Kraftvoll, verwunschen, mystisch – Wälder haben auf uns eine magische Anziehungskraft. Die überwiegende Zeit unserer Entwicklungsgeschichte lebten wir Menschen im und vom Wald. Viele nordische, urtümliche Märchen und Mythen aus Borealen Wäldern geben noch heute davon Zeugnis.
Bäume verkörpern Kraft und Fruchtbarkeit, bieten Schutz. Aus ihrem Holz lassen sich Hütten bauen. Und wenn die Äste und Zweige eines Baumes brennen, spendet das Feuer Wärme. In den nordischen Märchen und Mythen spiegelt sich aber auch die Angst der Menschen vor den Wäldern wider. Sie sind finster und undurchdringlich. Dort stößt man auf wilde Tiere, Räuber, Hexen und Wesen aus der Anderwelt, die einem in der Regel nicht freundlich gesinnt sind. Diese Mischung aus Faszination und Gefährlichkeit der nördlichen Wälder wirkt noch heute.
Magische Waldwesen
Fichten, Tannen, Kiefern, Lärchen, selten auch Birken und Espen erstreckten sich früher – und manchmal auch noch heute – über riesige Gebiete der nördlichen Waldgebiete.
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In den Wintern ist es bitterkalt, in den Sommern kann es dagegen sehr heiß werden. Endlos erscheinen dem Wanderer die Nadelwälder. Ein Baum gleicht dem anderen, so dass sich dem Auge kaum Orientierung bietet.
In der nordischen Mythologie ist der Wald ein Ort, den Menschen meiden sollten. Zum Beispiel der Järnskogen oder Eisenwald, ein dunkler Urwald, der Angst und Schrecken verbreitet. Viele furchterregende Wesen sind in diesem Wald aufgewachsen, wie der Wolf Hati und die Riesin Angrboda. Die Riesen aus den Sagen haben in den berühmten skandinavischen Trollmärchen überlebt. Trolle sind üble Wesen, die Menschen schlimme Dinge antun können. Der mächtigste ist ein Waldtroll (skogtroll). Seine Haare bestehen aus Moosen und Flechten, eine Fichte dient ihm als Stock und den Mond nutzt er als Auge. „Man stellte sie sich als dümmliche Riesen vor, manchmal auch als Winzlinge, die sich niemals dem Sonnenlicht aussetzen dürfen, weil sie sonst versteinern“, erklärt Sabine Wienker-Piepho, Lehrbeauftragte am Institut für Kunst- und Kulturwissenschaften der Universität Jena.
Askeladden isst mit einem Troll um die Wette
Daher wird in vielen Märchen ausführlich erzählt, wie es klugen Menschen gelingt, die dummen Riesen zu überlisten. So auch in dem norwegischen Märchen von Askeladden, der mit einem Troll um die Wette aß. In der Kurzversion lautet es folgendermaßen: Ein alter und schon recht schwächlicher Bauer schickte nacheinander seine faulen Söhne in den Wald, um Holz zu schlagen. Als der älteste Sohn gerade seine Axt an eine Tanne legte, trat ihm ein riesiger Troll entgegen. „Wenn du in meinen Wald Holz schlägst, so töte ich dich“, sagte der Troll. Entsetzt floh der Bursche nach Hause. Der zweite Sohn versuchte auch sein Glück, nahm aber ebenfalls schnell vor dem wütenden Troll Reißaus. Der jüngste Sohn dagegen füllte, bevor er in den Wald aufbrach, einen Sack mit Lebensmitteln. Als der Troll ihn bedrohte, nahm er einen Käse aus seinem Sack und presste ihn so fest, dass der Saft herausspritzte. „Wenn du nicht dein Maul hältst, werde ich dich drücken, wie ich das Wasser hier aus diesem Stein drücke“, sagte er zu dem Troll. Der war von dessen Kraft sehr beeindruckt und half Askeladden sogar bei der Arbeit.
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Später lud ihn der Troll zum Essen in seine Höhle ein. Dort band sich der listige Sohn heimlich den Sack um den Bauch, in den er einen Teil des Essens hineinschüttete. Als der Sack voll war, schnitt er sich mit seinem Taschenmesser ein Loch hinein. Nach einer Weile war der Troll satt und wollte nichts mehr essen. Askeladden aber forderte ihn auf, sich ebenfalls ein Loch in den Bauch zu schneiden. Das tue gar nicht weh und er könne dann weiter essen. Der Troll stach sich tatsächlich in den Bauch und fiel bald tot um. Askeladden aber holte sich alles Gold und Silber aus der Trollhöhle und brachte es nach Hause zu seinem Vater.
