Unser Wohlstand hat seinen Preis. Und wir wissen alle, dass er maßgeblich von der Nutzung unserer natürlichen Ressourcen abhängt. Die Rechnung zahlen nicht nur die Konsument:innen, sondern auch Bäuer:innnen, die im Pestizidnebel ihre Gesundheit ruinieren und Näher:innen, die für einen Hungerlohn Billig-T-Shirts produzieren. Unser Konsum geht auf Kosten von Wäldern, Meeren und Mooren und allem was darin lebt oder versucht zu überleben. Nichts Neues. Also: Höchste Zeit, dass sich was ändert.
Das dachte sich auch die EU-Kommission und legte bereits im Februar 2022 den Entwurf eines sogenannten Lieferkettengesetzes vor. Die Richtlinie hat das Ziel, Unternehmen stärker in die Pflicht zu nehmen. Sie sollen sicherstellen, dass entlang ihrer Lieferkette Umwelt- und Sozialstandards eingehalten und Menschrechte respektiert werden. Sorgfaltspflicht nennt sich das Ganze. Eine gute Idee und eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
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Verhandlungsmarathon
Nach langen Verhandlungen einigte sich EU-Kommission, Parlament und Ministerrat im Dezember 2023 im so genannten Trilog informell auf einen Entwurf. Ein in der EU übliches Routineverfahren. Damit war der Weg für das Lieferkettengesetz eigentlich frei. Eigentlich. Doch Brüssel hatte die Rechnung ohne die FDP gemacht. Die grätschte in letzter Minute vor der entscheidenden Absegnung des EU-Rates dazwischen. Denn Deutschland pflegt sich bei Entscheidungen zu enthalten, wenn sich die Parteien innerhalb der Regierung nicht einigen können. Das kommt leider häufiger vor und es waren wieder einmal die Freien Demokraten, die diesmal in allerletzter Minute eine Vollbremsung hinlegten. Eine Enthaltung kommt einer Gegenstimme gleich. Nun dürfte es einer Partei, die sich „liberal“ nennt, argumentativ schwerfallen, klarzustellen, warum sie sich der Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutz entgegenstellt. Die Minister Marco Buschmann und Christian Lindner versuchten es auch gar nicht ernsthaft und sprachen von einem „Bürokratiemonster“, das den Mittelstand und den Standort Deutschland bedrohe. Dabei hatten sie selbst bis zuletzt an Formulierungen mitgefeilt.
Haltung der Wirtschaft
Tatsächlich ist den Wirtschaftsliberalen wohl ein Klagerecht gegenüber Unternehmen, ein Dorn im Auge. Kommen die Konzerne ihrer Sorgfaltspflicht nicht nach, drohen Bußgelder bis zu fünf Prozent des Jahresumsatzes. Das könnte der Grund sein, warum Wirtschaftsverbände wie der BDI, der Arbeitgeberverband BDA ‚die DIHK oder der Außenhandelsverband und andere Spitzenverbände die Gesetzesinitiative scharf kritisieren und Nachbesserungen einfordern.
Die Vorbehalte der Firmenbosse waren erwartbar. Allerdings ist die Stimmungslage in der deutschen Wirtschaft keineswegs eindeutig. Einer aktuellen Erhebung zufolge halten 80 Prozent der befragten Firmen die Auflagen des EU-Lieferkettengesetzes für realisierbar. Zwar entstehen Mehrkosten, die meisten Manager:innen rechnen aber mit einem Return on Investment. Vor, aber auch nach der Blockade, haben sich viele Unternehmen direkt an die Politik gewandt, damit Deutschland für das Gesetz stimmt. Darunter keinesfalls nur welche aus der grünen Nische, wie Vaude, sondern auch Tchibo, Bayer, KiK und Aldi Süd.
Mit dem WWF-Newsletter nichts mehr verpassen!Blockiertes Lieferkettengesetz
Es ist mehr als offensichtlich, dass sich die FDP. einmal mehr auf Kosten ihrer Koalitionspartner profilieren will und sich als Retter des deutschen Mittelstands aufspielt. Kein Wunder, denn schließlich kämpft die Fünf-Prozent-Partei selbst ums parlamentarische Überleben. Sie riskiert mit ihrer Blockadetaktik aus innenpolitischem Kalkül allerdings, dass sich Deutschland auf europäischer Ebene komplett zum Deppen macht. Die Reaktionen auf das destruktive Vorgehen waren entsprechend.
Deutschland hatte die Richtlinie im monatelangen Gesetzgebungsverfahren mitgetragen und Erleichterungen für mittelständische Unternehmen ermöglicht. Der für das Verfahren zuständige Arbeitsminister Hubertus Heil war nach dem „No Go“ seines Koalitionspartners entsprechend bedient und sprach von einer „ideologisch motivierten Blockade“. Womit er sicher nicht falsch liegt.
Modell Deutschland
Zum Hintergrund gehört, dass es in Deutschland anders als im Rest Europas bereits ein Lieferkettengesetz gilt. Das hatte schon die Regierung unter Angela Merkel im Juni 2021 verabschiedet. Die Vorgaben für die Unternehmen hierzulande sind zwar weniger streng als in der geplanten europäischen Regelung, aber sie betreffen eben nur die Firmen hierzulande. Ein EU-Lieferkettengesetz hätte für gleiche Spielregeln in Europa und damit für mehr unternehmerische Chancengleichheit gesorgt. Hätte, hätte Lieferkette…
Ein Satz mit x
Nachdem sich das Scheitern des Gesetzentwurfes abzeichnete, nahm die belgische Ratspräsidentschaft die Abstimmung kurzfristig von der Tagesordnung. Doch das Manöver konnte den Gesetzentwurf nicht mehr retten. Wegen der widersprüchlichen Haltung aus Deutschland gingen auch andere Länder auf Abstand. Für die Annahme des Gesetzes wäre eine doppelte Mehrheit im Europarat nötig gewesen. Das heißt, es hätte nur in Kraft treten können, wenn nicht nur die Mehrheit der Mitgliedsländer zugestimmt, sondern diese zugleich die Mehrheit der europäischen Bevölkerung repräsentiert hätte. Das war wohl nix. Ende Februar lehnte der EU-Rat den Vorschlag ab. Ein schwerer Rückschlag für die Bemühungen um eine nachhaltigere und gerechtere europäische Wirtschaft.
Überraschender Kompromiss
Dass es Mitte März doch noch zu einem Kompromiss kam, war für viele eine Überraschung. Deutschland blieb bei seiner Enthaltung, aber andere Staaten wie Frankreich und Spanien lenkten ein. Allerdings kam dabei nur ein deutlich abgeschwächtes Regelwerk heraus. Zunächst gilt das Gesetz nur für Firmen mit mindestens 1.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 450 Millionen Euro. Zudem wurden die Übergangsfristen noch einmal verlängert und die Haftungsregeln bei Verstößen aufgeweicht.
Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen! Wir begrüßen, dass letztlich überhaupt eine Einigung über das Lieferkettengesetz zustande gekommen ist. Diese stark abgeschwächte Version sendet allerdings ein fatales Signal an alle Menschen, die nun weiterhin unter Missständen in den Wertschöpfungsketten leiden müssen. Vielen Dank Herr Lindner. Für nichts!