Stell dir vor, du bist ein Tiefseehai und schwimmst mitten im Nordostatlantik in 2000 Metern Tiefe herum, irgendwo zwischen Island und den Azoren. Plötzlich tut sich vor dir eine unüberwindliche Gebirgswand auf. Wie die Alpen, nur dunkler. So sieht es am mittelatlantischen Rücken tatsächlich aus. Hier kannst du virtuell abtauchen und die Wunder und Monster der Tiefsee bestaunen.
Die „Charlie-Gibbs Marine Protected Area“ ist mit rund 324.000 Quadratkilometern das größte Schutzgebiet auf Hoher See. Es umfasst einen bis zu 4.500 Meter tiefen Canyon, der die unterseeische Bergkette des Mittelatlantischen Rückens durchschneidet. Seeberge, Korallengärten und Schwammbänke bieten bedrohten Tiefseefischen einen vielfältigen Lebensraum.

Hohe See: Erbe der Menschheit
Der größte Teil des Mittelatlantischen Rückens liegt in internationalen Gewässern. Diese “Hohe See” wurde von den Vereinten Nationen im Seerechtsübereinkommen zum gemeinsamen Erbe der Menschheit erklärt.
Das heißt leider auch: Alle dürfen ihre Ressourcen nutzen. Es gibt da draußen zwar bestimmte Regeln für Fischerei, Schifffahrt und die Erkundung von Bodenschätzen, aber bisher keine Institution, die sich weltweit um den Schutz der Natur auf der Hohen See kümmert. Keine? Das OSPAR-Abkommen zum Schutz des Nordostatlantik stellt da eine Ausnahme dar.
Schon im Jahr 2003 verpflichteten sich die 15 Anrainerstaaten, in dieser Region ein Netzwerk von Meeresschutzgebieten einzurichten. Heute umfasst es bereits 5,8 Prozent der Meeresfläche, doch mindestens 10 Prozent sind das Ziel.
Wir vom WWF gaben den Anstoß
Als Nichtregierungsorganisation hat der WWF bei OSPAR Beobachterstatus. Das bedeutet nicht stilles Mäuschen spielen, sondern aktiv mitreden, mündlich und schriftlich Vorschläge machen. Nur das Beschließen bleibt den Vertrags-Staaten und Regierungsdelegationen vorbehalten.
Bis wir unsere Meinung durchgesetzt haben, ist es oft ein langer Weg, aber er lohnt sich! Vor zehn Jahren stellte ich im Gremium die Frage: “Hatten eure Umweltminister nicht mal beschlossen, auch Schutzgebiete auf der Hohen See einzurichten?” Ja schon, kam es von den Regierungsmenschen zurück, man habe aber gerade noch so viel in den eigenen Meeresgewässern zu tun. Der WWF könne ja mal einen Vorschlag machen. Das ließen wir uns nicht zwei mal sagen. Wir sammelten Daten und Forschungsergebnisse und reichten bereits 2006 unseren Fachvorschlag für die Ausweisung eines riesigen Abschnitts dieser “Alpen der Tiefsee” ein. Das deutsche Bundesamt für Naturschutz tat es uns für fünf weitere Gebiete gleich. Der Internationale Rat für Meeresforschung begutachtete unseren Vorschlag und hatte nicht viel zu meckern. Ende gut — alles gut?

Vier Jahre Wühlarbeit bis zum Durchbruch
Weit gefehlt! Denn nun fing die eigentliche politische Wühlarbeit erst an, das heißt in Kurzform: Nächtelange Diskussionen in Arbeitsgruppen und Gremien. Mehrere Nationen unterstützten unseren Vorschlag formal, andere sahen die Nutzungsrechte auf dem von ihnen als erweiterten Festlandssockel beanspruchten Meeresboden gefährdet.
Um es kurz zu machen: Im Herbst 2010 beschlossen die Umweltminister der OSPAR-Staaten im norwegischen Bergen die Ausweisung von sechs Hohe-See-Schutzgebieten und der WWF verlieh dafür seine höchste Auszeichnung. 2012 gab schließlich Island seinen Widerstand auf, so dass auch das nördlichste der sieben Gebiete unter Schutz gestellt werden konnte.
Schutzgebiete größer als Deutschland
Seit 2012 stehen nun Teile des mittelatlantischen Rückens und benachbarte Seeberge unter Schutz. Die Fläche von 482.000 Quadratkilometern ist größer als Deutschland und verteilt sich auf sieben Schutzgebiete. Im größten liegt auch der so genannte Charlie-Gibbs-Graben, ein tiefer Canyon, durch den du als Tiefseehai von einer Seite des Gebirges zur anderen schwimmen könntest. In den Schutzgebieten ist der Einsatz von zerstörerischen Bodenschleppnetzen weitgehend verboten.
Da bleibt mir eigentlich nur, euch für die Unterstützung der WWF-Meeresschützer zu danken!
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