Sehr geehrte Abgeordnete der Fraktion Renew Europe,
Sie haben die Gelegenheit, bei einer als Nischenthema verkannten Abstimmung Europa einen großen Dienst zu erweisen: Mit einem klaren Votum für die Freiheit der Flüsse. „Rios libres – die Liberalen“, so ungefähr. Worum es geht? Es geht darum, ein wichtiges Gesetzesvorhaben der EU nicht zu beerdigen, bei dem es um nichts weniger als die Revitalisierung unserer Kulturlandschaft geht.
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Revitalisierung dringend notwendig
Im EU-Parlament steht am 12. Juli 2023 das EU Nature Restoration Law zur Abstimmung, das Renaturierungsgesetz der EU. Es ist eines der wichtigsten Gesetzesvorhaben im Rahmen des sogenannten Green Deal, den die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen ausgerufen hatte. Das furchtbare Wortungetüm von der „EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur“ halte ich für einen Übersetzungsfehler und der verstellt womöglich den Blick darauf, was zur Abstimmung steht: Sie als Mitglieder des Europäischen Parlaments entscheiden über ein Gesetz, das die dringend notwendige Revitalisierung unserer Kulturlandschaften europaweit voranbringen soll.
Die deutschsprachigen Christdemokrat:innen üben sich dem Vernehmen nach fast straußenhaft in strikter Verweigerung, deshalb kommt es nun auf Sie, die Liberalen an: Lehnen Sie das Renaturierungsgesetz ab, dann wird es keines geben und vom Green Deal bleibt wenig übrig. Stimmen Sie dafür, dann können Europas Flüsse wieder hoffen. Denn um unsere Flüsse steht es nicht gut und um unsere Wasserressourcen auch nicht.
Wasser in der Landschaft halten
Nach den Dürren der letzten Jahre dürften es alle gemerkt haben: Ohne Wasser sitzt die Landschaft auf dem Trockenen. Was wir in Zukunft in erster Linie brauchen, sind keine neuen Staubecken und Fernwasserleitungen, sondern wir brauchen eine Rückbesinnung auf das Wasser als das Lebenselixier, das den Naturhaushalt am Laufen hält: Wir brauchen mehr natürlichen Wasserrückhalt in der Landschaft und wir brauchen lebendige Flüsse.
Wasser ist Leben, so einfach ist es. Unsere ausgedörrten Felder, Wiesen und Auen dürsten danach. Geben wir es ihnen zurück! Was uns die Dürren der letzten Jahre zeigen, ist doch dies: Wir konnten die Landschaft auf schnellstmöglichen Abfluss trimmen, weil es früher weniger Trockenperioden gab. So kann es aber in Zeiten der Klimakrise nicht weitergehen. Es ist ja nicht so, dass es nicht mehr regnen würde in Deutschland. Aber der Niederschlag verteilt sich anders. Wir müssen die Landschaft wieder feuchter halten, wir müssen sie kühlen, wir müssen den Wasserabfluss eher verzögern als beschleunigen. Und wir müssen versuchen, die Auswirkungen von Wetterextremen abzumildern.
Regenerationsfähigkeit und nachhaltige Nutzung
Bei dem anstehenden EU-Gesetz geht es geht also um nicht weniger als um eine Revitalisierung unserer Kulturlandschaft. Das EU Nature Restoration Law ist ein Gesetz, das die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts wiederherstellen will, wie es im Bundesnaturschutzgesetz schon seit Langem heißt. Und dabei geht es nicht um „Wildnis”. Es geht auch nicht um die Aufgabe jeglicher Nutzung. Sondern es geht ganz im Gegenteil gerade um die Regenerationsfähigkeit und nachhaltige Nutzungsfähigkeit der Naturgüter. Um es im Sinne aller Liberalen unter uns zu sagen: Es geht um Freiheitsgrade, die wir uns erhalten.
Die Grenzen der Natur
Dafür müssen wir aber unseren Umgang mit dem Wasser in der Landschaft ändern. Wenn es um die Freiheit zur Nutzung der Natur geht, dann besteht diese nur innerhalb von Grenzen, die die Natur selbst uns setzt. Dies ist ein Kernelement der sozialen Marktwirtschaft. Und global gesprochen sind es die planetaren Grenzen, die wir respektieren müssen. Die Dürren haben es uns gezeigt: Wir haben es übertrieben, wir haben die Landschaft ausgepresst.
Mit dem WWF-Newsletter nichts mehr verpassen!Als Gewässerschutzreferent muss ich hier auch kurz auf die Flüsse eingehen, insbesondere auf den Wert lebendiger, dynamischer und frei fließender Flüsse. Denn die Wiederherstellung eines frei fließenden Charakters europäischer Flüsse auf einer Länge von 25.000 Kilometern ist ein Herzstück des EU Nature Restoration Law. Wiederherstellung heißt hier Rückbau von unnützen Barrieren wie Schwellen oder Wehren, die den Fluss in ökologisch isolierte Abschnitte zerstückeln, weil sie Wanderungen von Fischen und den Sedimenttransport flussabwärts behindern.
Sehr wichtig dabei ist die Unterscheidung zwischen natürlichen Fließgewässern, die unter Verbau leiden und denjenigen, die als künstliche Gewässer oder Gräben für die Entwässerung oder als Vorfluter angelegt wurden. Bei letzteren kann eine angepasste Stauhaltung segensreich wirken. Bei natürlichen Gewässern jedoch gilt: Ein Fluss ist ein Fluss, wenn er fließt – und zwar möglichst ungehindert. Nur dann kann er seine Funktionen im Naturhaushalt gut erfüllen. Nur dann können wir ihn nachhaltig nutzen.
Moor muss nass
Ich komme zum Schluss. „Moor muss nass“, pflegt Till Backhaus, der Umweltminister von Mecklenburg-Vorpommern gerne zu sagen. Er hat Recht! „Wald muss kühl“, möchte ich ergänzen, „Aue muss grün“ und „Bach muss frisch“. So könnte man es zusammenfassen. Aber man könnte es auch mit den Worten des Wirtschaftsnobelpreisträgers Daniel Kahnemann sagen: Es geht um die Aussicht darauf, dass uns in Deutschland nachhaltig nutzbare Landschaften und lebendige Flüsse erhalten bleiben.
Mein Appell an Sie als Liberale im Europäischen Parlament lautet:
Bitte stimmen Sie am 12. Juli 2023 dafür, die Verhandlungen zum EU Nature Restoration Law nicht zu beenden, sondern sie fortzusetzen. Europas Flüsse werden es Ihnen danken!
Kommentare (1)
Man merkt, dass hier Sachkenntnis und Liebe zur Sache sprechen. Und mit enormer Erleichterung fand im Anschluss ich die günstige Entscheidung des EU Parlaments.