Wieder einmal muss ich zum Arbeiten nach Berlin – und blicke verzweifelt auf Kohlrabi, Paprika, Mangold und Co. in meiner Hamburger Küche. Das wird doch alles schlecht, bis ich wieder da bin. Außerdem liegen hier Nudeln, die ich nicht mag. Was tun, wenn nicht wegwerfen? Foodsharing!
Lebensmittel retten: Das Abenteuer beginnt
Googeln hilft ja meistens, so auch jetzt. Irgendwo hatte ich kürzlich von Tauschkühlschränken gelesen und finde im Netz tatsächlich eine Karte, auf der sogenannte FairTeiler eingezeichnet sind. Ganz in der Nähe ist einer – wie das Ding wohl aussieht? Steht da wirklich ein Kühlschrank für das Foodsharing mitten in der Stadt? Und was liegt drin? Ich beschließe, es herauszufinden.
Der Kühlschrank ist kein Kühlschrank
Ich entdecke ihn sofort: In einem Gemeinschaftsgarten mitten im Hamburger Karoviertel steht einfach so im Freien ein alter Küchenschrank. Obwohl er eine gewisse Portion Vintage Charme versprüht, bin ich etwas enttäuscht. Es ist kein Kühlschrank. Aber gut, im Moment steht nur eine Schale Trauben darin und das lässt sich ändern. Ich packe also meine Fahrradtaschen aus und fülle den Schrank mit meinen Sachen.
Am nächsten Tag kann ich meine Neugier nicht bezwingen. Funtioniert das Foodsharing? Obwohl nicht mehr viel Zeit bleibt bis zur Abfahrt nach Berlin, radele ich noch einmal am FairTeiler vorbei. Tatsächlich! Meine Sachen sind weg und die Trauben auch. Dafür stehen jetzt zwei Flaschen Club-Mate im Schrank. Eine davon wird meine Wegzehrung für die bevorstehende Zugfahrt.
Ich will mehr wissen über Foodsharing und spreche mit dem „Erfinder“ der FairTeiler, Filmemacher Valentin Thurn
Valentin, deine Filme wie „Taste the Waste“ oder „10 Milliarden“ drehen sich um Lebensmittelverschwendung und nun erfahre ich, dass du sogar den Verein Foodsharing gegründet hast, um Lebensmittel zu retten. War das schon immer dein Thema?
Valentin Thurn: Nein gar nicht. Aber 2007 habe ich eine Reportage gedreht: „Gefundenes Fressen“ – über Mülltaucher, also Menschen, die sich ihre Lebensmittel aus Abfallcontainern holen. Als ich da so in die Tonnen der Supermärkte schaute, dachte ich nur noch: Was ist das für ein krankes System, in dem es sich lohnt, gut essbare Sachen wegzuwerfen?!
Eine deiner Ideen, um Lebensmittel zu retten, sind die FairTeiler. Werden denn alle Lebensmittel im Sinne des Foodsharings abgeholt? Oder vergammelt zum Beispiel auch mal ein Salatkopf?
Oh, das wäre selten der Fall! Man muss sich nur mal hinstellen und beobachten. Die FairTeiler sind gut besucht – von Menschen aus allen Einkommensschichten. Es gibt also auch Begegnungen von Leuten, die sonst nicht viel miteinander zu tun hätten, das ist ganz schön. Jeder kann sich etwas herausnehmen, man braucht sich dafür nicht als bedürftig ausweisen, was zum Beispiel auch Flüchtlingen zugute kommt.
Ihr habt mit der Idee einmal ganz klein in Köln angefangen. Inzwischen stehen die FairTeiler in ganz Deutschland…
Die Idee breitet sich aus, sie ist kräftig genug. Es ist tatsächlich ein Selbstläufer! Manche stellen sogar FairTeiler in ihren eigenen Vorgärten auf. So jemanden kenne ich in Köln, der sagt: „Das ist super, ich habe jeden Morgen frische Brötchen drin.“
Was sagst du mir, wenn ich nun auch einen FairTeiler zum Foodsharing aufstellen möchte — ob als Privatperson, Initiative oder Verein?
Da freue ich mich! Man sollte allerdings vorher den Grundstückseigentümer fragen und am besten unsere Regeln aufhängen, damit es keine Probleme mit der Hygiene gibt. Dann den Standort auf unserer Webseite eintragen und gegebenenfalls Öffnungszeiten angeben – das ist zum Beispiel bei manchen Kirchen der Fall, die FairTeiler aufgestellt haben.
Bei „Foodsharing“ passiert aber noch mehr — ihr rettet zum Beispiel auch Lebensmittel aus Supermärkten?
Ja, unsere “Foodsaver” holen in ganz Deutschland aus Supermärkten, Bäckereien und anderen Geschäften das ab, was den Tag über aussortiert wurde. So konnten wir in den zweieinhalb Jahren, die wir existieren, schon zwei Millionen Kilo Lebensmittel retten!
War also die Gründung von Foodsharing genau der richtige Schritt, um etwas zu verändern?
Foodsharing gibt es seit Dezember 2012 und die Idee ist sehr viel schneller groß geworden, als wir je gehofft haben. Es ist eine breite soziale Bewegung und schon echt eine Freude, das zu sehen. Wobei ich immer denke, die EIGENTLICHE Lösung müsste sein, die Überproduktion zu verringern.
Danke für das Interview!
Mitmachen? Einige Links zum Lebensmittelretten:
Lebensmittel über das Internet teilen: Die “Essenskörbe” von Foodsharing
Wo finde ich FairTeiler und Essenskörbe in meiner Nähe?
Deutschland-Übersicht der FairTeiler im Zeit-Magazin
Alle Infos über Foodsharing – zum Beispiel auch, wie man Foodsaver wird
WWF Studie zur Lebensmittelverschwendung in Deutschland: “Das große Wegschmeißen.“
Super Artikel. Vielen Dank.
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