Heu­schre­cken und Wasch­bä­ren: Wie ent­ste­hen Tierplagen?

Der verzweifelte Kampf gegen die Schrecken der Lüfte © Patrick Ngugi / picture alliance

Ost­afri­ka erlebt der­zeit die schlimms­te Heu­schre­cken­pla­ge seit Lan­gem. Mil­li­ar­den von Wüs­ten­heu­schre­cken fres­sen gan­ze Land­stri­che leereine Kata­stro­phe für die Men­schen, die Land­wirt­schaft und das Öko­sys­tem. Doch Heu­schre­cken sind nicht die ein­zi­gen Tie­re, die zur Pla­ge wer­den kön­nen. Bei­spie­le von Tier­pla­gen fin­den sich an Land, unter Was­ser, in der Luft. 

Wann sind Tie­re eine Plage?

Grund­sätz­lich soll­te kein Lebe­we­sen als Pla­ge bezeich­net wer­den. Schließ­lich liegt der Grund für das Auf­tre­ten soge­nann­ter Pla­gen oft nicht in den Tier­ar­ten selbst, son­dern in den gestör­ten Umwelt­be­din­gun­gen, oft durch uns Men­schen. Trotz­dem: Für ein Öko­sys­tem kann das unkon­trol­lier­te Ver­meh­ren einer ein­zel­nen Tier­art ver­hee­ren­de Fol­gen haben. Tie­re, die plötz­lich in Mas­sen auf­tre­ten, ver­drän­gen ihre Kon­kur­ren­ten, fres­sen ihre Beu­te­tie­re auf oder gra­sen gan­ze Land­schaf­ten ab. Kurz: Wenn es von einer Tier­art plötz­lich viel zu viel gibt, kann dies das gan­ze Öko­sys­tem lang­fris­tig verändern.

Exkurs: Sta­re in Rom sind kei­ne Plage!

Der Begriff Tier­pla­ge ist natür­lich durch und durch anthro­po­zen­trisch, das heißt vom Men­schen her gedacht. Wir beschrei­ben Tie­re dann als Pla­ge, wenn sie uns zur Last fal­len, wenn sie für uns unge­müt­lich wer­den oder wenn wir schlicht kei­ne Lust haben, mit ihnen den Lebens­raum zu tei­len. So hal­ten vie­le Römer:innen die Sta­re, die sich im Okto­ber zu Aber­tau­sen­den in ihrer Stadt ein­fin­den, für eine abso­lu­te Pla­ge. Klar, die Stra­ßen am Tiber sind im Herbst rut­schig, stin­kend und laut. Aber zum Stadt-Öko­sys­tem Rom gehö­ren die herbst­li­che Star­scha­ren mei­ner Mei­nung nach fest dazu, ihr Schwarm­ver­hal­ten ist ein­fach zu ein­drucks­voll. Seht selbst:
 

Wie ent­ste­hen Tierplagen?

Spricht man mit Biolog:innen über Tier­pla­gen, dann fällt schnell der Begriff der „bio­lo­gi­schen Inva­si­on“. Das klingt ziem­lich mili­tä­risch und ist des­halb unan­ge­bracht. Schließ­lich neh­men sich die Tie­re ja nicht bewusst vor, eine Land­schaft platt zu machen – sie leben ein­fach. Was damit aber aus­ge­drückt wer­den soll, ist, dass sich bestimm­te Tie­re in Gebie­ten aus­brei­ten, in denen sie vor­her nicht hei­misch waren. Da tref­fen sie auf die dor­ti­ge Arten­viel­falt und kön­nen sie mög­li­cher­wei­se auch nega­tiv beein­flus­sen. Sol­che inva­si­ven Tier­ar­ten nennt man auch Neo­bio­ta, also neu­ar­ti­ge Orga­nis­men. Die Welt­na­tur­schutz­uni­on IUCN hat die inva­si­ven Tier­ar­ten sogar in einer glo­ba­len Daten­bank zusam­men­ge­fasst. Doch wie kom­men sol­che „Inva­sio­nen“ zustan­de?  

