Wenn Fleisch teu­rer wird, ist das fair!

Fleisch ist nur billig wegen der Massentierhaltung © IMAGO / Daniel Schvarcz

Kennt ihr die­se Kil­ler­ar­gu­men­te, die schein­bar jeg­li­che Dis­kus­si­on been­den? Zum Bei­spiel: Fleisch darf nicht teu­rer wer­den, weil das unfair wäre für Men­schen mit gerin­gem Ein­kom­men. Ich fin­de wir müs­sen den Begriff der Fair­ness etwas wei­ter  denken.

Zum The­ma Fair­ness gegen­über Men­schen mit nied­ri­gen Ein­kom­men fra­ge ich mich oft: Wer sagt eigent­lich, dass Men­schen mit wenig Geld viel Fleisch mit wenig Tier­wohl, dafür aber vie­len Anti­bio­ti­ka essen wol­len sol­len? Was, wenn sie ihrem Kör­per Bio­ge­mü­se gön­nen möch­ten, das nicht sel­ten teu­rer ist als Bil­lig­fleisch? Eine gesun­de und nach­hal­ti­ge Ernäh­rung soll­te kei­ne sozia­le Fra­ge sein! Fair fän­de ich, wenn jede:r die Mög­lich­keit hät­te, sich gut, gesund und nach­hal­tig zu ernäh­ren – mit fri­schem Bio­ge­mü­se, hoch­wer­ti­gen Getrei­de­pro­duk­ten, Nüs­sen, Obst, Hül­sen­früch­ten und, wenn gewünscht, gele­gent­li­chem Bio- oder Wild­fleisch. Sozi­al­po­li­tik darf nicht auf dem Rücken der Ernäh­rungs­po­li­tik aus­ge­tra­gen werden!

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Mein Ver­ständ­nis von Fair­ness schließt auch die Fair­ness gegen­über der jun­gen Gene­ra­ti­on mit ein, die jeden Frei­tag auf den Stra­ßen für ihre Zukunft demons­triert. Fleisch-Mas­sen­pro­duk­ti­on ist mit den Kli­ma­zie­len nicht ver­ein­bar. Knapp 70 Pro­zent der ernäh­rungs­be­ding­ten Treib­haus­gas­emis­sio­nen ent­fal­len auf Pro­duk­te tie­ri­schen Ursprungs. Regen­wäl­der, die Lun­ge unse­res Pla­ne­ten, wer­den gero­det, damit Soja­fut­ter­mit­tel im gro­ßen Stil ange­baut wer­den kön­nen. (Soja für mensch­li­che Ernäh­rung stammt hier­zu­lan­de meist aus Europa).

Tie­ri­sche Pro­duk­te sind der Kli­ma­kil­ler Num­mer 1

Fleisch­kon­sum und Tier­be­stän­de müs­sen dras­tisch redu­ziert wer­den, um die Pari­ser Kli­ma­zie­le ein­zu­hal­ten, sagen zum Bei­spiel das Deut­sche Insti­tut für Wirt­schafts­for­schung (DIW), das Pots­da­mer Insti­tut für Kli­ma­fol­gen­for­schung (PIK) und das Umwelt­bun­des­amt (UBA). Die nach­hal­ti­ge Wahl muss immer die nahe­lie­gends­te sein und des­halb darf Fleisch nicht bil­li­ger als Gemü­se, Hül­sen­früch­te und Nüs­se aus nach­hal­ti­gem Anbau sein.

Wol­len wir ernst­haft unse­re Zukunft aufessen?

Wol­len wir ernst­haft den heu­te jun­gen Leu­ten in zwei oder drei Jahr­zehn­ten sagen: Sor­ry, dass ihr und eure Fami­li­en jetzt stän­dig von Flu­ten, Dür­ren und Stür­men betrof­fen seid? Dass eure Kin­der nicht mehr — so wie wir damals — in Seen schwim­men und Wäl­dern toben kön­nen, weil die­se lei­der aus­ge­trock­net bezie­hungs­wei­se abge­brannt sind? Sor­ry auch, dass ihr jetzt Hun­gers­nö­te befürch­ten müsst, weil regel­mä­ßig die Ern­te ver­trock­net oder in den Flu­ten ver­sinkt. Aber hey, uns war damals ein­fach wich­tig, dass wir uns den Wanst mit Ber­gen an Nacken­steaks voll­hau­en. Das ver­steht ihr doch, oder?

