Es war mir bereits vergönnt, lebende Pottwale auf Walsafari in Nordnorwegen und bei den Azoren zu beobachten.
Pottwale: Weltmeister im Tieftauchen
Nördlich des Polarkreises, vor der Inselgruppe der Lofoten und Vesterålen halten sich gerne junge männliche Pottwale auf. Sie sind Weltmeister im Tieftauchen. Sie können dort vor dem steil abfallenden Kontinentalhang nach Herzenslust ihre Lieblingsspeise, Kraken und Kalmare, in der Tiefsee jagen. Ihre Wanderroute führt sie immer wieder zurück in wärmere Gefilde, zum Beispiel bei den Azoren. Dort treffen sie auf weibliche Tiere. Dieser Weg führt normalerweise an der Außenseite der britischen Inseln vorbei. Warum nur ist diesmal eine große Gruppe Jungbullen falsch abgebogen? In die flache Nordsee, die ihnen zum Verhängnis wurde, weil die Wassertiefe dort für ihre akustische Orientierung zu gering ist. Und auch die typische Nahrung fehlt.
Folge uns in Social Media
Pottwale sind schon immer gestrandet
Strandungen von Pottwalen haben in der Nordsee schon eine lange Geschichte. Zuletzt strandeten 20 verirrte Tiere im Winter 1997/98. Doch historische Aufzeichnungen weisen bis ins 16. Jahrhundert zurück. Die bekannten oder möglichen Ursachen sind vielfältig. Aber zunächst muss zwischen Strandungen lebender oder gerade verendender Tiere und so genannten Totfunden unterschieden werden. Erstere haben die Orientierung verloren oder sind geschwächt. Letztere sind bereits im Meer zu Tode gekommen und werden dann angetrieben. Das wird zu oft in einen Topf geworfen.
Hier also zunächst zu den Totstrandfunden:
Jährlich werden zum Beispiel mehr als 100 tote Schweinswale an unseren Küsten geborgen. Sie ertrinken häufig in Stellnetzen (Kiemenverwickelnetzen) auf See, so genannter Beifang also, und werden erst nachträglich tot angespült. Ein anderes Beispiel: Im Jahr 2015 erlebte die Pazifikküste Amerikas ein gigantisches Walsterben, von Chile bis Alaska: Hunderte Tiere verschiedener Arten von Bartenwalen waren verendet angetrieben, wahrscheinlich als Folge giftiger Algenblüten, deren Toxine über das Plankton und die Nahrungskette aufgenommen wurden. Und “last but not least”: Unterwasserlärm, vor allem harter Impulsschall aus Schallkanonen. Seismischen Untersuchungen, militärischen Übungen oder Rammarbeiten werden ebenfalls für den Tod von extrem schallempfindlichen Zahnwalen verantwortlich gemacht. Totfunde von Cuvier-Schnabelwalen an den Stränden des Mittelmeers werden darauf zurück geführt.
Warum stranden lebende Wale? Die Theorien
Womit wir bei der hier entscheidenden Frage wären: Hat der Umgang von uns Menschen mit der Meeresumwelt, haben Offshore-Industrie, Militär und Meeresverschmutzung damit zu tun, wenn Wale von ihrer Route abkommen, an flachen Stränden auflaufen und austrocknen oder unter ihrem eigenen Gewicht ersticken? Hinweise gibt es genug. Wobei wir zuallererst wieder beim höllischen Unterwasserlärm wären, der lauter als eine Heavy Metal Band sein kann. Nach einer militärischen Übung vor Kreta verirrten sich Schnabelwale an die Küsten. Sonar von Kriegsschiffen kann sogar Blauwale bei der Nahrungssuche stören und schwächen. Und: Die Gehirne einer Gruppe in Schottland unlängst lebend gestrandeter Grindwale waren derart mit Schwermetallen, vor allem Quecksilber verseucht, dass bei uns Menschen jeder Neurologe sofort Alarm schlagen würde.
