Fast genau in der Mitte zwischen Grönland, Island, Neufundland und den Azoren, im Atlantik in einer Tiefe zwischen 700 und 4.500 Metern, erstreckt sich auf einer Fläche von 324.000 km² ein faszinierendes Seegebirge. Dieser Teil des Mittelatlantischen Rückens wird als Charlie-Gibbs-Bruchzone bezeichnet. Viele bedrohte Arten haben hier ihre Heimat, darunter mindestens 44 Tiefseehaiarten. Und trotzdem kennt kaum jemand dieses Gebiet. Seit 2012 steht es unter internationalem Schutz.
Dieses Charlie-Gibbs-Schutzgebiet hätte es ohne einen besonders engagierten Umweltschützer wohl nicht gegeben. Unser WWF-Kollege Stephan Lutter war maßgeblich daran beteiligt, dieses für Nichtexperten fast unbekannte Gebiet vor der kommerziellen Fischerei und der weiteren Zerstörung zu schützen. Für uns alle unerwartet verstarb Stephan Lutter vor Weihnachten. Er war ein Visionär, ein unermüdlicher Kämpfer für die Ozeane und Meere sowie ein liebenswerter Mensch und Kollege, den wir alle vermissen werden.
Stephan Lutter: Meeresschützer mit Leib und Seele
Stephans Herz gehörte den Meeren. Er war dem Umweltschutz mit Leib und Seele verschrieben. Seine Arbeit war ihm vielmehr Berufung als Beruf. Seine Expertise war international geschätzt und manchmal auch gefürchtet. Denn er stritt mitunter nächtelang in Gremien und Arbeitsgruppen, bis er sich mit dem erzielten Ergebnis zufrieden gab. Dabei trat er immer als Anwalt für die Meere auf.
Der Bayer und das Meer: Es muss wohl Liebe auf den ersten Blick gewesen sein. So pathetisch das klingen mag, entspricht es wohl doch der Wahrheit. Als Bundesvorsitzender des Deutschen Jugendbundes für Naturbeobachtungen besuchte Stephan zu Beginn der 70er-Jahre die Hallig Hooge im Wattenmeer.
Die “Schutten” mit den schwärzesten Fußsohlen
Nach seinem Abitur kehrte er als Zivildienstleistender zur Wattenmeer-Schutzstation zurück, wo bis heute eine ganz spezielle Tradition aufrecht erhalten wird. Wer es ernst meint, verzichtet auf Schuhe. “Die Schutten” mit den schwärzesten Fußsohlen gelten untereinander als besonders hart im Nehmen. Eine Angewohnheit, die Stephan sich zu eigen machte. Es konnte immer wieder passieren, Stephan im späteren Leben ohne Schuhe anzutreffen.
Im Januar 1976 erlebte er die legendäre Nordseesturmflut und war von der zerstörerischen Kraft der Gezeiten fasziniert. Später, als er schon in Kiel Meeresbiologie studierte, absolvierte er als DAAD-Stipendiat mehrere Auslandssemester in Tromsø. Dort lernte er auch Norwegisch, was sich später noch als ein großer Vorteil erweisen sollte.
Vom BUND zum WWF Deutschland
Seine erste Anstellung hatte Stephan beim BUND in Neumünster, wo er sich mit der Biokartierung von Gewässern beschäftigte. Zwei Jahre später, 1988, stieß er zum WWF Deutschland.
31 Jahre später blicken wir nun auf seine Leistungen zurück: Stephan war einer der ersten international arbeitenden Meeresschützer. Er hat den internationalen Prozess für die Einrichtung eines regionalen Schutzabkommens für den Nordostatlantik, die Oslo-Paris ‑Konvention (OSPAR) entscheidend mitbegleitet, das Verklappungsverbot giftiger Stoffe auf offener See erwirkt, das WWF-Arbeitsprogramm zum Verbot giftiger Stoffe aus der Taufe gehoben, die Doppelhüllen-Pflicht bei Tankern miterkämpft, die Ausweisung von Meeresschutzgebieten (MPA) auf den Weg gebracht, für den Schutz der Wale gestritten, in unzähligen Ausschüssen gesessen, Arbeitsgruppen geleitet, sogar eine Ausstellung kuratiert und noch vieles, vieles mehr.
Ein wandelndes Lexikon
Stephan galt als wandelndes Lexikon. Er war ein exzellenter Kommunikator, der aufgrund seines großen Fachwissens und der Fähigkeit auch das Komplizierteste einfach und anschaulich zu erklären, gerne von der Presse interviewt wurde.
In Erinnerung bleibt uns, wie er es sich niemals hat nehmen lassen, seine Liebe zum Meer und zum Wasser im Allgemeinen auszuleben. Auf den mitunter sehr ermüdenden Konferenzen, Tagungen und Sitzungen hat er immer eine Möglichkeit gefunden, morgens noch einmal in der Nordsee, dem Atlantik, der Ostsee oder welchem Gewässer auch immer, dass gerade in der Nähe war, zu baden, zu schwimmen oder zu paddeln.
Stephans #Meeresrätsel: Wodurch unterscheidet sich das Fortpflanzungsverhalten der #Kegelrobbe von dem des #Seehunds? Foto von #Helgoland pic.twitter.com/8Xsv7JTAk7
— Stephan Lutter (@Ocean_Whisperer) October 26, 2019
Trauer um Stephan Lutter
Darüber hinaus war Stephan auch ein leidenschaftlicher Gärtner, in dessen Obhut auch die fremdesten Gemüsesorten gediehen. Er bleibt in Erinnerung als ein toller Koch, der es liebte Gäste zu bewirten.
Wir trauern um Stephan und werden uns immer an ihn als großen Meeresschützer erinnern.
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