Mit der “Farm to Fork” hat die EU eine gefeierte Strategie, um unsere Landwirtschaft endlich nachhaltiger zu machen. Jetzt muss sie eben nur umgesetzt werden. Und da klemmt es.
Im Mai 2020 hat die EU-Kommission die „Farm-to-Fork“-Strategie vorgelegt. Vom Hof bis auf den Tisch, wie man es wohl am besten übersetzt. Oder wie wir kurz sagen: F2F. Darin sind Ziele bis 2030 formuliert, die uns endlich zu einem nachhaltigen Agrar- und Ernährungssystem bringen sollen.
Zum Beispiel mit diesen Maßnahmen:
- Pestizide: Der Einsatz von Pestiziden soll um die Hälfte zurückgehen.
- Dünger: 20 Prozent weniger Dünger ist das Ziel, die Nährstoffverluste sollen insgesamt um mindestens die Hälfte sinken.
- Bio: Ein Viertel der Nutzfläche soll ökologisch bewirtschaftet werden.
- Antibiotika: Der Verkauf von Antibiotika für Nutztiere und Aquakultur soll um die Hälfte verringert werden.
Diese F2F-Strategie soll die Belastung der Umwelt, der Biodiversität und der natürlichen Ressourcen wie Böden und Gewässer deutlich reduzieren. Kurz: Die Lebensmittelproduktion soll so ökologisch nachhaltiger werden. Und gleichzeitig die Ernährungssicherheit gewährleisten. Der Rückgang der Artenvielfalt, Umweltbelastungen und die Klimakrise gefährden die landwirtschaftliche Produktion. Gerade in den letzten Jahren haben wir ja alle schon erlebt, wie Dürreperiode und Extremwetter die Erträge geschmälert haben.
Die Strategie ist rechtlich nicht bindend, das EU-Parlament und die Mitgliedstaaten haben sich aber zu F2F bekannt. Die Inhalte der F2F-Strategie werden durch Gesetzgebungsverfahren oder die Anpassung bestehender Gesetze umgesetzt. Wie zum Beispiel mit der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP)
Wo stehen wir, jetzt Ende 2022?
Konzipiert wurde die F2F-Strategie als 10-Jahres-Programm. Acht Jahre sind noch übrig — und Weg zum Ziel ist noch weit. Die EU-Kommission hat zwar bereits Wichtiges initiiert, wie zum Beispiel einen im Juni 2022 vorgelegten Entwurf zur Reduzierung von Pestiziden. Allerdings ist der Widerstand einiger Staaten, Politiker:innen sowie der Agrarindustrie immens.
Nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine haben einige Akteure die Ziele der F2F-Strategie erneut in Frage gestellt. Begründet wird dies zumeist mit Ernährungssicherheit.
Mindestens drei Aspekte werden dabei außer Acht gelassen:
- Ernährungskrisen sind kein neues Phänomen. Bereits 2021 hungerten weltweit mehr als 820 Millionen Menschen. Die Zahl der Hungernde steigt bereits seit 2016 wieder. Die Ursachen liegen nicht nur in einer unzureichenden Produktion, insbesondere nicht in Europa.
- Ein Großteil der landwirtschaftlichen Produktionsfläche in Europa wird überhaupt nicht für die Produktion von Lebensmitteln für den direkten menschlichen Verzehr verwendet. Mehr als 60 Prozent der Ackerfläche werden für die Herstellung von Viehfutter verwendet. Und weitere 14 Prozent für Biokraftstoffe.
- Maßnahmen für den Umweltschutz passieren nicht zum Selbstzweck, sondern machen die Agrarökosysteme leistungsfähiger und resilienter.
Die künftige Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) umfasst EU-weit ein enormes Subventionsvolumen in Höhe von knapp 390 Milliarden Euro bis 2027. Diese Gelder sind an Bewirtschaftungsregeln geknüpft. Das hört sich vernünftig an, ist aber nur wenig geeignet, um wirksam den ökologischen Problemen zu begegnen. Schlimmer noch: unter dem Vorwand der Ernährungssicherheit haben im Sommer 2022 die Bundesregierung und die Bundesländer entschieden, wichtige Maßnahmen für den Umweltschutz im Jahr 2023 auszusetzen.
Es dauert oft zu lange
Wie wir welche Lebensmittel produzieren belastet die Umwelt enorm. Bei uns, aber auch in den Ländern, aus denen wir sogenannte Agrarrohstoffe beziehen. Stichwort Soja aus Südamerika. Viele landwirtschaftliche Betriebe kämpfen ums Überleben, weil sie für ihre Produkte keine fairen, kostendeckende Preise bekommen. Darüber hinaus macht die Planungsunsicherheit vielen Höfen zu schaffen. Sie kommt nicht nur aus den klimabedingten Risiken, sondern wird durch zögerliche Politik zementiert. Offensichtlich wurde dies beim Thema Tierhaltung. Allein die Novelle der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung hat mehr als fünf Jahre gedauert. Noch immer tun sich viele Betriebe schwer, in mehr Tierwohl zu investieren, weil Gesetze und Richtlinien weiterhin unklar sind.
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Das gilt auch für die ökologischen Herausforderungen: Nimmt der Bestand an Insekten und Feldvögeln kontinuierlich ab und verbessert sich der Zustand der Gewässer nicht merklich, wird der politische Handlungsdruck zunehmend größer. Spätestens, wenn EU-rechtliche Verpflichtungen nicht mehr eingehalten werden und Strafzahlungen drohen. Wie zum Beispiel bei der Nitrat-Richtlinie. Bis zu 850.000 Euro pro Tag Zwangsgeld wurden angedroht, weil Deutschland sein Gülle-Problem nicht löst. Die Langatmigkeit der politischen Entscheidungen ist dann besonders tragisch, wenn wertvolle Zeit verstreicht und vorhandene Mittel nicht wirksam eingesetzt werden.
Wie jetzt weitergehen muss mit der Landwirtschaft
Die Uhr für 2030 tickt. Ich sehe die Chancen für eine erfolgreiche Umsetzung der F2F-Strategie bei diesem Tempo, bei diesen Widerständen skeptisch. Die nächsten Monate und Jahre sind jetzt essenziell, um einen realisierbaren Transformationspfad zu gehen.

Die Mitgliedstaaten und das EU-Parlament müssen jetzt Kompromisse finden. Auch im Hinblick auf die für das Frühjahr 2024 vorgesehene EU-Wahl. Die Bundesregierung und die Interessenvertreter der Landwirtschaft tragen eine besondere Verantwortung. Hungerkrise, Biodiversitätskrise und Klimakrise dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die spezifische Wirksamkeit unterschiedlicher politischer Instrumente sollte nicht durch simple Narrative à la Kooperation statt Ordnungsrecht in Frage gestellt werden.
Eine politische Strategie ist nur so gut wie sie von den politischen Akteuren getragen wird. Wir brauchen nicht nur die notwendigen Gelder. An denen mangelt es im Grund gar nicht, siehe die vielen Milliarden für die GAP. Was wir aber brauchen ist mehr Konsequenz und politische Bereitschaft, um eine hochgelobte Strategie zum Erfolg zu führen. Gerade in unsicheren Zeiten. Nicht zum Selbstzweck, sondern schlicht, weil es notwendig ist. Das gilt einmal mehr besonders für die Farm-to-Fork-Strategie.
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