Von der Frei­heit der Flüsse

Flüsse müssen fließen: Deshalb brauchen wir das EU Nature Restoration Law © Mikko Nikkinen/WWF Finland

Sehr geehr­te Abge­ord­ne­te der Frak­ti­on Renew Europe,

Sie haben die Gele­gen­heit, bei einer als Nischen­the­ma ver­kann­ten Abstim­mung Euro­pa einen gro­ßen Dienst zu erwei­sen: Mit einem kla­ren Votum für die Frei­heit der Flüs­se. „Rios libres – die Libe­ra­len“, so unge­fähr. Wor­um es geht? Es geht dar­um, ein wich­ti­ges Geset­zes­vor­ha­ben der EU nicht zu beer­di­gen, bei dem es um nichts weni­ger als die Revi­ta­li­sie­rung unse­rer Kul­tur­land­schaft geht.

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Revi­ta­li­sie­rung drin­gend notwendig

Im EU-Par­la­ment steht am 12. Juli 2023 das EU Natu­re Res­to­ra­ti­on Law zur Abstim­mung, das Rena­tu­rie­rungs­ge­setz der EU. Es ist eines der wich­tigs­ten Geset­zes­vor­ha­ben im Rah­men des soge­nann­ten Green Deal, den die EU-Kom­mis­si­on unter Ursu­la von der Ley­en aus­ge­ru­fen hat­te. Das furcht­ba­re Wort­un­ge­tüm von der „EU-Ver­ord­nung zur Wie­der­her­stel­lung der Natur“ hal­te ich für einen Über­set­zungs­feh­ler und der ver­stellt womög­lich den Blick dar­auf, was zur Abstim­mung steht: Sie als Mit­glie­der des Euro­päi­schen Par­la­ments ent­schei­den über ein Gesetz, das die drin­gend not­wen­di­ge Revita­li­sie­rung unse­rer Kul­tur­land­schaf­ten europa­weit vor­an­brin­gen soll.

Anfang 2023 hat­te EU-Kom­mis­si­ons­prä­si­den­tin von der Ley­en den Indus­trie­plan Green Deal vor­ge­stellt © Ima­go/­Le-Pic­to­ri­um­/­Ni­co­las Landemard

Die deutsch­spra­chi­gen Christdemokrat:innen üben sich dem Ver­neh­men nach fast strau­ßen­haft in strik­ter Ver­wei­ge­rung, des­halb kommt es nun auf Sie, die Libe­ra­len an: Lehnen Sie das Rena­tu­rie­rungs­ge­setz ab, dann wird es keines geben und vom Green Deal bleibt wenig übrig. Stim­men Sie dafür, dann kön­nen Euro­pas Flüs­se wie­der hof­fen. Denn um unse­re Flüs­se steht es nicht gut und um unse­re Was­ser­ressourcen auch nicht.

Was­ser in der Land­schaft halten

Nach den Dür­ren der letz­ten Jah­re dürf­ten es alle gemerkt haben: Ohne Was­ser sitzt die Land­schaft auf dem Tro­cke­nen. Was wir in Zukunft in ers­ter Linie brau­chen, sind kei­ne neuen Staub­ecken und Fernwas­serlei­tun­gen, son­dern wir brau­chen eine Rück­be­sin­nung auf das Was­ser als das Lebens­eli­xier, das den Natur­haus­halt am Lau­fen hält: Wir brau­chen mehr natür­li­chen Was­ser­rück­halt in der Land­schaft und wir brau­chen leben­di­ge Flüs­se.

Die Dür­ren der letz­ten Jah­re haben auch hier­zu­lan­de Spu­ren hin­ter­las­sen © Imago/Ulrich Wagner

Wasser ist Leben, so ein­fach ist es. Unse­re aus­ge­dörr­ten Fel­der, Wie­sen und Auen dürs­ten danach. Geben wir es ihnen zurück! Was uns die Dür­ren der letz­ten Jah­re zei­gen, ist doch dies: Wir konn­ten die Land­schaft auf schnellst­mög­li­chen Abfluss trimmen, weil es frü­her weni­ger Tro­cken­pe­ri­oden gab. So kann es aber in Zei­ten der Kli­ma­kri­se nicht wei­ter­ge­hen. Es ist ja nicht so, dass es nicht mehr reg­nen wür­de in Deutsch­land. Aber der Nie­der­schlag ver­teilt sich anders. Wir müs­sen die Land­schaft wie­der feuch­ter hal­ten, wir müs­sen sie küh­len, wir müs­sen den Was­ser­ab­fluss eher ver­zö­gern als beschleu­ni­gen. Und wir müs­sen ver­su­chen, die Aus­wir­kungen von Wet­te­rextre­men abzumil­dern.

