Der “Bürgerrat Ernährung im Wandel” hat neun Vorschläge als Rezept für die Ernährungspolitik von morgen vorgelegt. Jetzt ist die Politik gefordert.
Nicht immer verderben viele Köche den Brei. Ein Gegenbeispiel lieferte der „Bürgerrat Ernährung im Wandel”. Mitte Februar 2024 übergab der vom Bundestag einberufene Rat seine Empfehlungen an den Bundestag. Er war sich bei seinen “Rezeptvorschlägen an die Politik” erstaunlich einig, was die künftige Ernährung betrifft. Nachhaltige und gesunde Ernährung für alle soll es sein und das bitte so einfach wie möglich, durch klare Regeln, Informationen und Transformationsprogramme.
Wunschliste für Besseresser
Konkret mündete das in neun ausformulierten und priorisierten Empfehlungen. Ganz oben auf der Prioritätenliste der Bürgerinnen und Bürger: kostenfreie und gesunde Gemeinschaftsverpflegung an Kitas und Schulen. Auf Platz Zwei folgt ein verpflichtendes staatliches Label für Lebensmittel. Es soll die Bereiche Klima, Tierwohl und Gesundheit berücksichtigen, wissenschaftlich fundiert sein und für alle in Deutschland und der Europäischen Union verkauften Produkte gelten. Auf den Plätzen Drei, Vier und Fünf: verpflichtende Lebensmittelspenden, Herkunftskennzeichnung von Tieren und ein neuer Steuerkurs, um den Konsum nachhaltiger Lebensmittel zu fördern.
Die Empfehlungen ähneln den Forderungen bekannter wissenschaftlicher Beiräte und denen zivilgesellschaftlicher Organisationen. Nur an der Politik der Bundesregierung ziehen sie auf der linken Überholspur vorbei. Denn die kürzlich verabschiedete Ernährungsstrategie der Bundesregierung bleibt in entscheidenden Punkten hinter dem Gestaltungswillen der Bürgerinnen und Bürger zurück.
Essen: Privatsache und Politikaufgabe
Ein gängiges Argument im Ampel-Streit und die vorgeschobene Begründung für das zaghafte Regierungshandeln: Ernährung sei Privatsache. Doch der Bürger:innenrat zeigt, dass sich Menschen ein proaktives Eingreifen der Politik und Unterstützung für eine gute Ernährung wünschen. Das zeigt auch der im vergangenen Jahr vorgestellte BMEL-Ernährungsreport . Den Befragten ist vor allem eine artgerechte Haltung der Tiere (65 Prozent) sehr wichtig. Das gilt auch für den Insektenschutz (49 Prozent) und die Anwendung umweltschonender Produktionsmethoden (48 Prozent). Natürlich liegt zwischen Intention und Handlung immer noch ein weiter Weg, und hier muss die Politik ins Spiel kommen, um es uns so einfach wie möglich zu machen unsere guten Vorsätze auch umzusetzen.
Denn obwohl sich viele eigentlich gesund und nachhaltig ernähren möchten, werden sie durch profitgesteuerte Ernährungsumgebungen in die falsche Richtung gelenkt: Durch das erste Gericht im Kantinenmenu, die Werbung in Prospekten, Sonderangebote oder die letzten Meter vor der Supermarktkasse, bei denen man sich vor Gummibären und Schokoriegeln kaum retten kann.
Beteiligungsmodell mit Zukunft
Der Bürgerrat Ernährung setzte sich aus 160 Menschen verschiedener Hintergründe und Meinungen zusammen. Sie haben gemeinsam überlegt, wie die Ernährungssituation in Deutschland verbessert werden könnte. Welche Fragestellungen sie dabei konkret behandeln wollten, entschieden die Teilnehmer:innen selbst. Über die Zusammensetzung des Gremiums entschied das Los. Demografische Kriterien wie Alter, Geschlecht, Bildungsstand, geografische Herkunft und sogar die Ernährungsweise (vegan, vegetarisch, etc.) wurden dabei berücksichtigt. So viel Bürgerbeteiligung war für einige Profipolitiker allerdings schwer verdaulich. Kritik an dem Prozess gab es hauptsächlich von der Union: Die Oppositionspartei forderte mehrfach die sofortige Einstellung . Weitere Bürgerräte dürfe es nicht mehr geben.
Empfehlungen ernst nehmen
Ähnlich wie die Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL), ein Gremium, das sich aus Fachleuten von Agrar‑, Umwelt — und Verbraucherschutzorganisationen zusammensetzt, zeigt auch der Bürger:innenrat: Dialogprozesse mit Menschen unterschiedlichen Ansichten und Interessen finden meist gute Einigungen und Lösungsvorschläge, wenn sie miteinander sprechen. Der Dialog ermöglicht es, die Bedürfnisse und Interessen der Bevölkerung als Ganzes zu berücksichtigen, anstatt nur bestimmte Interessengruppen zu vertreten.
Es ist jetzt besonders wichtig, dass Fraktionen und Abgeordnete, die Ergebnisse ernst nehmen und in konkrete Gesetzesinitiativen gießen. Es wäre ein wichtiges Zeichen, auf die Forderungen des ersten vom Bundestag eingerichteten Bürger:innenrat einzugehen. Denn Bürgerräte können das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik stärken, aber nur, wenn klar wird, dass die Stimmen und Anliegen der Bürger auch ernst genommen werden.