Archaische Elemente
In den Geschichten aus den nördlichen Wäldern gibt es noch wilde und archaische Elemente, die in den zentraleuropäischen Märchen verlorengegangen sind. In den Märchen der Inuit scheinen animistische Vorstellungen noch auf. Hier sind die Nadelwälder bevölkert von launischen vielköpfigen Wesen, die einst an der Entstehung der Welt beteiligt waren. „Die meisten der geheimnisvollen Waldbewohner sind zoomorph”, erklärt die Volkskundlerin Sabine Wienker-Piepho. “Sie sehen ein bisschen aus wie Wölfe, Moschusochsen oder Bären und können sich auch in andere Wesen verwandeln“. Wesen aus der jenseitigen Welt, die teilweise auf schamanistische Vorstellungen zurückgehen, leben auch in der dünnbesiedelten Taiga.
Baba Jaga, die Erdgöttin
Auch die berühmte Baba Jaga der slawischen Völker erinnert in vielen Teilen an die alte Erdgöttin der Steinzeit. Baba Jaga ist uralt und kann gleichzeitig Gut und Böse sein. Ihr Waldhaus steht auf einem Hühnerbein mit drei Zehen. Wenn sie fliegt, sitzt sie in einem Mörser, den sie mit einem Stößel aus Birkenstamm steuert. Aus der Begegnung mit ihr gehen die Menschen verwandelt hervor, sie haben danach ihre wahre Bestimmung gefunden. Das passiert auch der schönen Wassilissa, die von ihren bösen Stiefschwestern in den Wald geschickt wird, um Feuer zu holen. Bevor sie jedoch das Feuer erhält, trägt ihr die Hexe sehr schwere Arbeit auf, die eigentlich von Menschen kaum zu schaffen ist.
Gottseidank besitzt Wassilissa eine magische Puppe, die für sie putzt, kocht, die Wäsche wäscht und schlechte Körner aus dem Getreide klaubt. Verärgert gibt ihr Baba Jaga schließlich einen leuchtenden Totenschädel, den das Mädchen nach Hause trägt. Dort warten Stiefmutter- und schwestern schon sehnsüchtig auf Licht, denn ihr eigenes Feuer war immer wieder ausgegangen. Die glühenden Augen des Schädels verfolgen sie jedoch, wohin sie auch gehen. Die Strahlen des Schädels sind so stark, dass Mutter und Schwestern zu Asche verbrennen. Am Ende der Geschichte heiratet Wassilissa den jungen Zaren, der von ihrer Anmut und Schönheit begeistert ist.
Der sprechende Baum
Trotz aller Urtümlichkeit enthalten auch nordische Märchen die bekannten typischen Märchenmotive. Wie zum Beispiel Fabelwesen, lange Wanderschaften auf der Suche nach einem Gegenstand oder einer Person, den Gegensatz zwischen Armut und Reichtum oder Helfer, die dem oder der Heldin zur Seite stehen.
Einige dieser Elemente finden sich in dem finnischen Märchen vom sprechenden Baum. Die Geschichte geht so: Es war einmal ein Jäger, der sich im Wald verirrt hatte. Er traf auf einen großen Drachen und bekam fürchterliche Angst. Der Drache beruhigte ihn aber und bat ihn, einen anderen Drachen, der ihn selbst verfolgte, mit seinem Pfeil zu erschießen. Er müsse auf den weißen Fleck auf der Brust schießen. Das tat der Jäger, das Tier fiel tot um und der erste Drache fraß seinen Verfolger auf. Dann sagte der Drache zu dem Mann: „Lass mich dir in den Mund blasen“. Wieder wurde es dem Jäger angst und bange, aber der Drache versprach ihm, dass er durch dadurch sehr klug werden würde. Schließlich ließ sich der Jäger darauf ein und er wurde wirklich schlau. So schlau, dass er mit seinen Brüdern in den Wald zog, um eine goldene Schale zu finden. Zunächst suchten sie vergeblich und die Brüder wurden schon unwirsch. Da sprach ein großer Baum: „Hier unter meinen Wurzeln liegt die goldene Schale“. Sie gruben die Schale aus und als sie den Deckel öffneten, fanden sie viele Goldstücke. Später fällten die Brüder den Baum. Der Baum sprach aber: „Nehmt mich als Türpfosten“. Als sie das taten, vermehrten sich Pferde und Kühe auf ihrem Hof und sie hatten immer genug Brot. Das Märchen erzählt also auch von den unerschöpflichen Ressourcen des Waldes. Und davon, wie sich Menschen darauf verlassen.
Das Märchen erzählt also auch von den unerschöpflich wirkenden Ressourcen des nordischen Waldes. Und davon, wie sich Menschen darauf verlassen. Auch heute noch. Wir nutzen boreale Wälder als Rohstoffquelle, wissen aber auch, welch immensen ökologischen Wert sie besitzen.
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