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Ich den­ke auch an die Fair­ness gegen­über den Tie­ren. Unse­re WWF-Grill­fleisch-Rabatt­ana­ly­se hat erge­ben, dass 98 Pro­zent des Grill­flei­sches, das in Super­markt­pro­spek­ten ange­bo­ten wird, von Tie­ren aus schlech­ten Hal­tungs­be­din­gun­gen in engen Stäl­len stammt. Ihr Kör­per kommt zum ers­ten Mal mit Frisch­luft in Kon­takt, wenn er als Kote­lett oder Brat­wurst auf dem Grill brutzelt.

Auch aus Fair­ness gegen­über den Bäue­rin­nen und Bau­ern muss Fleisch teu­rer wer­den. Nur rund ein Fünf­tel des Laden­prei­ses kommt bei ihnen an. Der Schlacht­preis für Schwei­ne liegt bei unter 1,50 Euro, der für Kühe deut­lich unter vier Euro. Wert­schät­zung für die mona­te­lan­ge täg­li­che har­te Arbeit im Stall sähe anders aus. Einen Puf­fer für den drin­gend benö­tig­ten Umbau der Stäl­le zum Woh­le der Tie­re ist so nicht drin.

Den Preis zah­len alle — auch die Vegetarier

Es geht mir auch um die Fair­ness gegen­über der Gemein­schaft aller Men­schen. Denn den Preis für das bil­li­ge Fleisch zah­len nicht nur Fleisch­esser an der Kas­se, son­dern auch Leu­te, die wenig oder gar kein Fleisch essen. Steu­er­gel­der flie­ßen nicht nur in die Agrar­sub­ven­tio­nen, die Mas­se über Klas­se stel­len, son­dern auch in die Rei­ni­gung von Böden und Gewäs­sern, die durch die Tier­hin­ter­las­sen­schaf­ten mit Nitrat ver­gif­tet sind. Mit unse­ren Kran­ken­kas­sen­bei­trä­gen zah­len wir alle für die Behand­lung der­je­ni­gen, die auf­grund ihres über­mä­ßi­gen Fleisch­kon­sums krank gewor­den sind. Die­se soge­nann­ten exter­nen Kos­ten belau­fen sich zusam­men­ge­nom­men in Deutsch­land pro Jahr auf rund sechs Mil­li­ar­den Euro.

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Im Schnitt essen Men­schen in Deutsch­land dop­pelt so viel Fleisch, wie laut der Deut­schen Gesell­schaft für Ernäh­rung gesund wäre. Das führt zu Herz­kranz­er­kran­kun­gen, Dia­be­tes, Schlag­an­fäl­len und Darm­krebs. Fleisch­las­ti­ges Ess­ver­hal­ten belas­tet die Gesund­heits­sys­te­me welt­weit jähr­lich mit zusätz­lich 285 Mil­li­ar­den Dol­lar, wie eine Stu­die der Uni­ver­si­ty of Lon­don dar­legt. Die Gesund­heits­kos­ten für Deutsch­land wur­den noch nie aus­ge­rech­net. Sie dürf­ten nicht nur die Behand­lung von Erkran­kun­gen, die direkt im Zusam­men­hang mit über­mä­ßi­gem Fleisch­kon­sum ste­hen, umfas­sen, son­dern auch die Fol­gen von anti­bio­ti­ka­re­sis­ten­ten Kei­men, die durch Mas­sen­tier­hal­tung ent­ste­hen. All die­se Kos­ten trägt die All­ge­mein­heit. Mei­ne Bril­le muss ich selbst bezah­len, obwohl ich für mei­ne ange­bo­re­ne Fehl­sich­tig­keit nichts kann. Aber damit will ich jetzt gar nicht anfangen…

Auch im euro­päi­schen Kon­text kön­nen wir uns nicht über unfai­re Prei­se beschwe­ren – oder wenn, dann müss­ten wir zuge­ben, dass sie hier­zu­lan­de unfair bil­lig sind: Der durch­schnitt­li­che Fleisch­preis liegt in Deutsch­land ganz knapp über dem euro­päi­schen Mit­tel­wert. Immer­hin überm Durch­schnitt, ist doch alles bes­tens, könn­te man jetzt argu­men­tie­ren. Doch dem gegen­über ste­hen die höchs­ten Pro-Kopf-Ein­kom­men von Voll­zeit­ar­bei­ten­den in der gesam­ten EU.

