur für die Aus­ge­stal­tung unse­res indi­vi­du­el­len Lebens, son­dern auch und vor allem für den zukünf­ti­gen Umgang mit unse­rer gemein­sa­men Lebens­grund­la­ge: unse­rer Erde. 

Der Ein­satz des WWF 

Der WWF Deutsch­land setzt sich u.a. in einem gemein­sa­men Pro­jekt mit dem WWF Ecua­dor und der Gesell­schaft für Inter­na­tio­na­le Zusam­men­ar­beit (GIZ) GmbH im Auf­trag des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für wirt­schaft­li­che Zusam­men­ar­beit und Ent­wick­lung für die För­de­rung von indi­ge­nen Anbau­me­tho­den und dem Auf­bau von trans­pa­ren­ten Lie­fer­ket­ten ein, die frei sind von kon­ven­tio­nel­ler Ent­wal­dung. Unser Schwer­punkt liegt dabei auf nach­hal­tig pro­du­zier­tem Kakao aus den oben genann­ten Regio­nen Esme­ral­das und Napo.

Bio- und Fai­trai­de-Sie­gel hel­fen beim Kauf, die nach­hal­tigs­te Wahl zu tref­fen © IMAGOBSIP

Wenn auch du beim Ein­kauf von Kakao und Scho­ko­la­de einen Bei­trag leis­ten willst, ach­te auf das BIO-Sie­gel in Kom­bi­na­ti­on mit den Sie­geln von Fair­trade oder Rain­fo­rest Alliance.

Mehr Infos zu unse­rem Pro­jekt fin­dest du hier.

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und Als Projektmanagerin für Kommunikation beim WWF berichte ich über unsere Drittmittelprojekte mit Fokus auf Landwirtschaft, Meeres- und Küstenschutz. Das Spektrum reicht vom Mangrovenschutz im Westindischen Ozean über die Bekämpfung illegaler Fischerei im südlichen Afrika bis hin zum nachhaltigen Kakao- und Sojaanbau in Südamerika. Dafür bespiele ich die gesamte Bandbreite der WWF Kanäle, sowohl digital als auch analog.Privat liebe ich vor allem das Meer mit all seinen Facetten und bin seit vielen Jahren begeisterte Amateurfotografin.
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