Ich stalke leidenschaftlich Unterwasserbewohner. Und ich habe eine Liste mit Tieren, denen ich unbedingt einmal im Wasser begegnen möchte. Darauf stehen Arten, die teilweise relativ häufig zu finden sind (einen großen Heringsschwarm zum Beispiel). Aber auch viele, die vielleicht bald ausgestorben sind, wie z.B. die Mittelmeer-Mönchsrobbe.
Dugongs, die schwimmenden Elefanten

Ganz weit oben stand bei mir bislang das Dugong, eine Seekuh-Art (davon gibt es zwei, die Dritte wurde 1768 ausgerottet). Dugongs sind Verwandte der Elefanten, die in die Meere und Flüsse umgezogen sind. Dort weiden sie mit ihren Staubsaugerrüsseln auf Seegraswiesen. Es sind große, friedliche Geschöpfe, die bis zu 70 Jahre alt werden. Zum Atmen müssen sie alle sechs Minuten an die Oberfläche. So sind sie leicht zu entdecken, aber auch leicht zu harpunieren.
Leider geht es den Dugongs sehr schlecht: Sie ertrinken schnell, wenn sie sich in einem Fischernetz verfangen. Oder sie werden von Booten überfahren, wenn sie zum Atmen auftauchen. Heutzutage gibt es nur noch sehr wenige Dugongs (die meisten davon in Australien). Die Lebensräume sind stark von Überdüngung und Klimaveränderung bedroht.
Einmal echte Dugongs sehen, das war schon lange mein Traum. Als ich genug Geld zusammen hatte, bin ich in zwei bekannte verbliebene Rückzugsgebiete gereist: In das Bazaruto Archipel in Mozambique und drei Jahre später in das Libong Archipel in Thailand. Jedoch ohne Erfolg — kein einziges Dugong habe ich entdeckt. Biologen vor Ort erzählten mir, die Tiere wären selbst in den Schutzgebieten nahezu verschwunden. Für einen Flug nach Australien hatte ich nicht genug Geld, aber ich wusste, es gibt die Tiere noch im südlichen Ägypten. Es gibt hunderte Fotos von ägyptischen Dugongs und häufig sieht man sie auf den Covern der Tauch- und Reisemagazine. Es konnte also nicht zu schwer sein, dort endlich welche zu sehen.
Alle rufen: „Dugong Dugong!“
War es dann auch nicht: Jedes Hotel und jede Tauchbasis bot Seekuh-Exkursionen an. Ich habe 50 Euro gezahlt und wurde zu einer Bucht mit großem Hotel, Tauch-Shops, Restaurants und vielen, vielen belegten Strandliegen gefahren. Dutzende Naturfreunde tauchten oder schnorchelten bereits auf der Suche nach einer Seekuh. Immer, wenn eine gefunden wurde, hörte man Unterwasser das aufgeregte Rasseln und Klopfen der Taucher. Vom Strand aus riefen die Guides „Dugong Dugong!“ über die ganze Bucht, wenn sie eins sehen konnten. Sofort kam Bewegung in die Touristenmassen und alle (einschließlich mir) stürzten sich auf den Dugong. Die Schlauchboote der Safari-Schiffe rasten heran und warfen zusätzliche Schnorchler über Bord — genauso wie die drei wichtigen Verhaltensregeln im Umgang mit Dugongs: “Nicht anfassen, 15m Abstand halten, Platz beim Auftauchen lassen”. In der allgemeinen Aufregung wurden diese einfach ignoriert.
Nach wenigen Augenblicken war aber alles wieder vorbei. Das Dugong schwamm wieder ins offene Blau, weg von seinem Futter und gejagt von einer Gruppe Tauchern und Schnorchlern. Ich hingegen war gar nicht froh, endlich dieses fantastischen Tier gesehen zu haben hatte. Vielmehr schämte ich mich, Teil dieser Meute gewesen zu sein.
