Eine Traube von Schülern tummelt sich um einen Mann in Karohemd, Cargo-Hose, Trekking-Schuhen und Basecap. Alle warten geduldig darauf, ein Selfie oder gar ein Autogramm zu bekommen. Der Mitte-40-Jährige genießt die Aufmerksamkeit sichtlich und lächelt.
Der gefragte Mann ist John Chester. Von Beruf Bauer. Und die Jugendlichen haben soeben beim Screening im Delphi-Filmpalast “Unsere Große Kleine Farm” gesehen. Es ist ein Film von John Chester. Und eine Film über ihn. Über sein Lebensprojekt mit seiner Frau Molly. Und über Todd, den Hund und natürlich Emma, die Sau. “Unsere Große Kleine Farm” ist der bislang erfolgreichste Dokumentarfilm des Jahres in den USA
Vom Hund zur Nachhaltigkeit: Wie die große Farm klein begann
Mit Todd, dem Hund, fing alles an. Die Chesters nahmen ihn aus einem Tierheim. Er war schnell nicht mehr aus ihrem Leben wegzudenken. Der Haken: Todd konnte nicht allein gelassen werden, bellte dann die Nachbarschaft zusammen und brachte schließlich den Vermieter dazu, den Chesters zu kündigen.
Eh verloren in ihrem urbanen Alltagstrott, entschlossen sich John und Molly ihren lang gehegten Traum zu verwirklichen. Sie kauften mit Hilfe eines Investors 81 Hektar Land. Eine Stunde außerhalb von Los Angeles. Der Plan: mehr Sinn im Leben und von nun an im Einklang mit der Natur zu leben.
Die Vision: ihre kleine Farm. Mit vielen, vielen verschiedenen Pflanzen, Obstsorten und natürlich glücklichen Tieren.
Die Realität, die sie vorfanden: Ein stark ausgetrocknetes, vernachlässigtes Land, umgeben von Monokulturen oder stillgelegten Legebatterien in der kalifornischen Steppe.
Getrieben von Idealismus, packten die Chesters ihren Traum an. Gemeinsam mit Alan, einem Experten für biodynamische Landwirtschaft, dessen Enthusiasmus über das Projekt schnell ansteckend wird, folgt eine umkrempelnde Maßnahme nach der nächsten. Weg mit den Monokulturen. Bewässerungs- und Kompostsystems aufbauen. Die ersten Nutztiere. Und so weiter. Die Chester bekommen Unterstützung von Freiwilligen aus der ganzen Welt, die sie übers Internet rekrutieren und die genauso überzeugt sind von der Vision der nachhaltigen Landwirtschaft wie sie.
Ein Jahr vergeht, zwei Jahre. Der Obstgarten wächst und wächst, inzwischen sind es 75 Sorten. Hühner, Bullen, Kühe, Schafe und ihre Wachhunde, und natürlich die für die Böden wichtigen Würmer und andere Kleinstlebewesen leben allesamt glücklich beisammen.
Idylle vs ländliche Realität der großen, kleinen Farm
Auf den zweiten Blick jedoch trügt das ländliche Glück: Andere Organismen bekommen schnell Wind von der Idylle und bringen den beabsichtigten Kreislauf immer wieder durcheinander. Schneckenplagen und Kojoten, die die Hühner nachts reißen, schlimme Stürme oder auch ein großer Waldbrand. Je mehr die Farm gedeiht, desto mehr Plagen scheinen aufzutauchen.
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Doch auch wenn anfangs sehr viel Geduld, Optimismus und Kompromisse vonnöten sind, der Glaube an ihren Plan eines sich selbst regenerierenden Kreislaufes geht auf. Alans Credo von maximaler Artenvielfalt und dem Nachempfinden eines natürlichen Ökosystems trägt — wenn auch langsam — Früchte. Nach circa fünf Jahren lässt sich ein produktiver Zyklus auf den 81 Hektar Land erahnen.
Wenn Jugendliche sich für Landwirtschaft begeistern
Zurück in Berlin, im Delphi Kino, beim Screening von “Unsere Große Kleine Farm”. Die Schüler verfolgen die Geschichte der Chesters auf der Leinwand gespannt. 91 Minuten lang fiebern sie mit; bei der Geburt von unzähligen Ferkeln von Emma, der Sau. Sie leiden mit, wenn John und seine Helfer wieder einmal dutzende von den Kojoten gerissene Hühner aufsammeln. Und sie lernen — gemeinsam mit den Chesters — über die Komplexität von traditioneller, nachhaltiger Landwirtschaft und was es bedeutet, ökologisch Lebensmittel zu produzieren.
Und als seien diese Bilder jenseits der eigentlichen Welt nicht schon eindrucksvoll genug, stellt im Anschluss an die Filmvorstellung sogar John Chester den vielen Fragen. Ob das alles wirklich so passiert sei oder nur eine ausgedachte Geschichte? John Chester lacht, gesteht, dass die acht Jahre eine wirklich verrückte Zeit gewesen sind. Aber ja, dass sie wirklich so passiert sind.
Wir haben es also tatsächlich mit einem Helden unter den Bauern zu tun. Das ist ein Selfie wert.
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