Rege­ne­ra­ti­ons­fä­hig­keit und nach­hal­ti­ge Nutzung

Bei dem anste­hen­den EU-Gesetz geht es geht also um nicht weni­ger als um eine Revi­ta­li­sie­rung unserer Kul­tur­land­schaft. Das EU Natu­re Res­to­ra­ti­on Law ist ein Gesetz, das die Leis­tungs- und Funk­ti­ons­fä­hig­keit des Natur­haus­halts wie­der­her­stel­len will, wie es im Bun­des­na­tur­schutz­ge­setz schon seit Lan­gem heißt. Und dabei geht es nicht um Wild­nis. Es geht auch nicht um die Auf­ga­be jeg­li­cher Nut­zung. Sondern es geht ganz im Gegen­teil gera­de um die Rege­ne­ra­ti­ons­fä­hig­keit und nach­hal­ti­ge Nut­zungs­fä­hig­keit der Naturgüter. Um es im Sin­ne aller Libe­ra­len unter uns zu sagen: Es geht um Frei­heits­gra­de, die wir uns erhal­ten.

Die Gren­zen der Natur

Dafür müs­sen wir aber unse­ren Umgang mit dem Was­ser in der Land­schaft ändern. Wenn es um die Frei­heit zur Nut­zung der Natur geht, dann besteht die­se nur inner­halb von Gren­zen, die die Natur selbst uns setzt. Dies ist ein Kern­ele­ment der sozia­len Markt­wirt­schaft. Und glo­bal gespro­chen sind es die pla­ne­ta­ren Gren­zen, die wir respek­tie­ren müs­sen. Die Dür­ren haben es uns gezeigt: Wir haben es über­trie­ben, wir haben die Land­schaft aus­ge­presst.

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Als Gewäs­ser­schutz­re­fe­rent muss ich hier auch kurz auf die Flüs­se ein­ge­hen, ins­be­son­de­re auf den Wert leben­di­ger, dyna­mi­scher und frei flie­ßen­der Flüs­se. Denn die Wie­der­her­stel­lung eines frei flie­ßen­den Cha­rak­ters euro­päi­scher Flüs­se auf einer Län­ge von 25.000 Kilo­me­tern ist ein Herz­stück des EU Natu­re Res­to­ra­ti­on Law. Wie­der­her­stel­lung heißt hier Rück­bau von unnüt­zen Bar­rie­ren wie Schwel­len oder Weh­ren, die den Fluss in öko­lo­gisch iso­lier­te Abschnit­te zer­stü­ckeln, weil sie Wan­de­run­gen von Fischen und den Sedi­ment­trans­port fluss­ab­wärts behindern.

Ein Fluss ist ein Fluss, wenn er fließt – und zwar mög­lichst unge­hin­dert © Ima­go/i­mage­bro­ker/M­ar­tin-Siep­mann

Sehr wich­tig dabei ist die Unter­schei­dung zwi­schen natür­li­chen Fließ­ge­wäs­sern, die unter Ver­bau lei­den und den­je­ni­gen, die als künst­li­che Gewäs­ser oder Grä­ben für die Ent­wäs­se­rung oder als Vor­flu­ter ange­legt wur­den. Bei letz­te­ren kann eine ange­pass­te Stau­hal­tung segens­reich wir­ken. Bei natür­li­chen Gewäs­sern jedoch gilt: Ein Fluss ist ein Fluss, wenn er fließt – und zwar mög­lichst unge­hin­dert. Nur dann kann er sei­ne Funk­tio­nen im Natur­haus­halt gut erfül­len. Nur dann kön­nen wir ihn nach­hal­tig nutzen.

Moor muss nass

Ich kom­me zum Schluss. „Moor muss nass“, pflegt Till Back­haus, der Umwelt­mi­nis­ter von Meck­len­burg-Vor­pom­mern ger­ne zu sagen. Er hat Recht! „Wald muss kühl“, möch­te ich ergän­zen, „Aue muss grün“ und „Bach muss frisch“. So könn­te man es zusam­men­fas­sen. Aber man könn­te es auch mit den Wor­ten des Wirt­schafts­no­bel­preis­trä­gers Dani­el Kah­ne­mann sagen: Es geht um die Aus­sicht dar­auf, dass uns in Deutsch­land nach­hal­tig nutz­ba­re Land­schaf­ten und leben­di­ge Flüs­se erhal­ten bleiben.

Mein Appell an Sie als Libe­ra­le im Euro­päi­schen Par­la­ment lautet: 

Bit­te stim­men Sie am 12. Juli 2023 dafür, die Ver­hand­lun­gen zum EU Natu­re Res­to­ra­ti­on Law nicht zu been­den, son­dern sie fort­zu­set­zen. Euro­pas Flüs­se wer­den es Ihnen danken!

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Kommentare (1)

  • Man merkt, dass hier Sachkenntnis und Liebe zur Sache sprechen. Und mit enormer Erleichterung fand im Anschluss ich die günstige Entscheidung des EU Parlaments.

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