Ver­ur­sa­cher: Mensch 

Tat­säch­lich sind meist wir Men­schen dafür ver­ant­wort­lich, dass sich Tie­re in Gebie­ten ver­meh­ren, in die sie eigent­lich nicht gehö­ren. Frü­her gelang­ten Rat­ten und Kat­zen von euro­päi­schen Schif­fen auf tro­pi­sche Inseln, wo sie zahlrei­che hei­mi­sche Insel-Vogel­ar­ten ausrot­te­ten. Heute flie­gen Spin­nen in Bana­nen­kis­ten (der Klas­si­ker!) um die hal­be Welt. Die Glo­ba­li­sie­rung macht eben nicht vor dem Tier­reich halt – nur bekom­men wir davon nicht mehr Arten­viel­falt, son­dern sor­gen dafür, dass über­all ähn­li­che, häu­fi­ge Arten vor­kom­men, sel­te­ne aber ver­schwin­den. Fach­men­schen spre­chen von der Homo­ge­ni­sie­rung der Flo­ra und Fau­na unse­rer Erde.

Aber auch der men­schen­ge­mach­te Klimawan­del sorgt dafür, dass sich Tie­re außer­halb ihrer nor­ma­len Lebens­zy­klen rasant vermehrten kön­nen. Durch die Erd­er­hit­zung wer­den Wet­ter­ereig­nis­se extre­mer und das kann dazu füh­ren, dass die Aus­brei­tung bestimm­ter Tier­ar­ten begüns­tigt wird. 

Fünf Tier­pla­gen und ihre Ursa­chen  

Die Achat­schne­cke ist eine der größ­ten Land­schne­cken der Welt © Viken­tiy Elizarov/Gettyimages

Afri­ka­ni­sche Rie­sen­schne­cke: Die gro­ße Achat­schne­cke  

Sie ist so groß wie eine Rat­te und knab­bert am liebs­ten an Haus­wän­den: Die Afri­ka­ni­sche Rie­sen­schne­cke hat sich in eini­gen Tei­len der USA zur Pla­ge ent­wi­ckelt. Laut Medi­en­be­rich­ten brach­te ein klei­ner Jun­ge in den 60er-Jah­ren drei Rie­sen­schne­cken aus dem Urlaub mit nach Flo­ri­da. Rasch ent­wi­ckel­te sich eine Schne­cken­pla­ge, die sich an kalk­hal­ti­gen Haus­wän­den zu schaf­fen mach­te oder Müll­ei­mer anfraß. Die Behör­den schaff­ten es zwar, die Schne­cken nach Jah­ren aus­zu­rot­ten, doch 2011 tauch­ten sie wie­der auf…  

Tier­pla­gen aus der Luft: Heuschrecken 

Schon die Bibel berich­tet von einer gigan­ti­schen Heu­schre­cken­pla­ge, die Gott als Ach­te sei­ner zehn Pla­gen zu den Ägyp­tern schick­te, weil die­se die Flucht der Israe­li­ten ver­hin­dern woll­ten. Tat­säch­lich sind Heu­schre­cken­pla­gen nicht sel­ten, da Wan­der­heu­schre­cken sich zu rie­si­gen Schwär­men zusam­men­schlie­ßen, um gemein­sam neue Fress­ge­bie­te zu „erwan­dern“. Vor allem in afri­ka­ni­schen Län­dern fres­sen Mas­sen von Heu­schre­cken immer wie­der gan­ze Land­stri­che leer. Doch eine so gewal­ti­ge Heu­schre­cken­pla­ge, wie die Men­schen in Ost­afri­ka gegen­wär­tig erle­ben müs­sen, gab es lan­ge nicht mehr. Fast drei Vier­tel der Flä­che Keni­as sind von den rie­si­gen Heu­schre­cken­schwär­men befal­len und es ist kein Ende in Sicht.

Macht­lo­sig­keit im Ange­sicht der Heu­schre­cken­pla­ge in Afri­ka © Ben Cur­tis /pic­tu­re-alli­ance

Die sprung­haf­te Ver­meh­rung von Heu­schre­cken liegt in ihrem Lebens­zy­klus begrün­det und ist eigent­lich zu erwar­ten – doch Wissenschaftler:innen ver­mu­ten, dass auch an Heu­schre­cken­pla­gen der Mensch nicht ganz unschul­dig ist. Denn die men­schen­ge­mach­te Erd­er­hit­zung begüns­tigt Extrem­wet­ter, die wie­der­um bes­te Vor­aus­set­zun­gen für die Ver­meh­rung der Heu­schre­cken bie­ten. So ver­mu­tet man, dass sich die Heu­schre­cken in Ost­afri­ka nur durch die unge­wöhn­lich star­ken Regen­fäl­le so sehr ver­meh­ren konn­ten. Die Zyklen der Heu­schre­cken mit ihren Mas­sen­ver­meh­run­gen wer­den also extre­mer durch uns Menschen. 

