Stein­bock – Beein­dru­cken­der König der Berge

Steinbock: Faszinierender Kletterkünstler © IMAGO / blickwinkel

Er setzt mit unglaub­li­cher, gera­de­zu unver­ständ­li­cher Sicher­heit die Wän­de hin­auf. Beim Sprin­gen scheint er den Kör­per wie einen Ball in die Höhe zu schnel­len und die Fel­sen kaum zu berüh­ren. Spie­lend schwingt er sich von einer Klip­pe zur ande­ren und ohne Besin­nen setzt er her­ab in unbe­stimm­te Tiefe.“

Wer ein­mal bei einer Berg­wan­de­rung in den Alpen die gra­zi­len Klet­ter­küns­te des Stein­bocks beob­ach­ten durf­te, kann die Begeis­te­rung von Tier­va­ter Brehm nach­emp­fin­den. Dabei ist es alles ande­re als selbst­ver­ständ­lich und nur einer heim­lich-ille­ga­len Akti­on von Tier­freun­den zu ver­dan­ken, dass es hier wie­der Stein­bö­cke gibt.

Urtier unse­rer Alpen

Alpen­stein­bö­cke leben in hohen Lagen auf bis zu 3500 Meter zwi­schen der Baum- und der Eis­gren­ze. Die Männ­chen – oder Böcke – tra­gen einen lan­gen Zie­gen­bart unter dem Kinn und kön­nen über hun­dert Kilo­gramm schwer und einen knap­pen Meter groß wer­den. Die Weib­chen, Stein­gei­ßen genannt, blei­ben halb so schwer. Im Som­mer sind die Böcke dun­kel­braun, die Gei­ßen hel­ler röt­lich bis gol­den. Das dich­te, war­me Win­ter­fell bei­der Geschlech­ter ten­diert nach Grau.

Stein­bock-Weib­chen in den Alpen © IMAGO / blickwinkel

Schon seit der Stein­zeit waren Stein­bö­cke Jahr­tau­sen­de lang wich­ti­ges Jagd­wild der Men­schen in Berg­re­gio­nen, wie man durch Höh­len­ma­le­rei­en weiß. Vor eini­gen Jah­ren wur­den im Ötz­tal in Tirol Über­res­te eines 3500 Jah­re alten Tie­res aus der Bron­ze­zeit gefun­den. Sie zei­gen: Die Stein­bö­cke waren damals grö­ßer als heute.

War­um der Stein­bock so gut klet­tern kann

Stein­bö­cke klet­tern in stei­lem und fel­si­gem Gelän­de, das für ande­re Lebe­we­sen ver­gleich­ba­rer Grö­ße nahe­zu unzu­gäng­lich ist. Sie erklim­men sogar regel­mä­ßig eine fast senk­rech­te Stau­mau­er in den ita­lie­ni­schen Alpen. Ihre Hufe sind per­fekt an ein Leben in Fels und Gestein ange­passt. Die Zehen sind beweg­lich, ihre har­ten Horn­kan­ten haken sich in den Stein, die wei­chen Bal­len dar­in pas­sen sich jeder Uneben­heit an. Etwas län­ge­re Hin­ter- als Vor­der­bei­ne erleich­tern das Klet­tern zusätzlich.

Von der Stau­mau­er lecken die Wild­zie­gen übri­gens Mine­ral­sal­ze ab, die den Vege­ta­ri­ern sonst feh­len: Alpen­stein­bö­cke ernäh­ren sich von Kräutern, Gräsern, Knos­pen, Trie­ben, Flech­ten und Moosen.

Stein­bö­cke an ita­lie­ni­scher Stau­mau­er © Mrkit / iStock Get­ty Images

Schwe­re Hornpracht

Das statt­li­che Gehörn der Böcke kann bis zu einem Meter lang und vier Kilo schwer wer­den. Gei­ßen besit­zen hin­ge­gen nur kur­ze, glat­te gebo­ge­ne Hörner.