Und die 29 toten Pottwale? Natürliche Ursachen wahrscheinlich
Jaaaa doch! Natürlich wollte ich für euch darauf zurück kommen: Britische und deutsche Fachleute, die die Kadaver untersuchten, halten es für wenig wahrscheinlich, dass ein menschgemachter Störfaktor die Wale in die Irre führte. Auch waren die jungen Pottwalbullen bei bester Gesundheit und gut genährt. Die Unmengen von Tintenfischschnäbeln in ihrem Verdauungstrakt haben es bewiesen. Ein Tier hatte Fischernetze verschluckt, was aber nicht als Todesursache gewertet wurde.
Wahrscheinlich folgten die Pottwale den Tintenfischschwärmen viel weiter nach Süden als üblich, bis in die norwegische Rinne, wo auch die nördliche Nordsee noch mehrere hundert Meter tief ist. Das Wettergeschehen dürfte dazu beigetragen haben. Ob Zeichen des Klimawandels oder eine Singularität, bleibt dahin gestellt. Ebenso spekulativ ist die These, dass natürliche Abweichungen im Erdmagnetfeld eine Rolle spielten (die zur fraglichen Zeit tatsächlich durch einen Sonnensturm verursacht wurden).
Ja — die Natur kann manchmal grausam sein. Wildnis ist kein Kuschelrock. Auch Irrtümer mit Todesfolge gehören dazu. Umso mehr kommt es darauf an, dass wir uns dafür einsetzen, den sanften Riesen der Meere und ihren kleineren Verwandten alle zusätzlichen Gefahren zu ersparen, bei denen wir es selbst in der Hand haben.
Hier kannst Du mehr erfahren — und etwas für die Pottwale tun:
- Meine anderen Artikel zum Meeresschutz findest Du hier
- Über den Fall der Pottwale hatte mein Kollege Tim hier schon geschrieben
- Du willst etwas für die Wale tun?
Sehr guter Blog.…Stephan
realistische Einschätzung der Lage — Top !
Super Beitrag, danke! Jetzt habe ich mal alle Fakten lesenswert zusammengestellt an einem Ort. Ich liebe Wale und würde sie auch so gern in freier Wildbahn beobachten können. Gestolpert bin ich aber über das Erdmagnetfeld. Ich wusste gar nicht, dass es auf natürliche Weise derart stark gestört werden kann. Nutzen auch andere Arten das Erdmagnetfeld als Orientierung? Oder nur Wale?
Hallo Paula!
Sonnenstürme erzeugen nicht nur Polarlichter, sondern deformieren die Linien desErdmagnetfelds oft ganz erheblich. Von Pottwalen weiß man zumindest, dass sie magnetisch sensible Partikel im Schädelbereich haben. Andere Arten? Da habe ich leider keinen Überblick. Evt. auch Zugvögel und wandernde Meeresschildkröten.
Grüße von Stephan
Auch ich schon zweimal Gelegenheit, Pottwale zu beobachten, ausgehend vom Walforschungszentrum Andenes (Vesteralen). Ein unvergessliches Erlebnis!
Meinen herzlichen dank für diesen interessanten Beitrag zu dem Thema der gestrandeten Pottwale Da ich selbst aus Norddeutschland komme ist mir das Thema sehr wichtig. Mich würde allerdings noch die Frage neugierig machen, wie gefährlich die Windkraftanlagen im Vergleich zu anderen Gefahrenquellen sind, für Wale wie für andere Meeresbewohner???
LG Marie‑L. Harmsen
Hallo Marie,
da ich Urlaub hatte, kommt meine Antwort etwas spät: Vor allem für Zahnwale (Schweinswal, Delfine, Pottwal), die sich quasi via Echolot orientieren, ist der Impulsschall gefährlich, der von der Rammung der Anlagen in den Meeresboden ausgeht. Dafür gibt es Schutzmaßnahmen und Alternativen. Unsere Position dazu sowie die gemeinsame der deutschen Umweltverbände zum Schallschutzkonzept der Bundesregierung findest du hier: http://www.wwf.de/themen-projekte/meere-kuesten/meeresschutz/windenergie-naturvertraeglich-ausbauen/
Als Ursache für die Fehlleitung der Pottwale in diesem Jahr halte ich solche Schallquellen aber für sehr unwahrscheinlich, da sie im fraglichen Bereich der nördlichen Nordsee zur Zeit keine Rolle spielen. Für unsere heimischen Schweinswale sind sie dagegen ein Dauerproblem.
Gruß von Stephan