Tier­pla­gen unter Was­ser: Königskrabbe

Ein wei­te­res Bei­spiel einer inva­si­ven Art ist die Königs­krab­be, die vor 60 Jah­ren durch eine rus­si­sche Initia­ti­ve in der Barent­see ange­sie­delt wur­de. Man woll­te in Mos­kau schnel­ler und fri­scher Krab­benfleisch genie­ßen. Das Pro­blem: Die rie­si­ge, hart­ge­pan­zer­te Königskrab­be hat dort kei­ne natür­li­chen Fress­fein­de und konn­te sich daher immer wei­ter aus­brei­ten. Noch dazu wirkt sie als Alles­fres­ser wie ein Staub­sauger auf dem Mee­res­bo­den. Für mari­ne Öko­sys­te­me ist die unge­hemm­te Ver­meh­rung der Rie­sen­krab­ben eine Katastrophe. 

Wie aus einem Gru­sel­film: Die Inva­si­on der Königs­krab­ben © Geo­pho­to Nata­lia Cher­v­ya­ko­va / picture-alliance

Eine Stu­die ver­mu­tet, dass sich Königs­krab­ben durch die Kli­ma­kri­se und die Erhit­zung der Mee­re nun sogar bis in die antarkti­schen Flach­mee­re ver­brei­ten könn­ten. Bis­her leb­ten sie dort haupt­säch­lich im wär­me­ren Tie­fen­was­ser. Doch die ant­ark­ti­schen Flach­mee­re erhit­zen sich immer mehr und so kön­nen die Krab­ben lang­sam auf­stei­gen. Das kann ein Aus­lö­schen der dor­ti­gen Mee­res­be­woh­ner zur Fol­ge haben, denn die­se konn­ten sich bis­her den Krab­ben nicht anpas­sen und sind ihnen somit schutz­los ausgeliefert. 

Auf dem Weg zur Tier­pla­ge: Wasch­bä­ren in Deutschland 

Die nied­li­chen Wasch­bä­ren könn­ten sich in Deutsch­land schon bald zu einer ech­ten Pla­ge ent­wi­ckeln. 1934 wur­den gezielt zwei Wasch­bä­ren zur ver­meint­li­chen Berei­che­rung der Tier­welt am Eder­see aus­ge­setzt. Zudem wur­den vie­le der Tie­re aus Nord­ame­ri­ka zur Pelz­züch­tung nach Deutsch­land gebracht. Ein paar der Wasch­bä­ren ent­ka­men aus den Pelz­far­men– man kann es ihnen nicht ver­den­ken – und ver­mehr­ten sich fidel in der neu­en Hei­mat. Heu­te sind sie für vie­le Men­schen vor allem im Osten Deutsch­lands, in Hes­sen oder Bay­ern schon zur Pla­ge gewor­den. Sie räu­men Vogel­nes­ter aus, durch­wüh­len Müll­ton­nen oder set­zen sich in Dach­stüh­len und Kami­nen von Wohn­häu­sern fest. Dort beschä­di­gen sie Dach­iso­lie­run­gen und sor­gen wegen ihrer nächt­li­chen Lebens­wei­se für schlaf­lo­se Näch­te der Hausbewohner:innen.

Erwischt! Wer kann die­sem schuld­be­wuss­ten Wasch­bä­ren böse sein? © Jil­li­an Cain/iStock /Gettyimages

Wasch­bä­ren sind ech­te Alles­fres­ser und haben kei­ne natür­li­chen Fein­de in Deutsch­land – die per­fek­ten Vor­aus­set­zun­gen für unge­hin­der­te Ver­meh­rung. Artenschützer:innen befürch­ten daher, dass Wasch­bä­ren zu einer Bedro­hung für geschütz­te Arten wie See­re­gen­pfei­fer, Ufer­schnep­fe oder die Euro­päi­sche Sumpf­schild­krö­te, sowie aller Amphi­bi­en wer­den könn­ten.  