Die nach hin­ten geschwun­ge­nen, dicken, auf­fäl­li­gen Hör­ner der Männ­chen mit häu­fig aus­ge­präg­ten wuls­ti­gen Rin­gen die­nen vor allem Kämp­fen um die Rang­ord­nung. Laut kra­chend schla­gen die Böcke sie dut­zen­de Male gegen­ein­an­der. Die Kämp­fe fol­gen dabei inter­es­san­ter­wei­se stren­gen Ritua­len und sind dadurch nur sel­ten lebensgefährlich!

Fol­ge uns in Social Media

Ritua­li­sier­te Kämp­fe @ pho­tot­rip / iStock / Getty-Images

Begehrt wie Elfenbein

Zer­mah­le­ne Hör­ner, Hufe oder Stein­bock-Blut: Lan­ge schrieb die Volks­me­di­zin allen ver­wert­ba­ren Tei­len der Berg­zie­ge wun­der­sa­me Heil­kräf­te zu. Auch den Bezoar-Stei­nen aus dem Magen der Tie­re: Klum­pen aus Haa­ren, Har­zen und ande­rem Unver­dau­li­chem, die Har­ry-Pot­ter-Fans ken­nen wer­den und denen unglaub­li­che Heil­wir­kung nach­ge­sagt wur­de. Fleisch, Fell und Tro­phä­en waren eben­falls beliebt.

Obwohl er in den karg bewach­se­nen, stei­ni­gen Höhen über den Sied­lun­gen lebt, war der Stein­bock des­halb nicht sicher vor den Nach­stel­lun­gen des Men­schen. Bis zur Ein­füh­rung der Feu­er­waf­fen war es noch recht müh­se­lig, die flin­ken Tie­re im unweg­sa­men Gelän­de mit lan­gen Spee­ren oder Arm­brüs­ten zu erle­gen. Doch das änder­te sich rasch im 15. Jahr­hun­dert, als die „Hand­püxn“ auf­ka­men. Zu Beginn des 19. Jahr­hun­derts war der Stein­bock fast aus­ge­rot­tet. Sei­ne Ret­tung ist einer der größ­ten Erfol­ge frü­her Natur­schutz­be­mü­hun­gen!

Nacht- und Nebel­ak­ti­on zur Ret­tung der Steinböcke

Nur eini­ge Dut­zend Exem­pla­re über­leb­ten damals im ita­lie­ni­schen „Gran Paradi­so“- Mas­siv zwi­schen Pie­mont und dem Aos­ta­tal, dem Jagd­ge­biet von König Vic­tor Ema­nu­el II. von Ita­li­en. Er stell­te eigens etli­che Wild­hü­ter ein. Wil­de­rern droh­ten dra­ko­ni­sche Stra­fen. Lang­sam erhol­ten sich die Bestände.

Doch als die Schweiz und ande­re Län­der sich besan­nen, Stein­bö­cke zu schüt­zen und wie­der hei­misch zu machen, ver­wei­ger­te die ita­lie­ni­sche Kro­ne vie­le Jah­re, ihnen eini­ge der letz­ten „Stein­tie­re“ zu Zucht­zwe­cken zu überlassen.

1906 kauf­te die Schweiz des­halb drei Kit­ze von einem Wil­de­rer, der die­se im „Grand Paradi­so“ gestoh­len hat­te – zu einem Stück­preis, der heu­te etwa dem Wert eines Mit­tel­klas­se­wa­gens ent­spricht. Eini­ge wei­te­re gestoh­le­ne Tie­re folg­ten und bald wur­den auch Exem­pla­re offi­zi­ell gekauft. Von die­sen weni­gen Tie­ren stam­men sämt­li­che Stein­bock­her­den ab, die heu­te in den Alpen leben.

Erwach­se­ne Steinböcke haben kei­ne natürlichen Fein­de. Jung­tie­re ste­hen auf dem Spei­se­plan von Stein­ad­lern und Füchsen. © Rudolf-Ernst-iStock-Getty-Images

Mit dem WWF-News­let­ter nichts mehr verpassen!

Wo leben Stein­bö­cke heute?