Fleisch war noch nie billiger

His­to­risch gese­hen war Fleisch in Deutsch­land noch nie so bil­lig wie in den letz­ten Jah­ren. In den 1950er Jah­ren zahl­te man für ein Kilo­gramm Schwei­ne­fleisch 1,6 Pro­zent des Monats­ver­diens­tes. 1975 waren es ein hal­bes Pro­zent. Heu­te sind es gera­de mal 0,22 Pro­zent. Fleisch ist nur so bil­lig, weil es Mas­sen­tier­hal­tung und Mas­sen­schlach­tung gibt. Als die­se in den 1960ern auf­kam, war man stolz dar­auf, den Preis so drü­cken zu können.

Heu­te wün­schen wir uns bes­se­re Hal­tungs­be­din­gun­gen für Tie­re und Schlach­tung ohne Tier­leid. Das gibt es weder zum Null­ta­rif noch in Mas­sen. Eine Ernäh­rung, die gesund für den Mensch und den Pla­ne­ten ist, hat ihren Wert.

Fleisch muss aus Grün­den der Fair­ness teu­rer werden

Zum Bei­spiel durch eine Erhö­hung der Mehr­wert­steu­er von 7 auf 19 Pro­zent. Oder einer ande­ren Abga­ben auf tie­ri­sche Lebens­mit­tel. Die Besteue­rung von kli­ma­freund­li­chen Lebens­mit­teln wie Gemü­se, Getrei­de und Hül­sen­früch­te soll­te gleich­zei­tig von 19 auf 7 Pro­zent gesenkt wer­den. Mit­tel­fris­tig soll­te es eine dif­fe­ren­zier­te Nach­hal­tig­keits­steu­er auf Lebens­mit­tel geben. In die­se Rich­tung argu­men­tie­ren auch ande­re Akteu­re in Poli­tik und Wis­sen­schaft, zum Bei­spiel die Zukunfts­kom­mis­si­on Land­wirt­schaft und der Wis­sen­schaft­li­che Bei­rat für Agrar und Ernäh­rung sowie das Umwelt­bun­des­amt.

Ich fin­de, es ist über­fäl­lig: Als eines der reichs­ten Län­der in der EU, ja in der Welt, soll­ten wir für uns alle ein Ernäh­rungs­sys­tem erschaf­fen, in dem sich Wert­schät­zung für Tie­re, Pflan­zen, Böden, Gewäs­ser, Men­schen, Umwelt und das Kli­ma wider­spie­gelt. Oder meinst Du nicht?

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Ich arbeite als Referentin für Nachhaltige Ernährung und Klimaschutz beim WWF im Team Landwirtschaft und Landnutzungswandel. Mein akademischer Hintergrund ist im Bereich Politikwissenschaft (M.A.) und dem umwelt- und klimabezogenen Global Change Management (M.Sc.). Nach Jahren im Journalismus und der Privatwirtschaft setzte ich beim WWF für die Transformation unserer Gesellschaft ein, damit das Leben auf unserem Planeten lebenswert bleibt. Der Wandel beginnt auf unseren Tellern.

Kommentare (1)

  • Ein lobenswertes Ziel. Nur leider hat die Vergangenheit gezeigt, dass diese Ziele erst dann verfolgt werden, wenn es (fast) zu spät ist.

    Ich kann es einfach nicht verstehen wieso nicht jeder Einzelne einfach auf den Fleischkonsum (fast) verzichten kann. Reicht es nicht einmal in der Wiche Fleisch/Fisch zu essen? Oder am Besten gar nicht. Und am Allerbesten dann noch überwiegend auf Milchprodukte zu verzichten?

    Das muss uns doch die Natur und das Tierwohl wert sein. Und wenn es diesen gut geht, geht es uns gut.

    Auch kann ich es nicht verstehen, dass sich die Politiker nicht auf eine Lösung einigen können oder möchten, um sich und/oder den Lobbyisten ins eigene Fleisch zu schneiden.

    Ach was würde man bloß ohne Firmenwagen mit eigenem Fahrer, Vetternwirtschaft und Bevorteilung machen. Stimmt: Richtige Politik. Ich muss in einer digitalen Welt nicht zum siebten G7-Gipfel geflogen werden.

    Ich muss auch nicht unsere Exporte in arme Länder subventionieren und damit die hiesige Wirtschaft in die Knie zwingen…

    Fazit: Es gibt so viele naheliegende, einfache, sinnvolle Lösungen. Aber wir sind so weit davon entfernt wie schon lange nicht mehr.

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