Aga-Krö­ten in Australien 

Aus­tra­li­en ist ein Para­dies für inva­si­ve Arten, weil vie­le unse­re häu­fi­gen Arten dort nie vor­ka­men aber güns­ti­ge Lebens­ver­hält­nis­se vor­fin­den. Neue Arten wie Kat­zen oder Kanin­chen wur­den von euro­päi­schen Sied­lern oder See­fah­rern ein­ge­schleppt und konn­ten sich auf­grund feh­len­der Fress­fein­de unge­hemmt aus­brei­ten. Doch vor allem die Aga-Krö­te berei­tet den Australier:innen Kopf­zer­bre­chen.

Die Aga-Krö­te gilt als Para­de­bei­spiel für die Fol­gen unüber­leg­ter Schäd­lings­be­kämp­fung © John Car­ne­mol­la /iStock/Gettyimages Plus

Die gif­ti­ge Rie­sen­krö­te wur­de vor etwa 80 Jah­ren zur Bekämp­fung einer Stock­kä­fer­pla­ge nach Aus­tra­li­en gebracht – und wur­de schließ­lich selbst zur Pla­ge. Mit mög­li­chen Fress­fein­den machen die Krö­ten durch den Gebrauch ihrer Gift­drü­sen kur­zen Pro­zess. So wer­den sie zur exis­ten­ti­el­len Gefahr für eini­ge Schlan­gen- und Leguanar­ten, die aus bestimm­ten Natio­nal­parks bereits ver­schwun­den sind.

Da es somit kei­ne natür­li­chen Fein­de der Aga-Krö­ten gibt, hilft man sich jetzt durch eine recht bru­ta­le Maß­nah­me: Politiker:innen laden regel­mä­ßig zum Krö­ten­sam­meln ein und bie­ten teil­wei­se höchst frag­wür­di­ge Anrei­ze, zum Bei­spiel zehn Cent Beloh­nung pro gesam­mel­ter Krö­te. Die Tie­re wer­den von Frei­wil­li­gen auf­ge­schnappt und in gro­ße Säcke gestopft. Kurz im Tief­kühl­fach ange­fro­ren sind die Krö­ten wehr­los und wer­den mit einem Schlag auf den Kopf “human” getötet. 

Vor allem auf Krö­ten-Weib­chen hat man es beim Krö­ten­sam­meln abge­se­hen. Denn eine weib­li­che Krö­te kann rund 20.000 Eier legen ©Vicki­Pho­to­Girl / iStock/Getty Images Plus

Fazit: Die Geis­ter, die ich rief…  

Wenn man die­se Bei­spie­le der Tier­pla­gen der Neu­zeit so betrach­tet, kommt man nicht umhin, an Goe­thes Zau­ber­lehr­ling zu den­ken: „Herr, die Not ist groß! / Die ich rief, die Geis­ter / werd ich nun nicht los.“ Auch wir Men­schen haben Arten in Gebie­ten ange­sie­delt, in denen sie die Natur nicht vor­ge­se­hen hat­te. Jah­re spä­ter stel­len wir ver­zwei­felt fest, dass wir der von uns geschaf­fe­nen Situa­ti­on nicht mehr gewach­sen sind. Doch anders als der Zau­ber­lehr­ling kön­nen wir nicht auf einen Meis­ter hof­fen, der uns von unse­rer Not befreit. 

Umso wich­ti­ger ist die Prä­ven­ti­on: Wir müs­sen die Öko­sys­te­me um uns her­um in ihrer Viel­falt und ihrer vol­len Funk­ti­on erhal­ten! Dafür müs­sen wir Arten­viel­falt in ihren ursprüng­li­chen Lebens­räu­men erhal­ten, exis­tie­ren­de Lebens­räu­me schüt­zen und mit­ein­an­der ver­bin­den. Und wir müs­sen mit aller Kraft gegen die menschengemach­te Kli­ma­kri­se vor­ge­hen und die Erd­er­hit­zung begren­zen. Schließ­lich sind die durch uns welt­weit ver­än­der­ten Umwelt­be­din­gun­gen oft erst der Grund für vermeint­lich Tier­pla­gen – ob durch Mas­sen­ver­meh­rung oder durch erfolg­rei­che bio­lo­gi­sche Inva­sio­nen.  

Journalistin und Videoredakteurin beim WWF. Ich mag Essbares aus der Natur, Umweltphilosophie und digitale Delikatessen. Außerdem glaube ich noch immer daran, dass wir alle gemeinsam mit nur wenig Mühe viel verbessern können.

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