Tourismus als Sargnagel für die Dugongs

© Philipp Kanstinger, WWF
Ich habe dann noch zwei andere Buchten besucht, in denen es Dugongs geben sollte. Leider sah es dort ähnlich aus. Auf dem Rückflug habe ich mich damit getröstet, dass die süd-ägyptische Küste sehr lang ist und die meisten Dugongs wohl ihre Ruhe haben. Später las ich, schon vor zehn Jahren habe es dort nur 14 Tiere gegeben und die meisten von ihnen sind genau auf diese drei Buchten angewiesen. All die Fotos in den Magazinen zeigen scheinbar nur diese paar Dugongs. Zuhause kam die bittere Erkenntnis: Der Tourismus ist der letzte Sargnagel für die dortigen Dugongs. Und ich habe mitgeholfen ihn einzuschlagen.
Begrenzter Ökotourismus als Lösung
Ökotourismus kann ein mächtiges Werkzeug sein, um die lokale Bevölkerung zu unterstützen und sie zu überzeugen, die Tiere zu schützen. Wenn der Tourismus aber unreguliert ist, schadet er den Tieren, die man so gerne sehen möchte. Tut mir daher einen Gefallen:
Begeht nicht den gleichen Fehler wie ich! Fragt nach, ob es Begrenzungen der Boote und Menschen gibt, ob sie einen Verhaltenscodex befolgen und ob ein Teil eures Geldes in den Schutz der Tiere fließt.
Leider ist nachhaltiger und begrenzter Ökotourismus oft sehr teuer. Hört euch daher bei anderen Touristen um. Meidet Massenveranstaltungen. Wenn ihr euch unsicher seid, verzichtet lieber und geht vom Strand aus schnorcheln oder schaut einfach aufs Meer.
Manchmal braucht man einfach Glück
“Meine” Mittelmeer Mönchsrobbe sah ich zufällig beim Schnorcheln in Griechenland, in einem Gebiet, aus dem sie eigentlich schon seit langer Zeit verschwunden ist. Wir haben uns beide verdutzt angesehen — dann ist sie weitergeschwommen. Ein wunderschöner Moment.
Hallo Phillip,
mit großem Interesse habe ich Deinen Artikel zu den letzten Dugongs in Ägypten gelesen. Dazu erst vorab, ich bin selbst Taucher und Unterwasserfilmer. 2011 hatte ich zum ersten Mal das Glück bei Marsa Alam einem Dugong zu begegnen. Die Gruppe, die sich dem Dugong damals näherte bestand aus etwa zehn Tauchern und weder das Tier noch die Taucher hatten Streß.
Letzten Herbst hatte ich in der gleichen Bucht wieder das unglaublich Glück einem Dugong zu begegnen. Diesmal definitiv einem anderen Tier, was ja schon erstaunlich ist, wenn es stimmt, daß es in Südägypten angeblich nur noch sieben dieser Tiere gibt.
Die Situation im November 2014 war jedoch eine völlig andere als 2011. Ich sage nur, unregulierter Massentourismus. Je länger das Dugong in der Bucht war, desto mehr Taucher kamen ins Wasser. Allerdings, ohne daß das Tier sich von diesen sehr gestört gefühlt hätte. Die Schnorchler an der Oberfläche schienen da schon ein größeres Problem zu sein, da es dort schließlich regelmäßig Luft holen mußte.
Nachdem ich dies alles gesehen und dokumentiert hatte, wollte ich die Sache jedoch nicht auf sich beruhen lassen. Denn wie Du sagst, unreguliertes Tauchen mit diesen Tieren schadet ihnen und nützt am Ende auch den Menschen vor Ort nicht.
Was macht man also als Unterwasserfilmer? Einen Film darüber…
Ich habe in dem Film versucht auf die Mißstände dort in den Buchten Südägyptens aufmerksam zu machen, ohne dabei den ungeliebten, mahnenden Zeigerfinger zu erheben. Das Ergebnis ist der Film „Through my Eyes“: https://youtu.be/Id724mrVHbg
Um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen, habe ich ihn auch erfolgreich bei dem Filmwettbewerb VISIONSvideo des Magazins unterwasser eingereicht: http://www.unterwasser.de/visionsvideowettbewerb/artikel/visions-video-april-2015
Weitere Infos über mich findest Du unter: http://www.bluewavefilms.de
Ich würde mich über einen Gedankenaustausch zu den letzten ägyptischen Dugongs sehr freuen.
Schöne Grüße!
Andreas