Fast täglich spüre ich sie. Meine inneren Widersprüche. Und die Widersprüche der anderen. Wir sind paradox: Wir treten für Kritik ein – doch wir wollen selbst davon verschont bleiben. Wir wollen die Energiewende – aber ohne Windräder und Stromleitungen vor der Haustür. Oder beim Konsum: Wir wollen gesunde Lebensmittel, eine umwelt- und tierverträglichere Landwirtschaft – aber dafür nicht mehr ausgeben. 80 Prozent der Verbraucher sind laut Umfragen bereit, mehr Geld für tiergerechtere Produkte auszugeben – doch der aktuelle Anteil dieser Produkte liegt bei nur knapp einem Prozent.
Wenn wir gegen unsere Überzeugungen handeln
Das nennt man „kognitive Dissonanz“ – ein unangenehmer Zustand. Denn er bedeutet, dass wir eine Entscheidung getroffen haben oder etwas gesagt haben, was unseren eigentlichen Überzeugungen widerspricht. Wir finden umweltverträgliche Produkte prima, aber kaufen dennoch das günstigste konventionelle Hähnchen, welches gerade im Angebot ist. Doch unser Geist hat ein ganzes Arsenal, um aus diesem Zustand herauszukommen: Vorurteile („Bio ist ja doch nur Betrug“), Selbstüberredung („Nächstes Mal kauf ich dann was Besseres“), Rationalisierungen („Es ist mir zu teuer, sollen es doch die kaufen, die mehr Geld haben als ich“) und so weiter.
Wenn Widersprüche verschwinden
Die kognitive Dissonanz beinhaltet auch, dass wir dabei versuchen Informationen und anderslautende Meinungen zu verdrängen. Und wenn ich in so einem Muster drin bin, meine Widersprüche sich einen schlanken Fuß machen, dann bin ich wieder „clean“. Und ich kann weitermachen wie bisher.
Auch ich habe diese Widersprüche in mir. Fliegen ist doof, ist mir schon klar. Trotzdem sitze ich manchmal im Flugzeug. Wahrscheinlich passiert das vielen von uns. Ich finde es eine gute Idee, sich damit auseinanderzusetzen um damit Entwicklung zu einem widerspruchsarmen Leben möglich zu machen. Sich und andere nicht zu kasteien und zu verurteilen, sondern sich und die Umwelt behutsam zu behandeln. Immer wieder abgleichen – ist es richtig, was ich tue? Stimmt die Richtung? – und mit anderen darüber ins Gespräch kommen. Und zwar nicht als der Allwissende, sondern als jemand, der auch noch lernt, sich entwickelt und nicht alles richtig macht.
Und dabei die Chance zu ergreifen, an diesen Kämpfen zu innerlich zu wachsen.
Wo seht ihre Eure kognitiven Dissonanzen — und was tut ihr dagegen? Wir sind gespannt!
Ich gehe in mich und fokussiere mein Bewusstsein.
Hallo,
habe grad zum Thema Plastik/Microplastik einen Blog geschrieben und da toben auch diese Widersprüche in mir. Nämlich ob man entlarvte Produkte noch aufbraucht oder sie wegschmeißt. Was belastet die Umwelt weniger. Ist ziemlich verzwickt mitunter. Aber es ist besser sich mit seinen Widersprüchen auseinander zu setzen und am Thema zu bleiben, als sich überhaupt keine Gedanken zu machen und nur aus den vollen zu schöpfen nach dem Motto “sollen doch die anderen die Welt retten”.
Da gehöre ich doch lieber zu denen mit Widersprüchen aber doch kleinen Weltretter-Schritten.
LG
Aurelia
Absolut — sich zu einem widerspruchsarme Leben aufzumachen, wie Markus es schreibt, heisst ja aber nicht dafür gedankenlos zu werden, oder?
Gegenüber Vorgesetzten verhalte ich mich duckmäuserisch, obwohl ich sonst die größtmögliche Freiheit und Autonomie suche; einfach, weil ich mich schlecht gegen Gewalt wehren kann. Freiheit ist nur in Freiheit möglich. Wir Menschen schränken uns aber ständig ein — aus Angst zu kurz zu kommen, aus Machthunger. Welcher Vorgesetzte ist dagegen gefeit?