Ölsand ist ein Problem. „Mit dem Land, das hier verschwindet, verschwindet auch die Lebensweise eines ganzen Volkes.“ Mike Mercredi gehört zu den Athabasca Fort Chipewyan First Nations, einem Indigenen-Volk nördlich der Stadt Fort McMurray in Westkanada, die gerade von verheerenden Waldbränden heimgesucht wurde.
Doch als er mir von der Angst um sein Volk erzählte, wusste er davon noch nichts: In unserem Gespräch ging es um die Ölsand-Produktion, für die große Teile der Wildnis Westkanadas in eine Wüstenlandschaft verwandelt werden und die indirekt mitverantwortlich ist für die Brandkatastrophe, unter der die Region nun leidet.
Feuer: Flucht nach Fort Chipewyan
Mike Mercredi hinterlässt Eindruck, wenn er spricht. Ich sitze ihm gegenüber am Athabasca-See in der kleinen Siedlung Fort Chipewyan und muss vor Rührung einige Male schlucken. Das war 2009. Seit letzter Woche erhalte ich von Mike nur noch Katastrophennachrichten und Evakuierungspläne: Extreme Waldbrände hatten auf die Stadt Fort McMurray übergegriffen, 90.000 Menschen mussten evakuiert werden. Darunter auch viele Indigene, die in einer groß angelegten Rettungsaktion mit Booten in das verschonte Fort Chipewyan geholt wurden.
Inzwischen ziehen die Brände weiter Richtung Osten, in menschenleere Regionen. Mit den schwächer werdenden Feuern wird nun auch langsam die Ölsand-Produktion wieder angefahren in Fort McMurray.
Ölsand: Eine Region wird abgebaggert
Hier, im Athabasca-Becken in der kanadischen Provinz Alberta, lagern die drittgrößten Ölreserven der Welt. Doch man kann sie nicht abpumpen, sie sind im Teersand gebunden. Um an das Öl zu kommen, wird der Sand abgebaggert, Kanadas Urwälder fallen dem großflächig zum Opfer, wertvolle Ökosysteme werden zerstört.
Gefahr durch Giftseen
Durch die unwirkliche, karge Landschaft des Ölsand-Abbaus fahren hunderte Tonnen schwere Laster. Mit einem kleinen PKW darf man sich hier nur angemeldet hineinwagen – mit riesigem Wimpel auf dem Auto, damit man von den Fahrern in ihren haushohen Trucks nicht übersehen wird. Es ist staubig. Und es stinkt. Der Gestank kommt von riesigen, schlierigen Seen. Die Stimmung ist unheimlich: Alle paar Minuten ertönen Schreckschusskanonen, damit kein Vogelschwarm auf dem vermeintlichen Wasser landet.
Die Vögel würden sterben, wenn sie hier landen, die Seen sind giftig. Denn das Öl wird mit ätzender Lauge aus dem Sand gewaschen und die Abwässer dann hier in die Landschaft gepumpt – auf Planen zwar, aber Experten schätzen, dass täglich mehrere Millionen Liter ins Grundwasser und den nahe gelegenen Athabasca-Fluss sickern.
Macht der Fluss krank?
Rund um Fort Chipewyan, wo der Fluss in den Athabasca-See mündet, wirkt die Natur noch unberührt und wunderschön. Doch der Schein trügt, den Menschen hier geht es schlecht. Sie kämpfen mit ungewöhnlich hohen Krebsraten, der Friedhof des kleinen Örtchens ist riesig.
Die Fort Chipewyan First Nations vermuten die Ursache in der Ölsandproduktion. Immerhin ziehen sie seit Jahren Fische mit Mutationen aus dem See: Wie ihre Vorfahren ernähren sich viele Indigene hier noch von der Jagd und vom Fischfang. Die Umweltzerstörung beraubt sie ihrer Lebensgrundlage und so müssen immer mehr von ihnen in der Ölsandproduktion arbeiten gehen – an den Ort, den sie als Grund des Übels sehen.
Ölsand ins Feuer
Ist die Ölsandindustrie auch mitverantwortlich für das Ausmaß der Brände in Alberta? Als ich von der Katastrophe erfuhr, konnte ich es mir zunächst nicht anders vorstellen. Doch einen direkten Zusammenhang gibt es nicht, die Ölfelder wurden weitgehend verschont, die Förderanlagen heruntergefahren. Das Öl scheint die Feuer nicht zusätzlich angefacht zu haben.
Eine indirekte Verbindung lässt sich aber doch ziehen.
Als Folge des Wetterphänomens El Nino war das letzte Jahr extrem mild und trocken in Alberta. Dazu kamen für diese Jahreszeit ungewöhnlich hohe Temperaturen.
Die Ölindustrie in Fort McMurry verursacht um ein Vielfaches mehr CO2 als die konventionelle Ölgewinnung. Ganz abgesehen davon, dass das, was hier gefördert und womit hier jede Menge Geld gemacht wird, Ursache für den Klimawandel ist. Man könnte also sagen, dass der Klimawandel nun in einer Region zuschlägt, deren Ölproduktion maßgeblich dafür verantwortlich ist.
Mehr wissen?
Beitrag von HR2 Kultur über die Brände in Kanada mit unserer Expertin Yougha von Laer über die Ursachen von Waldbränden
Verdunstet da nicht enorm viel Wasser, wenn große Landflächen der natürlichen Vegetation beraubt werden? Stichwort “Erosion”.
Was für eine schmutzige Erde hinterlassen wir unseren Nachkommen