Durch kon­se­quen­ten Schutz und erfolg­rei­che Wie­der­an­sied­lungs­pro­gram­me bewoh­nen heu­te wie­der rund 40.000 der edlen Wild­zie­gen die Hoch­la­gen der Alpen von Frank­reich bis nach Slo­we­ni­en. Bei uns in Deutsch­land zum Bei­spiel in den All­gäu­er und Berch­tes­ga­de­ner Alpen und an der Benediktinerwand.

Was machen Stein­bö­cke im Winter?

Auf der Suche nach geeig­ne­ten Win­ter­ge­bie­ten wan­dern die Alpen­stein­bö­cke bis zu 50 Kilo­me­ter ent­lang von Gra­ten zu son­nen­be­schie­ne­nen Süd­hän­gen oder in tie­fe­re Lagen. Denn so gut sie ans Gebir­ge ange­passt sind, haben sie wegen ihrer Größe und der gerin­gen Huffläche im hohen Schnee oft Pro­ble­me. Win­ter­schlaf machen sie kei­nen, fres­sen sich aber vor­her aus­rei­chend Win­ter­speck an.

Gäm­sen sehen anders aus © IMAGO / blickwinkel

Sind Stein­bö­cke und Gäm­sen das Gleiche?

Nein. Die Gäm­se oder Gams ist eine ande­re Wild­zie­gen­art. Sie ist klei­ner als der Stein­bock. Auch die Männ­chen haben nur kur­ze, dün­ne Hör­ner und tra­gen kei­nen Bart. Auf­fäl­li­ger Unter­schied ist außer­dem die schwarz-wei­ße Kopf­zeich­nung der Gäm­sen. Ihre Rang­ord­nungs­kämp­fe sind im Gegen­satz zu denen der Stein­bö­cke tat­säch­lich lebens­ge­fähr­lich. Und ihr Lebens­raum ist fast nur auf Euro­pa beschränkt, wäh­rend es Stein­bö­cke sogar in Afri­ka gibt.

Von Äthio­pi­en bis Russ­land: Die ande­ren Steinbock-Arten

Kau­ka­si­scher, Syri­scher und Sibi­ri­scher Stein­bock © IMAGO-Agefotostock-Panthermedia

Den­ken wir an Stein­bö­cke, haben wir meist den Alpen­stein­bock im Kopf. Aber es gibt von Afri­ka über Vor­der­asi­en bis nach Sibi­ri­en noch sechs wei­te­re Arten. Sie alle leben klet­ternd in Hoch­ge­bir­gen und die Böcke tra­gen die typi­schen Hörner.

Die Arten aus den wär­me­ren Gefil­den, der Äthio­pi­sche, Syri­sche und Ibe­ri­sche Stein­bock sind klei­ner, leich­ter und in ver­schie­de­nen Abstu­fun­gen hel­ler als der Alpen­stein­bock. Ost- und West­kau­ka­si­sche Stein­bö­cke leben unge­wöhn­li­cher­wei­se auch in Wald­ge­bie­ten. Sibi­ri­sche Stein­bö­cke leben von Süd­russ­land und der Mon­go­lei über Chi­na bis nach Indi­en und Afgha­ni­stan – teil­wei­se sogar in Höhen von über 6700 Metern! Sie sind im Gegen­satz zu den ande­ren Arten häu­fig und die ein­zi­gen nicht bedroh­ten Steinböcke.

Fol­ge uns in Social Media:
Schon als kleiner Junge in Nürnberg begeisterte ich mich für die Wunderwelt von Tieren und Pflanzen und wollte Biologe werden. Seit meiner Jugend arbeite ich ehrenamtlich in verschiedenen Naturschutzorganisationen. Nach dem Biologiestudium forschte ich einige Zeit zur Entwicklung von Naturwaldreservaten, arbeitete als freier Journalist zu Naturschutz- und Umweltthemen und leitete 13 Jahre lang die Bundesgeschäftsstelle der Deutschen Umwelthilfe in Berlin. Beim WWF setze ich mich seit 2014 dafür ein, die Naturschätze in Deutschland zu erhalten und den Verlust der Biodiversität zu stoppen.
Auch interessant
[Sassy_Social_Share]